Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Zuschläge für Wechselschichtarbeit, die der Arbeitnehmer für seine Wechselschichttätigkeit regelmäßig und fortlaufend bezieht, sind dem steuerpflichtigen Grundlohn zugehörig; sie sind auch während der durch § 3b EStG begünstigten Nachtzeit nicht steuerbefreit.
Sachverhalt
Energieversorger E zahlte Arbeitnehmern in den Jahren 1991 bis 1994 Zuschläge für Wechselschichttätigkeit von 10 % und für Nachtarbeit von 25 % der Stundenvergütung. Im Jahr 1991 dauerte die Früh- und Spätschicht von 6.00 bis 22.00 Uhr, die Nachtschicht von 22.00 bis 6.00 Uhr. Ab 1992 zahlte E Zuschläge nach dem Manteltarifvertrag Energie, und zwar für Wechselschichtarbeit von 6.00 bis 20.00 Uhr sowie für Nachtarbeit von 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr von 10 % und für Nachtarbeit von 22.00 bis 6.00 Uhr von 25 % der Stundenvergütung. Waren mehrere Zuschlagstatbestände erfüllt, zahlte E bis 1993 Zuschläge nebeneinander und versteuerte sie, soweit sie die Grenzen des § 3b EStG überstiegen. Ab 1994 zahlte E nur den jeweils höheren Zuschlag, behandelte die Nachtzuschläge als steuerfrei und versteuerte die Zuschläge für die Wechselschichtarbeit. Das Finanzamt nahm E für Lohnsteuer in Haftung, weil die Wechselschichtzulage dem Grundlohn zuzurechnen sei. Daher sei auch im Nachtzuschlag ein 10 %-iger Wechselschichtzuschlag enthalten. Das FG gab der Klage statt; der BFH folgte im Prinzip dem Finanzamt.
Entscheidung
Entscheidend für die Lösung ist, was man unter Grundlohn versteht. Denn nach § 3b Abs. 1 EStG sind Zuschläge für Nachtarbeit nur steuerfrei, wenn sie neben dem Grundlohn gezahlt werden. Grundlohn ist nach § 3b Abs. 2 EStG der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zusteht. Regelmäßige Arbeitszeit ist die für das jeweilige Arbeitsverhältnis vereinbarte Normalarbeitszeit, und zwar die Dauer der Arbeitsleistung und nicht die Lage der Arbeitszeit. Auch Schichtarbeiter haben grundsätzlich eine regelmäßige Arbeitszeit, die sich nach dem Schichtplan bestimmt. Wird nun der 10 %-ige Wechselschichtzuschlag dem in Wechselschicht tätigen Arbeitnehmer regelmäßig und fortlaufend gezahlt, handelt es sich um laufenden Arbeitslohn und damit um Grundlohn. Dann ist auch der Nachtzuschlag in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr nur in Höhe von 15 % der Stundenvergütung steuerfrei. In Höhe der Differenz von 10 % handelt es sich um einen fortgezahlten Wechselschichtzuschlag. Ob diese Voraussetzungen vorlagen, hat das FG zu prüfen. Es hatte nämlich nicht festgestellt, ob der Wechselschichtzuschlag fortlaufend gezahlt wird.
Praxishinweis
Wie ständig den Nachrichten zu entnehmen ist, steht die Steuerfreiheit der Zuschläge nach § 3b EStG auf dem Prüfstand des Gesetzgebers. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob sie einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten könnte. Denn das Gesetz behandelt z.B. die nachts arbeitende angestellte Hebamme und die nachts arbeitende – möglicherweise durch "Outsourcing" – in die Selbständigkeit entlassene Hebamme ungleich. Ein Differenzierungsgrund ist nicht ohne weiteres einsichtig. Vor diesem Hintergrund ist die "hart am Gesetzeszweck arbeitende", eher restriktive Rechtsprechung des IX. Senats zu diesem Themenkomplex zu verstehen.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 7.7.2005, IX R 81/98