Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Der gemeine Wert nicht börsennotierter Aktien lässt sich nicht i.S.d. § 11 Abs. 2 S. 2 BewG aus Verkäufen ableiten, wenn nach den Veräußerungen aber noch vor dem Bewertungsstichtag weitere objektive Umstände hinzutreten, die dafür sprechen, dass diese Verkäufe nicht mehr den gemeinen Wert der Aktien repräsentieren, und es an objektiven Maßstäben für Zu- und Abschläge fehlt, um von den festgestellten Verkaufspreisen der Aktien auf deren gemeinen Wert zum Bewertungsstichtag schließen zu können.
Sachverhalt
K erwarb am 28.2.1999 für 330.000 DM 385 Aktien der A-AG; Grundlage war eine Bewertung der A-AG mit 22 Mio. DM. An Dritte wurden von Oktober 1998 bis März 1999 insgesamt 9,7 % des Aktienkapitals der A-AG auf Basis eines Unternehmenswerts von 22 Mio. bis 30 Mio. DM verkauft. K wurde am 1.3.1999 Arbeitnehmer der A-AG. Am 22.4.1999 vereinbarten die A-AG und die C-Bank, die Aktien der A-AG nach einer Kapitalerhöhung am Neuen Markt zu platzieren; sie gingen dabei von einem Wert der A-AG vor der Kapitalerhöhung von 130 bis 180 Mio. DM aus. Am 30.4.1999 wurde die Kapitalerhöhung beschlossen, am 21.5.1999 im Handelsregister eingetragen. K übernahm 21.758 neue Aktien. Der Börsengang erfolgte am 1.7.1999 zum Ausgabepreis von 46 EUR. Der erste Kurs lag bei 70 EUR, am Tag der Einbuchung in Ks Aktiendepot bei 90 EUR. Das Finanzamt beurteilte den Aktienerwerb von K am 30.4.1999 als geldwerten Vorteil und bewertete ihn anhand des Ausgabekurses von 46 EUR. Das FG entprach der Klage. Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidung
Der Arbeitgeber wendet verbilligt Aktien zu, soweit ihr gemeiner Wert am Tag des Zuflusses die Gegenleistung des Arbeitnehmers überschreitet. Geht dies mit der Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Kapitalerhöhung einher, richtet sich der Zuflusszeitpunkt nach aktienrechtlichen Grundsätzen, nämlich nach dem Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung.
Nach § 11 Abs. 2 BewG ist der gemeine Wert nicht börsennotierter Aktien vorrangig aus Verkäufen binnen Jahresfrist abzuleiten, andernfalls zu schätzen. "Ableiten" bedeutet, dass der tatsächlich erzielte Kaufpreis als Ausdruck des gemeinen Wertes zu ändern ist, wenn Umstände vorliegen, die eine Änderung gebieten. Geboten ist eine Änderung, wenn gravierende objektive Umstände hinzutreten, die dafür sprechen, dass die Verkäufe nicht mehr den gemeinen Wert der Aktien wiedergeben, aber es auch keine objektiven Anhaltspunkte dafür gibt, wie durch Zu- und Abschläge von den festgestellten Aktienverkaufspreisen auf den gemeinen Wert geschlossen werden könnte.
Hier lagen die besonderen Umstände darin, dass A-AG und C-Bank die Anteile mit 800 % der zuvor erzielten Verkaufspreise bewerteten. Daher ließ sich der Wert des Aktienbezugs nicht aus den binnen Jahresfrist erfolgten Verkäufen ableiten. Rechtsfolge ist die Schätzung nach dem Stuttgarter Verfahren.
Link zur Entscheidung
BFH, 29.07.2010, VI R 30/07.