Leitsatz
- Hat der Steuerpflichtige im Formular für die Einkommensteuererklärung in der "Anlage Kinder" die Geburtsdaten, das erhaltene Kindergeld, die Zeiten der Berufsausbildung und die Bruttoarbeitslöhne der Kinder angegeben, hat er damit konkludent Ausbildungsfreibeträge für die Kinder beantragt, auch wenn er die Rubrik "Ausbildungsfreibetrag" nicht ausgefüllt hat. Übergeht das Finanzamt derartige Anträge, ohne darauf im Einkommensteuerbescheid hinzuweisen, kann wegen der versäumten Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen.
- Der nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids gestellte Antrag auf Gewährung von Ausbildungsfreibeträgen ist keine die Änderung des Bescheids rechtfertigende neue Tatsache i.S. des § 173 AO. Ist aus den Angaben in der Einkommensteuererklärung ersichtlich, dass sich die Kinder in der Ausbildung befinden, wird dem Finanzamt durch den Antrag auch nicht nachträglich als neue Tatsache bekannt, dass dem Steuerpflichtigen Aufwendungen für die Berufsausbildung seiner Kinder entstanden sind.
Sachverhalt
Die Steuerpflichtigen, Eltern zweier volljähriger Kinder, die in den Streitjahren 1996 und 1997 noch im elterlichen Haushalt lebten und sich ganzjährig bzw. zeitweise in Ausbildung befanden, hatten in der "Anlage Kinder" zur Einkommensteuererklärung jeweils die erforderlichen Angaben zu den Kindern gemacht (Name, Geburtsdatum, Wohnort, Kindergeld, Berufsausbildung, Grundwehr-/Ersatzdienst, Bruttoarbeitslohn). Lediglich die Zeilen unter "Ausbildungsfreibetrag" hatten sie nicht ausgefüllt. Das Finanzamt setzte daher keine Ausbildungsfreibeträge an, ohne dies indes in den Bescheiden zu erläutern. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Erst 1½ Jahre (Bescheid 1996) bzw. ¾ Jahre (Bescheid 1997) nach Bestandskraft beantragten die Eheleute die Änderung der Bescheide und die Gewährung von Ausbildungsfreibeträgen mit der Begründung, die Anträge seien neue Tatsachen, die eine Berichtigung zu Ihren Gunsten rechtfertigten.
Entscheidung
Der BFH lehnt eine Bescheidberichtigung wegen neuer, d.h. nachträglich bekannt gewordener Tatsachen i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ab. Die Stellung eines Antrags ist keine neue Tatsache. Außerdem hatten die Eheleute sämtliche Angaben, die zur Prüfung der Ausbildungsfreibeträge erforderlich waren, in den übrigen Zeilen der "Anlage Kinder" gemacht. Dies gilt auch für die Aufwendungen für die Berufsausbildung. Denn wenn sich – so wie hier – bereits aus der Höhe der Einkünfte der Kinder ergibt, dass diese für den Lebensunterhalt nicht ausreichen, wird hierdurch konkludent erklärt, dass den Eltern Ausbildungsaufwendungen erwachsen sind.
Den Steuerpflichtigen konnte jedoch für 1997 wegen schuldloser Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Denn ihre Angaben zu den Kindern waren als konkludente Anträge auf Gewährung der Ausbildungsfreibeträge zu werten. Die Ablehnung dieser Anträge stellt eine Abweichung von der Erklärung dar, auf die das Finanzamt hätte hinweisen müssen. Da dies nicht geschehen war, konnten die Steuerpflichtigen nicht erkennen, weshalb ihnen die Freibeträge versagt wurden. Damit liegt bei ihnen kein Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist vor. Für 1996 schied aber Wiedereinsetzung aus. Denn hier war bereits die Jahresfrist nach § 110 Abs. 3 AO, innerhalb derer Wiedereinsetzung gewährt werden kann, abgelaufen.
Praxishinweis
Die Entscheidung verdeutlicht erneut, dass ein Jahr nach dem Ende der versäumten Frist keine Wiedereinsetzung gewährt oder die versäumte Handlung nachgeholt werden kann. Eine Ausnahme gilt nur bei höherer Gewalt, ein Fall, der in der Praxis in den seltensten Fällen anerkannt wird. Der Antrag für den Ausbildungsfreibetrag hat nur noch Bedeutung für die Jahre bis 2001. Ab 2002 ist das Antragserfordernis für den nunmehr stark abgespeckten Ausbildungsfreibetrag entfallen. Gleichwohl benötigt das Finanzamt die Angaben zu den Voraussetzungen des Freibetrags. In der Praxis ist daher das Ausfüllen der entsprechenden Zeilen in den Formularen nach wie vor unerlässlich.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 30.10.2003, III R 24/02