Leitsatz
- Können die Leistungsempfänger einer Stiftung unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen, handelt es sich bei den Leistungen um Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 i.d.F. des UntStFG.
- Kommt ein Steuerpflichtiger seiner gesetzlichen Verpflichtung, Kapitalertragsteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen, nicht nach, handelt er regelmäßig grob fahrlässig. Das gilt auch bei nicht eindeutiger Rechtslage; eine abweichende Rechtsmeinung ist im Rechtsbehelfsverfahren durchzusetzen.
Sachverhalt
S ist eine 1895 mit dem Zweck errichtete Familienstiftung, das Vermögen des Stifters den männlichen Abkömmlingen zu erhalten und ihnen durch Zuwendungen eine wirtschaftliche gesicherte Lebensstellung zu verschaffen. Jeder Abkömmling hat laut Satzung Anspruch auf eine Kapitalzuwendung und eine Zeitrente oder auf eine lebenslängliche jährliche Rente. S erzielte in den Streitjahren 2002–2005 Kapital- und Vermietungseinkünfte. Der Aufforderung des Finanzamts, Kapitalertragsteuer anzumelden, folgte sie nicht. Das Finanzamt nahm S darauf in Haftung. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt, der BFH wies sie ab.
Entscheidung
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG gehören Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, die Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind, soweit sie nicht bereits zu den letztgenannten Einnahmen gehören.
Satzungsgemäße Leistungen einer Familienstiftung an Familienangehörige als Destinatäre sind mit Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar. Einer kapitalmäßigen Vermögensbeteiligung bedarf es dafür nicht. Dazu gehören alle auf Wiederholung angelegten Leistungen der Stiftung, denen keine Gegenleistungen der Empfänger gegenüberstehen. Dies gilt zumindest dann, wenn die Leistungsempfänger – kraft Satzung oder kraft Leitungsmacht – unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können.
Kommt die Stiftung ihrer Verpflichtung zum Kapitalertragsteuerabzug nicht nach, droht ihr die Inhaftungnahme. Der Nachweis, dass das dafür notwendige Verschulden in Gestalt von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz nicht vorlag, kann kaum erbracht werden. Dieser Nachweis misslingt bereits, wenn der Vergütungsschuldner "bewusst" und trotz offensichtlicher Zweifel die Einbehaltungs- und Abführungspflicht negiert. Der Abführungsverpflichtete muss zunächst seinen Gesetzespflichten genügen und ggf. anschließend das Rechtsbehelfsverfahren durchlaufen.
Link zur Entscheidung
BFH, 03.11.2010, I R 98/09.