Leitsatz

  1. Eine Lieferung gilt auch dann bei Beginn der Versendung in einem anderen Mitgliedstaat als dort ausgeführt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG), wenn die Person des inländischen Abnehmers dem mit der Versendung Beauftragten im Zeitpunkt der Übergabe der Ware nicht bekannt ist, aber mit hinreichender Sicherheit leicht und einwandfrei aus den unstreitigen Umständen, insbesondere aus Unterlagen abgeleitet werden kann (Änderung der Rechtsprechung).
  2. Dem steht nicht entgegen, dass die Ware von dem mit der Versendung Beauftragten zunächst in ein inländisches Lager gebracht und erst nach Eingang der Zahlung durch eine Freigabeerklärung des Lieferanten an den Erwerber herausgegeben wird.
 

Problematik

Es geht darum, ob Lieferungen (Mobiltelefone) durch eine in Großbritannien ansässige Gesellschaft (englische Gesellschaft) an den in Deutschland (Inland) ansässigen Abnehmer HS bereits mit der Übergabe an den Spediteur in Großbritannien ausgeführt waren.

HS bestellte im April 1998 sukzessive drei Positionen bei der englischen Gesellschaft. Diese beauftragte die Spedition M unter der Referenz "Ship to hold Our Ref 980422 HS", die Ware in das Inland zu befördern. Als Empfänger der Sendung war auf dem Auftrag die D-GmbH, eine Schwestergesellschaft der englischen Gesellschaft, angegeben. Die D-GmbH wurde angewiesen, die Ware erst nach einer gesondert zu erteilenden Freigabe an HS zu übergeben, was nach Bezahlung der Ware durch HS erfolgte.

Die englische Gesellschaft nahm innergemeinschaftliche Lieferungen aus Großbritannien an den Abnehmer HS an (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG; innergemeinschaftliche Lieferung). Demgegenüber lagen nach Auffassung des Finanzamts steuerpflichtige Inlandslieferungen vor; die Versendung an den Abnehmer habe erst im Inland begonnen, weil die Übergabe der Ware nur Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung erfolgen sollte. Einspruch und Klage waren erfolglos.

 

Entscheidung des BFH

Der BFH gab der englischen Gesellschaft Recht. Entgegen dem FG-Urteil hielt der BFH die Lieferungen im Inland für nicht steuerbar, denn die Versendung der gelieferten Gegenstände habe in Großbritannien begonnen.

§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG verlangt zwar, dass im Falle der Versendung der Abnehmer bereits im Zeitpunkt der Übergabe des Liefergegenstands feststehen muss. Soweit aber nach dem BFH-Urteil v. 10.11.1966[1] zur Rechtslage nach § 5 UStDB 1951 eine Versendung an den Abnehmer nur bei Bezeichnung des Abnehmers im Ladeschein vorlag, hielt der BFH nicht daran fest, weil jetzt § 3 Abs. 6 UStG nicht zwingend auf das Vorliegen und den Inhalt von Frachtdokumenten etc. abstellt. Daraus folgert er, dass auch an der Auffassung im Urteil v. 24.2.1994[2] nicht festgehalten werden konnte. Vielmehr reicht es aus, wenn sich aus den unstreitigen Umständen, insbesondere aus Unterlagen mit hinreichender Sicherheit leicht und einwandfrei ableiten lässt, dass der Abnehmer zum maßgeblichen Zeitpunkt festgestanden hat. Im Streitfall habe HS von Anfang an als Abnehmer festgestanden.

Die "shipment on hold"- Klausel zur Sicherung der Kaufpreiszahlung führe nur dazu, dass der Lieferung der Charakter einer Nachnahmelieferung zukommt. Auch bei einer Versendungslieferung per Nachnahme, bei der die Übergabe an den Abnehmer davon abhängt, dass dieser den Kaufpreis entrichtet, gilt die Lieferung bereits an dem Ort als ausgeführt, an dem die Ware an den Beauftragten übergeben wird, ohne dass der Vorbehalt der Kaufpreiszahlung dem entgegensteht.

 

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung mag im Ergebnis versenderfreundlich sein. Zur Bestimmung des Lieferungsbegriffs bei Versendung/Beförderung (§ 3 Abs. 6 und 7 UStG) erweist sie sich aber als nicht hilfreich. Sie wirkt unabgestimmt.

Sie gibt zum einen eine Rechtsprechung zu einer längst nicht mehr aktuellen Gesetzeslage auf, was nicht erforderlich ist und vom FG nicht problematisiert wurde, und behauptet andererseits ohne jede Untersuchung, dass eine Lieferung mit "ship to hold"-Klausel wie eine Nachnahmelieferung anzusehen sei. Eine solche werde an dem Ort ausgeführt, an dem die Ware an den Beauftragten (Spediteur) übergeben wird, ohne dass der Vorbehalt der Kaufpreiszahlung dem entgegensteht.

Die "ship to hold"-Klausel bedeutet lt. FG-Urteil, dass die vom Kunden bestellten Waren zunächst in ein "sicheres" Lager transportiert werden, wo der Kunde sie auf Vollständigkeit und ordnungsgemäßen Zustand kontrollieren kann. Der Lagerhalter gibt sie erst nach Zahlung an den Kunden heraus.

Besteht insoweit also ein Prüfungsrecht des Kunden, fällt Folgendes auf: Nicht erwähnt wird im Urteil insbesondere, dass sich kurz vor der vorliegenden Entscheidung der BFH im Urteil v. 6.12.2007[3] eingehend mit § 3 Abs. 6 und 7 UStG auseinandergesetzt hatte. Danach setzt die Anwendbarkeit der Regelung bereits das "Umsatzgeschäft" voraus, das zu einer Lieferung gegen Entgelt i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG führt. Grundlage der Versendung/Beförderung muss ein Umsatz im Sinne des UStG sein. Es genügt nicht, dass eine Versendung/ Beförderung erst bei Hi...

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