Leitsatz
Zinsen aus einer Kapitallebensversicherung, die nach Ablauf eines Zeitraums von mehr als zwölf Jahren nach Vertragsabschluss bei Weiterführung des Versicherungsvertrags gezahlt werden, sind in entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG steuerfrei.
Sachverhalt
K schloss 1982 eine Kapitallebensversicherung mit Sparanteilen auf den Erlebens- oder Todesfall ab. Der Vertrag sollte vom 1.4.1982 bis zum 1.4.2002 laufen. Am 1.9.1998 zahlte der Versicherer für den Zeitraum 1.4.1982 bis 1.9.1998 Zinsen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG von 16102 DM aus. Dem Begehren des K, die Überschussanteile aus der Versicherung steuerfrei zu stellen, da es sich um Erträge aus einer Lebensversicherung mit einer Laufzeit von mehr als zwölf Jahren handele und seit Vertragsschluss ein ebensolcher Zeitraum verstrichen sei, wies das Finanzamt mit der Begründung zurück, soweit Zinsen "aus einem laufenden Vertrag" ausgezahlt würden, gehörten sie zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Der BFH hat die Vorentscheidung bestätigt. Die Zinsen aus dem Versicherungsvertrag sind in entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG steuerfrei. Der Wortlaut der Regelung bezieht sich zwar nur auf Zinsen aus Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, die mit Beiträgen verrechnet oder im Versicherungsfall oder im Fall des Rückkaufs des Vertrags nach Ablauf von zwölf Jahren seit Vertragsabschluss ausgezahlt werden. Auch wenn diese drei Ausnahmefälle hier nicht erfüllt sind, ergibt sich doch aus den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber die Steuerfreiheit der Zinsen aus Sparanteilen, die in den Beiträgen zu Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall enthalten sind, vorrangig davon abhängig machen wollte, dass der Versicherungsvertrag Vorsorgezwecken dient, insbesondere der Altersvorsorge. Wenn aber der Gesetzgeber den Vorsorgezweck im Falle des Rückkaufs des Vertrags als erfüllt ansieht, sofern der Vertrag mindestens zwölf Jahre bestanden hat, kann es nach Ablauf des Zwölf-Jahres-Zeitraums keine Rolle spielen, ob es wegen Rückkaufs des Vertrags zu einer Vertragsbeendigung und damit zu einer vollständigen Auszahlung der außerrechnungsmäßigen und rechnungsmäßigen Zinsen aus den Sparanteilen kommt, oder ob es zwar zu einer Zinsauszahlung kommt, der Vertrag aber dennoch weitergeführt wird. Denn kann der Versicherungsnehmer nach Ablauf von zwölf Jahren sogar den gesamten Vertrag steuerunschädlich zurückkaufen, ist es nicht einsichtig, weshalb nach Verstreichen dieses Zeitraums die Auszahlung von Zinsen bei Weiterlaufen des Vertrags steuerpflichtig sein soll. Mit dem sog. "erst-recht"-Schluss kommt der BFH daher zu dem Ergebnis, dass gerade der Fall, dass der Vertrag trotz Auszahlung von Zinsen nach Ablauf des Zwölf-Jahres-Zeitraums weitergeführt wird und damit weiterhin Vorsorgezwecken dient, begünstigt sein muss.
Praxishinweis
Mit dem bloßen Wortlaut des Gesetzes war das Ergebnis des BFH nicht zu erreichen. Wenn der Gesetzgeber aber die Konstellation steuerlich begünstigt ist, in der es nach Ablauf von zwölf Jahren wegen Rückkaufs des Vertrags zur Vertragsbeendigung und damit zur vollständigen Auszahlung der Zinsen aus den Sparanteilen kommt, liegt es nahe, auch die Fälle zu begünstigen, bei denen der Versicherungsvertrag nach Ablauf des Zwölf-Jahres-Zeitraums trotz Auszahlung von Zinsen weitergeführt wird. Denn diese Variante trägt dem Vorsorgegedanken stärker Rechnung als der Fall der Vertragsbeendigung durch Rückkauf.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 12.10.2005, VIII R 87/03