Leitsatz
Das Tatbestandsmerkmal des "zu erstattenden Betrags" in § 233a Abs. 3 Satz 3 AO umfasst auch den Betrag, der im Wege der Aufhebung der Vollziehung vorab erstattet wird, wenn die Steuer in einem folgenden Änderungsbescheid tatsächlich herabgesetzt wird.
Sachverhalt
Die Einkommensteuer 1992 des S wurde zunächst auf 2441239 DM, während des Einspruchsverfahrens 1995 auf 4757324 DM und durch Änderungsbescheid vom Januar 1996 auf 4808349 DM festgesetzt. S entrichtete die Nachzahlungsbeträge und die gem. § 233a AO festgesetzten Nachzahlungszinsen.
Im Juli 1996 wurde die Vollziehung des Einkommensteuer-Bescheids 1992 in Höhe von 2330765 DM ab Fälligkeit aufgehoben und dieser Betrag erstattet. Im Januar 1997 wurde die Einkommensteuer 1992 wegen eines Verlustrücktrags aus 1993 auf 2117772 DM herabgesetzt. Gegenüber der bisher festgesetzten Steuer ergab sich ein Unterschiedsbetrag von 2690577 DM. Im geänderten Zinsbescheid vom 20.1.1997 legte das Finanzamt der Zinsberechnung den noch zu erstattenden Betrag von 359812 DM zu Grunde und setzte Erstattungszinsen von 47480 DM fest. Im Januar 1997 wurde die Einkommensteuer 1992 wegen eines Verlustrücktrags aus 1994 auf 0 DM festgesetzt. Dadurch erledigte sich der Einspruch gegen die ursprüngliche Veranlagung. Gleichzeitig wurden Zinsen für die Einkommensteuer 1992 auf 226833 DM festgesetzt und erstattet.
S macht geltend, auch der Betrag sei zu verzinsen, dessen Vollziehung aufgehoben wurde. Das Finanzamt wies den Einspruch gegen die Zinsfestsetzung mit der Begründung zurück, die nach § 233a Abs. 2 Satz 3 AO anzuwendende Ist-Verzinsung sei auf den tatsächlich zu erstattenden Betrag begrenzt. Das FG gab der Klage im Wesentlichen statt und entschied, das Finanzamt hätte der Zinsberechnung den Erstattungsbetrag von 359812 DM und den im Wege der Aufhebung der Vollziehung vorläufig erstatteten Betrag von 2330765 DM zu Grunde legen müssen.
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil bestätigt. Er geht davon aus, dass mit dem bisherigen Einkommensteuer-Bescheid 1992 im Januar 1997 auch die bisherige Zinsfestsetzung gem. § 233a Abs. 5 AO zu ändern war. Nach dieser Vorschrift ist eine Zinsfestsetzung zu korrigieren, wenn die Steuerfestsetzung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird. Maßgebend für die Zinsberechnung ist der Unterschiedsbetrag zwischen der neu und der bisher festgesetzten Steuer, jeweils vermindert um anzurechnende Steuerabzugsbeträge und Körperschaftsteuer. Der für die Zinsberechnung maßgebende Unterschiedsbetrag zwischen der neu und bisher festgesetzten Steuer, vermindert um Steuerabzugsbeträge, betrug im Streitfall unstreitig 2690577 DM (2330765 DM zuzüglich 359812 DM).
Die Kernfrage, ob der Zinsberechnung der gesamte Unterschiedsbetrag zu Grunde zu legen ist, oder nur der ausweislich der Abrechnung zum Einkommensteuer-Bescheid 1992 noch zu erstattende Betrag von 359812 DM, beantwortet der BFH unter Berücksichtigung des Zwecks und der Entstehungsgeschichte des § 233a AO dahin, dass der Wortlaut des § 233a Abs. 3 Satz 3 AO erweiternd auszulegen ist, so dass auch Beträge, die dem Steuerpflichtigen aufgrund einer Aufhebung der Vollziehung erstattet worden sind, dann als "zu erstattende Beträge" anzusehen sind, wenn der angefochtene Einkommensteuer-Bescheid später zu Gunsten des Steuerpflichtigen geändert wird. § 233a Abs. 3 Satz 3 AO soll nur sicherstellen, dass bei einem Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Steuerpflichtigen Erstattungszinsen nur für solche Zeiten gezahlt werden, in denen der Steuergläubiger tatsächlich einen Liquiditätsvorteil hatte und der Steuerschuldner tatsächlich nicht über das Geld verfügen konnte. Genau dieser Zweck wird erreicht, wenn bei einem späteren (teilweisen) Erfolg des Rechtsbehelfs auch der Betrag zu verzinsen ist, den der Steuerpflichtige aufgrund der ursprünglich höheren Steuerfestsetzung zunächst gezahlt hat und der ihm aufgrund Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung noch vor der Entscheidung über seinen Rechtsbehelf erstattet worden ist. Hingegen würde es zu sinnwidrigen und wirtschaftlich ungerechtfertigten Ergebnissen führen, wenn der Steuergläubiger für derartige Liquiditätsvorteile keine Erstattungszinsen zahlen müsste.
Praxishinweis
Fälle, in denen die Vollziehung noch vor Abschluss des Einspruchsverfahrens zu Gunsten der Steuerpflichtigen ausgesetzt wird und es zu einer Steuererstattung kommt, kommen in der Praxis nicht selten vor. Die Rezensionsentscheidung ist hierfür insofern von Bedeutung, als der BFH zu Gunsten der Steuerpflichtigen davon ausgeht, dass § 233a Abs. 3 Satz 3 AO auch den Betrag erfasst, der im Wege der Aufhebung der Vollziehung vorab erstattet wird, sofern die Steuer in einem späteren Änderungsbescheid tatsächlich herabgesetzt wird.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 19.4.2005, VIII R 12/04