Mieter hat Besitzrecht

Die Räumungsvollstreckung aufgrund des Zuschlagsbeschlusses soll nicht erfolgen, wenn der Besitzer des Grundstücks ein nicht erloschenes Recht zum Besitz hat (§ 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG).

Ein solches Besitzrecht gewährt auch der mit dem bisherigen Eigentümer geschlossene Mietvertrag (§ 57 ZVG).[1] Gibt es ernsthafte Anhaltspunkte für das Bestehen eines Mietvertrags, so darf die Vollstreckungsklausel nicht erteilt werden.[2]

Scheinvereinbarung

Angesichts drohender Zwangsvollstreckung in ein Familieneigenheim ist häufiger zu beobachten, dass sich ein naher Verwandter des früheren Eigentümers auf einen mit diesem abgeschlossenen Mietvertrag (zu meist ungewöhnlichen Bedingungen, z. B. Mietvorauszahlungen und/oder ungewöhnlich niedrige Miete, lebenslanges Wohnrecht) beruft. Dies hätte zur Folge, dass Erträge aus dem Grundstück für den Ersteigerer zum Vorteil des Mieters auf Dauer oder zumindest für einen sehr langen Zeitraum ausgeschlossen sind. Hier liegt der Verdacht kollusiven Verhaltens zum Nachteil der Gläubiger zumindest nahe. In derartigen Fällen bestehen Zweifel, ob der – meist nur in Kopie vorgelegte – (angebliche) Mietvertrag mit dem früheren Eigentümer tatsächlich zu dem darin angegebenen Zeitpunkt und mithin vor der Beschlagnahme des Grundstücks abgeschlossen worden ist. Hierfür trägt der Mieter die Nachweislast.[3]

Um einen Missbrauch der Schutzvorschriften des ZVG zu verhindern, muss der Mieter im Klauselerteilungsverfahren sein angebliches Besitzrecht glaubhaft machen.[4]

Sonderkündigungsrecht

Ein wirksam bestehender Mietvertrag wird durch die Zwangsversteigerung grundsätzlich nicht berührt. Die Mieterschutzvorschriften des BGB, auch bezüglich des Kündigungsschutzes, gelten hier entsprechend (§ 57 ZVG). Zwar hat der Ersteher ein sog. Ausnahmekündigungsrecht (§ 57a ZVG), das jedoch für Wohnraum stark eingeschränkt ist. Der Vorteil besteht für den Ersteher lediglich darin, dass die Kündigungsfrist 3 Monate beträgt (§ 573c Abs. 1 BGB).

Dabei will § 57 ZVG allein den zum Zeitpunkt des Zuschlags bereits besitzenden Mieter oder Pächter vor einer nachfolgenden Räumung schützen: Bei Räumung aus einem Zuschlagsbeschluss liegt ein die Räumung hinderndes Recht nicht vor, wenn der Besitz durch den Mieter erst nach Erteilung des Zuschlags erlangt wurde.[5]

Betreutes Wohnen

Dem Ersteher einer Wohnungseigentumseinheit steht das Sonderkündigungsrecht des § 57a ZVG gegenüber dem Mieter auch dann zu, wenn das versteigerte Wohnungseigentum Teil eines aus mehreren Wohnungseinheiten bestehenden und insgesamt für einen einheitlichen Zweck (hier: betreutes Wohnen) vermieteten Objekts ist. Der Ersteher kann von einem Mieter, der die Eigentumswohnung im Rahmen einer gewerblichen Weitervermietung an einen Endmieter zu Wohnzwecken vermietet hat, trotz Wirksamkeit der auf § 57a ZVG beruhenden Kündigung nicht Räumung und Herausgabe verlangen, weil der Endmieter wegen § 565 BGB unbeschadet dieser Kündigung zu Besitz und Nutzung berechtigt bleibt.[6]

Form und Frist

Die Kündigung muss zum frühest zulässigen Termin, d. h. unverzüglich und zudem schriftlich erklärt werden. Eine Überlegungsfrist von bis zu einer Woche ist i. d. R. ausreichend.[7] An den Begriff des "ersten zulässigen Termins" sind keine überspannten Anforderungen zu stellen. Er ergibt sich nach den Umständen des Einzelfalls.[8] Der Ersteher muss – wie jeder normale Vermieter – sein berechtigtes Interesse an der Kündigung (§ 573 Abs. 1 BGB) nachweisen.

Der Zeitpunkt der Verkündung des Zuschlags ist für die Bestimmung des ersten zulässigen Kündigungstermins im Sinne des § 57a ZVG auch dann maßgeblich, wenn neben der Zwangsversteigerung die Zwangsverwaltung angeordnet ist.[9]

Anfechtungsrecht des Mieters

Kommt es trotz Mietvertrags zur Räumung gegen den Mieter, kann dieser hiergegen zum einen die sog. Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO beim Prozessgericht erheben (§ 93 Abs. 1 Satz 3 ZVG) und im Rahmen dieser Klage die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragen (§§ 771 Abs. 3, 769 ZPO). Hier ist allerdings die Zuständigkeit des anzurufenden Gerichts zu beachten: Wendet sich der Kläger einer Drittwiderspruchsklage mit der Behauptung gegen einen Räumungstitel, dass er aufgrund eines Wohnraummietvertrags zum Besitz berechtigt sei, so ist für die Klage unabhängig von der Rechtsnatur des Räumungstitels ausschließlich das Amtsgericht sachlich zuständig. Denn es handelt sich um eine Streitigkeit über Ansprüche aus einem Wohnraummietverhältnis (§ 23 Nr. 2 lit. a GVG).[10]

Bereicherungsanspruch

Der Bereicherungsanspruch des Mieters wegen wertsteigernder Investitionen in das Mietobjekt, die der Mieter wegen vorzeitigen Mietendes nicht amortisieren hat können, richtet sich nicht gegen den ursprünglichen Vermieter, sondern gegen den Ersteigerer.[11]

[1] Hierzu Schmidberger, Rpfleger 2008, S. 105, 106 m. w. N.
[2] Dazu BGH, Beschluss v. 14.2.2008, V ZB 108/07, DGVZ 2008, S. 170.
[3] BGH, Urteil v. 21.9.2016, VIII ZR 188/15, NJW 2016, S. 3787.

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