Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Unternehmen, die international arbeiten, haben i. d. R. schon aufgrund ihrer Größe eine Struktur, in der Sicherheit und Gesundheitsschutz eine feste Größe darstellen (typisch als Health and Safety, kurz H&S bezeichnet, ggf. mit bestimmten Erweiterungen). Häufig haben sie international gültige, teils sehr hochgesteckte Zielvorgaben im Arbeitsschutz, z. B. auf höchster Ebene abgestimmte Verpflichtungserklärungen, genaues Monitoring von Unfallzahlen und Unterweisungen oder detaillierte sicherheitsbezogene Handlungsanweisungen für bestimmte Arbeitsvorgänge wie z. B. Dienstreisen, aber auch Alltagsvorgänge, wie den Transport von manuellen Lasten oder die Benutzung von Treppen.
Viele internationale Unternehmen legen außerdem großen Wert auf Compliance und möchten sicherstellen, dass alle als wesentlich erachteten rechtlichen Vorgaben und Standards eingehalten werden – möglichst weltweit. Daher haben sie grundsätzlich ein großes Interesse, dass neben den Konzernstandards auch die nationalen Vorgaben in den einzelnen Niederlassungen berücksichtigt und umgesetzt werden.
Nicht zuletzt haben oft sicherheitsbezogene Qualitätsstandards eine hohe Priorität.
In der Praxis geht es darum, aus dieser oft grundsätzlich positiven Ausgangslage ein gut funktionierendes Arbeitsschutzsystem für eine deutsche Niederlassung zu formen – und das ergibt sich oft nicht automatisch. Zu unterschiedlich sind die Unternehmensstrukturen, Denkansätze und Rechtssysteme und sehr unterschiedlich sind auch die Kompetenzen, Erfahrungen und Perspektiven der handelnden Personen.
Arbeitszeit
Schutzziele im Arbeitsschutz sind stark geprägt von z. T. jahrhundertealten Traditionen eines Landes bzw. einer Kultur. In Deutschland wie in ganz Europa gilt z. B. seit Langem als Konsens und gesicherte Erkenntnis, dass zu lange Arbeitszeiten dem Wohlbefinden und der Gesundheit abträglich sind. Dementsprechend gibt es rechtlich hochrangig abgesicherte Arbeitszeitregelungen, in Deutschland das Arbeitszeitgesetz. Das ist zwar schon aufgrund seines Alters in seiner Struktur und in Details nicht mehr ganz mit der realen Arbeitswelt kongruent, aber doch unangefochten rechtsrelevant.
Demgegenüber steht, dass in asiatischen Ländern mit westlich geprägtem Wirtschaftssystem, speziell in Japan und Südkorea, sehr lange Arbeitszeiten völlig selbstverständlich sind und keinesfalls als zu vermeidender Umstand angesehen werden. Sie sind vielmehr ein Ausdruck eines funktionierenden Arbeitsverhältnisses, das weit mehr als in Europa als Lebensgemeinschaft angesehen wird. Lange Arbeitszeiten werden auch deshalb angestrebt, weil nach japanischen Vorstellungen Arbeitnehmer im Gegenzug dazu von den Unternehmen Wertschätzung und Unterstützung erwarten dürfen, z. B. durch gemeinsame, von der Firma getragene gesellschaftliche Aktivitäten (gemeinsames Ausgehen, Unterhaltungs- oder Bildungsveranstaltungen, Kurzreisen), aber auch z. B. Hilfe bei der Ausbildung der Kinder oder in persönlichen Notlagen.
Wird eine deutsche Niederlassung eines z. B. japanischen Unternehmens mit der Forderung einer deutschen Aufsichtsbehörde nach Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes konfrontiert, ist es für japanische Führungskräfte zwar nachvollziehbar, dass ein deutsches Gesetz in Deutschland aus Prinzip einzuhalten ist. Dass aber beschränkte Arbeitszeiten Bestandteil der Unternehmenskultur eines japanischen Unternehmens werden, wird sich dadurch nicht automatisch ergeben. Zu unterschiedlich und zu fest verwurzelt sind die unterschiedlichen Wertvorstellungen. Daraus ergeben sich in Deutschland nahezu zwangsläufig Brüche in der gelebten Unternehmenspraxis, nach denen z. B. Angestellte japanischer Nationaliät zwar nach 8 oder 10 Stunden Tagesarbeitszeit wie vorgegeben ausstempeln, aber trotzdem im Betrieb weiterarbeiten.
Identifikation mit dem Unternehmen
In anderen Ländern und Kulturen, z. B. in Asien oder Nordamerika, ist die Indentifikation mit dem Unternehmen für einen angestellt Beschäftigten grundsätzlich eine andere. Wer z. B. in Amerika den Arbeitsvertrag unterschrieben hat, ist ab sofort Teil der Firmenfamilie und versteht sich auch so. Daraus folgt, dass es etwas leichter möglich ist, die Unternehmenskultur des Betriebs innerhalb der Belegschaft zu kommunizieren und zu leben.
In Deutschland legen Arbeitnehmer i. d. R. großen Wert auf ihre Selbstständigkeit als Individuum. Es ist umfassende Überzeugungsarbeit nötig, damit sie eine bestimmte Überzeugung oder Haltung annehmen, vor allem wenn sie diese nach außen vertreten sollen. Zwischen Beruf und Privatleben wird in Deutschland viel strikter getrennt, sodass deutsche Arbeitnehmer z. B. häufig empfindlich darauf reagieren, wenn das Unternehmen versucht, Einfluss auf Gesundheitsfragen zu nehmen, die hier dem persönlichen Lebensbereich zugeordnet werden. In amerikanischen Unternehmen ist demgegenüber die Hemmschwelle geringer, sich z. B. Firmenaktivitäten wie Betriebssportangeboten anzuschließen, und plakative Werbekampagnen für gesund...