1.1 Wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks
Das Handwerk hat als Wirtschaftsfaktor, Arbeitgeber und "Ausbilder der Nation" große Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft. Die rund 962.000 Handwerksbetriebe beschäftigen über 4,8 Mio. Erwerbstätige. Davon sind ca. 480.000 Auszubildende. Die Ausbildungsquote von rund 10 % ist weit überdurchschnittlich. In Deutschland sind damit 12,2 % aller Erwerbstätigen und 30,3 % aller Auszubildenden im Handwerk tätig. Darüber hinaus ist das Handwerk mit einem Umsatz von rund 490 Mrd. EUR (2007) ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor.
1.2 Struktur des Handwerks
Das Handwerk ist der vielseitigste Wirtschaftsbereich Deutschlands. Laut Handwerksordnung zählen derzeit dazu:
- 41 zulassungspflichtige Gewerbe, z. B. Augenoptiker, Dachdecker, Fleischer, Maurer und Betonbauer, Maler und Lackierer, Ofen- und Luftheizungsbauer sowie Zimmerer;
- 53 zulassungsfreie Handwerke, z. B. Behälter- und Apparatebauer, Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Schuhmacher, Raumausstatter und Uhrmacher;
- 57 handwerksähnliche Gewerbe, z. B. Bestattungsgewerbe, Bodenleger, Fleischzerleger und Ausbeiner, Gerber, Klavierstimmer und Requisiteure.
Das Handwerk ist strukturell von vielen Klein- und Kleinstbetrieben geprägt: Im Durchschnitt arbeiten in einem Handwerksbetrieb fünf Beschäftigte. Nicht einmal 10 % der Handwerksbetriebe haben mehr als 20 Beschäftigte. Mehr als drei Viertel aller Handwerksbetriebe haben weniger als zehn und etwas mehr als die Hälfte aller Handwerksbetriebe hat weniger als fünf Beschäftige (siehe www.zdh.de). Ein weiteres, wesentliches Merkmal von Handwerksbetrieben ist der dominierende Einfluss des Unternehmers und seine damit verbundene starke Auslastung. Sie führt zu einem typischen Flaschenhals-Effekt, d. h., alle wichtigen Entscheidungen, Innovationen, Veränderungen, betriebliche Prozesse und Informationen gehen vom Handwerksunternehmer aus oder "laufen über ihn". Damit werden die Kapazität des Unternehmers zur Engpassstelle und seine aktuellen Interessensschwerpunkte zum Motor des Handwerksbetriebs.
1.3 Arbeitsschutz in Handwerksbetrieben
Selbstverständlich gilt auch für die Mitarbeiter von Handwerksbetrieben die Prämisse, dass jeder Beschäftigte jeden Tag wieder gesund zu Hause ankommen soll. Die im Arbeitsschutzgesetz skizzierten Ziele des betrieblichen Arbeitsschutzes sind unabhängig von der Art und Größe einer Organisation gültig. Gleiches trifft auch für die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Vorgaben zum Arbeitsschutz zu, auch wenn der Gesetzgeber und die Unfallversicherungsträger ihre Forderungen teilweise an die Betriebsgröße bzw. die Gefährdungssituation anpassen (z. B. Erfordernis eines Arbeitsschutzausschusses, Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten).
Für einen Großteil der Handwerksbetriebe stellt eine wirksame und rechtskonforme Umsetzung des Arbeitsschutzes eine besondere Herausforderung dar. Die Gründe dafür sind:
- In vielen Handwerksbetrieben ist das Gefährdungs- und Belastungspotenzial aufgrund des Tätigkeitsspektrums deutlich höher als in anderen Wirtschaftsbereichen.
- Das Problembewusstsein ist in Handwerksbetrieben in der Regel unterdurchschnittlich. Die hohe Belastungssituation und die überdurchschnittlichen Unfallrisiken werden nur bedingt wahrgenommen, weil Unfälle in Klein- und Kleinstbetrieben trotzdem ein relativ seltenes Ereignis sind, arbeitsbedingte Erkrankungen selten als Folge schlechter Arbeitsbedingungen erkannt werden und der Umgang mit größeren Belastungen als durchaus "normal" gilt.
- Das Vorschriften- und Regelwerk im Arbeitsschutz ist sehr umfangreich und komplex. Eine Zusammenstellung der einschlägigen Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften etc. für einen kleinen Kfz-Betrieb ergab deutlich mehr als 100 zu beachtende Vorgaben.
- Vor allem die Klein- und Kleinstbetriebe verfügen zwar über das grundlegende Gestaltungswissen, aber nur in begrenztem Maße über das erforderliche Vorschriftenwissen sowie die spezifischen Gestaltungskompetenzen.
- Einer engagierten Umsetzung stehen gewichtige Barrieren im Weg. Zu nennen sind insbesondere die knappen zeitlichen und finanziellen Ressourcen, die emotional geprägten Vorbehalte der Betriebsinhaber gegenüber den vielen Regelungen zum Arbeitsschutz sowie deren Überlastung durch den oben skizzierten Flaschenhals-Effekt.
Ein großer Teil der Betriebsinhaber nimmt (deshalb) eine abwartende Position ein und handelt erst, wenn Ereignisse (z. B. schwere Unfälle) oder externer Druck (von Behörden, Versicherungen oder Kunden) sie dazu zwingen. Besser, aber nicht viel besser ist die Situation in Handwerksbetrieben, die sich für eine sicherheitstechnische und betriebsärztliche Betreuung entschieden haben. Viele Handwerksunternehmer empfinden die vom Gesetzgeber vorgesehene Beratung durch einen sicherheitstechnischen und betriebsärztlichen Dienst als Pflicht zur "Zwangsberatung", die nur Kosten verursacht. Da es viele Dienste anscheinend nicht schaffen, die Handwerker vom Nutzen ihrer Betreuungsmaßnahme zu überzeugen, verfestigt sich leider diese Fehleinschätzung. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Handwerksunterne...