6.1 Überblick
Neben den sich aus der privatrechtlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergebenden Arbeitnehmerrechten (vgl. z. B. §§ 618 und 619 BGB) sieht das ArbSchG auch öffentlich-rechtliche Rechte vor.
Die Arbeitnehmer haben das Recht,
- sich bei unmittelbarer erheblicher Gefahr durch sofortiges Verlassen des Arbeitsplatzes in Sicherheit zu bringen (§ 9 Abs. 3 ArbSchG, vgl. Abschn. 6.2),
- dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG, vgl. Abschn. 6.3),
- sich unter bestimmten Voraussetzungen bei der Nichteinhaltung der Regelungen des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes an die zuständige Behörde zu wenden, um sich zu beschweren (§ 17 Abs. 2 ArbSchG, vgl. Abschn. 6.4),
- sich regelmäßig arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen (§ 11 ArbSchG, vgl. Abschn. 6.5).
6.2 Entfernung bei Gefahr
Arbeitnehmer dürfen sich nach § 9 Abs. 3 ArbSchG bei unmittelbarer erheblicher Gefahr durch sofortiges Verlassen des Arbeitsplatzes in Sicherheit bringen, ohne dass ihnen dadurch Nachteile entstehen dürfen. Insbesondere behalten sie ihren Lohn- und Gehaltsanspruch, d. h., der Arbeitgeber darf den Lohn oder das Gehalt in einem solchen Fall für die Zeit der Abwesenheit vom Arbeitsplatz nicht kürzen.
Objektiv vorliegende Gefahrenlage
Voraussetzung für das Entfernungsrecht ist eine objektiv vorliegende Gefahrenlage. Geht der Arbeitnehmer zwar subjektiv, d. h. in seiner Vorstellung und Beurteilung von einer solchen Gefahrenlage aus, besteht diese objektiv aber nicht, hat er kein Entfernungsrecht.
Nimmt ein Arbeitnehmer zu Unrecht das Vorliegen einer unmittelbaren erheblichen Gefahr an, richten sich die Folgen der Entfernung vom Arbeitsplatz nach dem Grund der Fehlvorstellung. War diese unverschuldet, verliert er lediglich den Vergütungsanspruch für die Zeit der Abwesenheit. Bei verschuldeter Fehlbeurteilung kommt zu dem Verlust des Vergütungsanspruchs noch ein eventueller Schadensersatzanspruch gegenüber dem Arbeitgeber in Betracht. Geht die Fehlbeurteilung allerdings auf ein Verschulden des Arbeitgebers zurück – z. B. wegen ungenügender Unterrichtung (vgl. §§ 8 und 9 ArbSchG) – bleibt der Vergütungsanspruch bestehen.
6.3 Vorschlagsrecht
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG sind die Arbeitnehmer berechtigt, dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen.
Vorschlagsrecht
Bei dem Vorschlagsrecht handelt es sich um ein reines Anhörungsrecht. Ein Anspruch auf Umsetzung der Vorschläge durch den Arbeitgeber besteht nicht.
Der Arbeitgeber ist aber verpflichtet, die Vorschläge entgegenzunehmen, diese zu prüfen und den Arbeitnehmer – falls gewünscht – über das Ergebnis der Prüfung zu unterrichten.
6.4 Beschwerde-/Anzeigerecht
Nach § 17 Abs. 2 ArbSchG haben die Arbeitnehmer das Recht, sich an die zuständige Behörde zu wenden, um sich zu beschweren und einen Mangel im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz anzuzeigen. Voraussetzungen dafür sind allerdings, dass
- es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zu gewährleisten, und
- der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden von Arbeitnehmern nicht abgeholfen hat.
Für die außerbetriebliche Beschwerde oder Anzeige gilt also nach dem ArbSchG der Ultima-ratio-Grundsatz. Die Arbeitnehmer sind allein schon zur Wahrung des innerbetrieblichen Friedens verpflichtet, sich bei Beschwerden über Mängel im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz zunächst an ihren Arbeitgeber zu wenden. Ausnahmen hiervon sind denkbar, z. B. bei Straftaten des Arbeitgebers oder bei erheblichen Gefahrenlagen, auf die der Arbeitgeber trotz Kenntnis nicht unverzüglich reagiert. Zuständige Behörde wird in den meisten Fällen die Gewerbeaufsicht oder der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, d. h. die Berufsgenossenschaft, sein.
Macht ein Arbeitnehmer aber berechtigt von seinem Beschwerde-/Anzeigerecht Gebrauch, dürfen ihm dadurch keine Nachteile entstehen – z. B. im beruflichen Fortkommen oder bei der Zahlung von Gratifikationen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG).
6.5 Vorsorgeuntersuchungen
Arbeitnehmer haben nach § 11 ArbSchG das Recht, sich je nach den Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit regelmäßig arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Ausnahme: Aufgrund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen ist nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen.
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, von sich aus Arbeitnehmer arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Maßgeblich ist insoweit zunächst der Wunsch des Arbeitnehmers. Etwas anderes gilt natürlich dann, wenn sich eine solche Untersuchungspflicht aus einer anderen Rechtsgrundlage ergibt. Für bestimmte gefährdende Tätigkeiten kann sich eine solche Verpflichtung aus einer auf der Grundlage von § 18 Abs. 2 Nr. 4 ArbSchG erlassenen Verordnung ergeben. Verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen sind z. B. geregelt in §§ 10 ff. DruckluftVO o...