Dr. med. Hanns Wildgans, Dr. med. Tilman Günther
Zusammenfassung
Seit 2004 gibt es das Instrument des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). Es ist im Schwerbehindertenrecht im SGB IX verankert, entfaltet seine Wirksamkeit aber über alle Beschäftigten in öffentlichen und privatwirtschaftlichen Betrieben.
In Abgrenzung zur "stufenweisen Wiedereingliederung" nach § 74 SGB V, welche eine schrittweise Wiederaufnahme der vorangegangenen Tätigkeit über mehrere Wochen darstellt, handelt es sich beim BEM nach § 167 Abs. 2 SGB IX um einen "offenen Suchprozess" nach einer beliebigen Tätigkeit im selben Unternehmen ohne weiterbestehende Arbeitsunfähigkeit, die der Qualifikation sowie der psychischen und physischen Leistungsfähigkeit des Erkrankten entspricht.
Beide Maßnahmen sind nach § 3 des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) den Beratungsaufgaben der Betriebsärzte zuzuordnen. Diese beraten einerseits den Arbeitgeber bei Fragen des Arbeitsplatzwechsels sowie der Eingliederung und Wiedereingliederung Behinderter in den Arbeitsprozess. Andererseits übernehmen sie die arbeitsmedizinische Untersuchung und Beratung der Beschäftigten.
Das BEM dient dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und deshalb sowohl den Unternehmen als auch den Beschäftigten. Damit ein BEM langfristig wirksam werden kann, empfiehlt es sich, einen betrieblichen Prozess "BEM" in die betriebliche Organisationsstruktur zu implementieren. Wichtig ist das strukturierte Zusammenarbeiten aller beteiligten Akteure. Dieser Beitrag hat dabei die Rolle der Betriebsärzte im Fokus.
1 Einleitung
Betriebliches Eingliederungsmanagement wurde in § 167 (früher § 84) des SGB IX schon 2004 gesetzlich verankert. Eine Vielzahl von Veröffentlichungen hat sich diesem Thema gewidmet und eine große Zahl von Gerichtsurteilen zum BEM wurden gesprochen.
In vielen, vor allem großen Unternehmen ist das BEM inzwischen fester Teil des Personalmanagements und wird praktisch gelebt; Klein- und Mittelbetriebe scheuen teilweise den Aufwand, akzeptieren lieber mehrmonatige Krankheitsausfälle und folgen dann lieber dem juristischen Rat zur krankheitsbedingten Kündigung und verlieren damit viel Erfahrung und wertvolle Fachkräfte im Unternehmen. In Arbeitsgerichtsverfahren ist mittlerweile der Nachweis eines vorangegangenen BEM-Verfahrens Voraussetzung für die Annahme von Kündigungsschutzklagen.
Der Gesetzgeber wendet sich mit dem BEM an den Unternehmer, der aus praktischen Gründen schon wegen der Überwachung des 12-Monats-Zeitraums hiermit meist die Personalabteilung beauftragt. Das Eingliederungsmanagement wird dann typischerweise von der Personalabteilung zusammen mit Vorgesetzten, Betriebsräten und ggf. der Schwerbehindertenvertretung durchgeführt. Aber auch die Beteiligung von Sicherheitsfachkräften kann sinnvoll sein, denn sie haben Kenntnisse des Arbeitsplatzes, die für Wiedereingliederungsfälle wichtig sein könnten. Betriebsärzte werden in kleineren Betrieben leider eher selten hinzugezogen, da sie im Rahmen ihrer Grundbetreuung oft nur wenige Stunden im Betrieb sind.
Ziele des BEM sind
- das Überwinden der Arbeitsunfähigkeit,
- der Erhalt des Arbeitsplatzes,
- die Vorbeugung vor erneuter Arbeitsunfähigkeit sowie
- die Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen, einschl. chronischer Erkrankungen und Behinderungen bei der Weiterführung des Beschäftigungsverhältnisses.
Ziel ist nicht, mit dem BEM die Kündigung einzuleiten, wie es durchaus gelegentlich fehlinterpretiert wird.
2 Überblick über die Rahmenfaktoren eines BEM
Das BEM ist eine stets auf den Einzelfall abgestimmte Maßnahme im Unternehmen, die hohe Anforderungen an die Vertrauenskultur und gegenseitige Wertschätzung stellt. Das Verfahren und der daraus resultierende Benefit sollte allen Beschäftigten bekannt sein. Idealerweise sind die Ziele und betrieblichen Abläufe in einer Betriebsvereinbarung dokumentiert. Dies kann betroffenen Beschäftigten die Sicherheit geben, dass die eingeleiteten Maßnahmen wirklich der Eingliederung dienen und nicht eine Ausgliederung oder krankheitsbedingte Kündigung beabsichtigen.
2.1 Allgemeine Voraussetzungen
Die Teilnahme der Beschäftigten ist freiwillig. Bei einer Ablehnung dürfen keine arbeitsrechtlichen Nachteile entstehen. Die Beschäftigten entscheiden bei Bedarf über Abbruch und ggf. Wiederaufnahme des BEM und können auch über die Teilnehmer am Verfahren mitentscheiden. Betriebs- und Personalräte sowie eine im Betrieb tätige Schwerbehindertenvertretung haben Mitwirkungsrecht. Das Hinzuziehen des Betriebsarztes ist sinnvoll, aber optional. Außerdem können auch Sozialberater, Psychologen und externe Rehabilitationsträger wie Krankenkassen, Rentenversicherungsträger sowie ggf. das Integrationsamt und Unfallversicherungsträger beteiligt werden.
Die Einbindung des Betriebsarztes ermöglicht dem Integrationsteam, eine fachgerechte Einschät...