Im Folgenden soll ein Gesundheitsmodell vorgestellt und beschrieben werden, das auch Grundlage der weiteren Kapitel in diesem "Handbuch Lehrergesundheit" ist. Denn Gesundheitsförderung bedarf eines theoretischen Rahmenmodells, innerhalb dessen unterschiedliche konzeptuelle und methodische Ansätze begründet und integriert und aus dem praxisrelevante Schlussfolgerungen gezogen werden können. Das im Folgenden skizzierte systemische Anforderungs-Ressourcen-Modell (SAR-Modell) liefert einen derartigen Rahmen.
Das Anforderungs-Ressourcen-Modell versteht Gesundheit oder Krankheit als Resultat von Anpassungs- und Regulationsprozessen zwischen einem Individuum und seiner Umwelt. Sowohl die Umwelt als auch das Individuum werden als komplexe hierarchisch strukturierte Systeme aufgefasst. Diese Systeme und deren Subsysteme oder Systemelemente stehen in Interaktion und beeinflussen sich wechselseitig. Wichtige Beeinflussungsprozesse können mithilfe der Begriffe "Anforderungen" und "Ressourcen" beschrieben werden (Blümel, 2011).
Das Individuum muss Anforderungen, die entweder aus der Umwelt oder von dem Individuum selbst stammen, unter Nutzung interner und externer Ressourcen bewältigen. Der Gesundheitszustand eines Individuums hängt davon ab, wie gut dieses gelingt. Die in diesem Modell unterschiedenen Einflussgrößen und postulierten Wirkzusammenhänge finden sich in vielen anderen Theorien zur Entstehung von Stress oder der Salutogenese wieder und sind weithin akzeptiert. Die folgende Abbildung soll das SAR-Modell verdeutlichen:
Abbildung 2.2: Bedingungsmodell für Gesundheit, Quelle: BECKER 2003, BLÜMEL, 2011
Anforderungen sind als Aufgaben und Bedingungen zu verstehen, mit denen sich das Individuum auseinandersetzen muss. Unter Ressourcen versteht man die Kräfte und Kompetenzen, die Individuen zur Bewältigung der Anforderungen zur Verfügung stehen (vgl. auch die Definitionen in Kap. 2.1.3). Von den Ressourcen hängt wesentlich ab, ob die Anforderungen als Belastungen erlebt werden oder nicht. Von den Ressourcen hängt ebenfalls ab, ob diese Belastungen nur kurzzeitig auftreten, etwa in bestimmten Situationen oder zu bestimmten Zeitpunkten, oder ob sie langfristig und dauerhaft auftreten und damit zu gesundheitsschädlichen Beanspruchungen werden können. Anforderungen und Ressourcen gibt es nicht nur auf der Seite des Individuums, sondern auch auf der Seite der (privaten und beruflichen) Umwelt.
Interne Anforderungen
Mit internen Anforderungen sind die Bedürfnisse, Werte, Normen und Ziele eines Individuums gemeint, auf deren Erfüllung sein Handeln gerichtet ist. Zu den fundamentalen Bedürfnissen des Menschen werden neben den existenziellen Bedürfnissen nach Nahrung, Bewegung und Schlaf das Bedürfnis nach Anerkennung, Sicherheit, Zugehörigkeit, Macht, Selbstverwirklichung etc. gezählt. Das Handeln von Individuen ist auf die Befriedigung aktueller Bedürfnisse gerichtet. Insofern repräsentieren die aktuell handlungsleitenden Bedürfnisse Anforderungen, die das Individuum zu erfüllen versucht. Weiterhin versucht das Individuum, erworbenen Werte- und Normenvorstellungen zu genügen. Diese können sich als eigenes Anspruchsniveau bei der Erfüllung beruflicher Anforderungen zeigen, z. B. in der persönlichen Zielsetzung. Das bedeutet, die Bedürfnisse, Werte und Normen einer Person stellen einen internen Bewertungsmaßstab dar, an dem der Erfolg und die Qualität eigenen Handelns gemessen werden.
Externe Anforderungen
Neben den internen Anforderungen existieren externe Anforderungen, die von der (privaten und beruflichen) Umwelt gestellt werden. Diese beinhalten soziale Erwartungen, Normen und Werte. In Bezug auf den Beruf bestehen implizite und explizite Erwartungen an die Qualität von Arbeit und an die zu erreichenden Ziele. Im Privatbereich bestehen Anforderungen an private Rollen des Individuums, etwa an die Rolle als Mutter oder Vater, als Ehepartnerin oder Ehepartner, als Freund oder Freundin. Interne und externe Anforderungen sind nicht unabhängig voneinander: Die individuellen Werte und Normen sind z. B. geformt von sozialen und kulturellen Einflüssen.
Interne und externe Ressourcen
Den internen und externen Anforderungen stehen interne und externe Ressourcen gegenüber. Interne psychische und physische Ressourcen umfassen die Kompetenzen und Eigenschaften eines Individuums sowie die körperlichen Voraussetzungen, die für die erfolgreiche Bewältigung von internen und externen Anforderungen von Bedeutung sind. Interne Ressourcen der Person sind etwa Fähigkeiten, Eigenschaften, Überzeugungen der eigenen Handlungsfähigkeit (Selbstwirksamkeitsüberzeugungen) oder auch physische Voraussetzungen wie Körpermerkmale, Belastbarkeit, Fitness usw. Die externen Ressourcen sind diejenigen, die in der Umwelt des Individuums bestehen. Hierzu gehören soziale Ressourcen (z. B. private soziale Stützsysteme, Zusammenhalt im Kollegium, Unterstützung durch die Schulleitung, Möglichkeiten kollegialer Beratung), berufliche Ressourcen (z. B. Kontrolle über die Arbe...