Work-Life-Balance
In diesem Interview mit der Haufe Arbeitsschutz Redaktion erklärt Prof. Dr. Julia Krampitz, Professorin an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, welche Teilbereiche für eine Work-Life-Balance mit einzubeziehen sind und mit welchen Verhaltensweisen sich eine Dysbalance wieder ausgleichen lässt.
Was ist Work-Life-Balance?
Was versteht man eigentlich unter einer Work-Life-Balance?
Kaum ein anderer Begriff hat im Bereich von psychischer Gesundheit und Stressprävention eine solche Popularität erlangt wie Work-Life-Balance. Für mich persönlich ist Work-Life-Balance ein nicht klar abgegrenzter Begriff, mit dem das ausgeglichene Verhältnis von Arbeits- und Privatleben bezeichnet wird. Traditionell gesehen bezieht sich Work auf den beruflichen Bereich, doch auch Hausarbeit, Bildungsarbeit, Erziehungsarbeit, Aushilfsarbeit oder Freizeitarbeit zählen dazu. Aus meiner Sicht wäre es treffender, von Life-Domain-Balance oder Work-Life-Integration zu sprechen.
Was ist damit gemeint?
Diese Begriffe schließen Arbeit als Teil des Lebens ein und versuchen nicht, Leben und Arbeit isoliert voneinander zu betrachten. Zu den Domains, also Bereichen, gehören Erwerbs- und Hausarbeit, Ehrenämter, Familie, soziale Kontakte, Freizeit, Hobby, Sport, Gesundheit. Es geht darum, diese unterschiedlichen Lebensbereiche ins Gleichgewicht zu bringen. Work-Life-Integration heißt, frei zu entscheiden, wann und wo wir etwas machen. Aus meiner Sicht hat Work als Broterwerb allein längst ausgedient.
Der Wunsch vieler Menschen nach einer beruflichen Tätigkeit, mit der sie sich identifizieren können, verdeutlicht, dass Work ein fundamentaler, aber auch sehr individueller Bestandteil unseres Lebens ist. Das Streben nach materieller Absicherung sowie einem gewissen Maß an Selbstbestimmtheit und Zugehörigkeit zu anderen scheint bei allen ähnlich zu sein. Im Idealfall schafft sich der Mensch im Laufe seines Lebens selbst ein privates und berufliches Umfeld, welches seinen persönlichen Fähigkeiten und Neigungen bestmöglich entspricht.
Wenn die Balance gestört wird
Wie gerät die Balance aus dem Gleichgewicht?
Der Mensch lebt nicht losgelöst und isoliert in einer Gesellschaft, sondern innerhalb eines Systems mit unterschiedlichen Untersystemen. Wir als Menschen erfüllen in diesen Subsystemen verschiedene Rollen und Funktionen, um die Balance herzustellen und unseren Lebenssinn zu kreieren. Aus dem Gleichgewicht kommen wir dann, wenn unsere Lebensbereiche, unsere Rollen und Funktionen im Konflikt stehen. So können beispielsweise die beruflichen Anforderungen das Familienleben beeinträchtigen oder die familiären Anforderungen zu Konflikten im Beruf führen.
Was sind klare Hinweise darauf, dass ein Ungleichgewicht eingetreten ist?
Eine schlaflose Nacht ist sicher noch kein Grund zur Sorge, aber mehrere Wochen, in denen wir nachts aufwachen und über Arbeitsprobleme nachdenken, weisen auf eine klare Dysbalance hin. Mögliche Hinweise eines Ungleichgewichts lassen sich auf vier unterschiedlichen Ebenen erkennen:
- der körperlichen Ebene,
- der emotionalen Ebene,
- der mentalen Ebene und
- der sozialen Ebene.
Auf der körperlichen Ebene könnten es neben der Beeinträchtigung des Schlafes unter anderem Müdigkeit, Verspannungen, Kopfschmerzen, Veränderung der Essgewohnheiten oder Magen-Darm-Beschwerden sein. Eine emotionale Dysbalance kann sich in Frustration, Ungeduld, weniger Einfühlungsvermögen, verminderter emotionaler Belastbarkeit oder Ängstlichkeit zeigen. Als mögliche mentale Signale lassen sich Konzentrationsstörungen, Tagträume, Unproduktivität, ein Gefühl der Überforderung, Entscheidungsschwäche oder auch genereller Motivationsmangel ausmachen. Im sozialen Bereich zeigt sich eine ausgesprochene Tendenz zum Rückzug. Soziale Aktivitäten werden zurückgefahren und andere Menschen mit ihren Interessen, Wünschen und Ansprüchen werden als zusätzliche Anstrengung wahrgenommen.
Gibt es typische Verhaltensweisen, die zu einem Ungleichgewicht führen?
Die Balance hängt von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab. Die Wissenschaft nennt unter anderem folgende gesundheitsschädlichen Risikofaktoren:
- niedriger sozialer und ökonomischer Status,
- berufliche Belastungen,
- kritische Lebensereignisse,
- Persönlichkeitsfaktoren und
- die individuelle Lebensführung.
Ein hoher Arbeitseinsatz mit langen Arbeitszeiten, das Missachten von Pausenzeiten und das Ignorieren von Entspannungsbedürfnissen führen zu Dysbalancen. Problematisch ist beispielsweise eine perfektionistische Einstellung („Ich darf mir keine Fehler erlauben. Ich bin für alles verantwortlich“), eine Geringschätzung der eigenen Kompetenz („Ich schaffe es sowieso nicht“), ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis („Ich darf nicht Nein sagen“) oder die Überzeugung, von außen gesteuert zu sein („Ich bin nur ein ganz kleines Rad im Getriebe, andere bestimmen über mich“).
Die Balance zurückholen
Wie bringt man Work und Life wieder in die Balance?
Im Hinblick auf „familienfreundliche Betriebe“ sollten aus meiner Sicht folgende Aspekte Berücksichtigung finden: flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte, eine gute Informations- und Kommunikationspolitik sowie Führungs- und Unternehmenskultur, Gesundheitsförderung, Personalentwicklung sowie unterstützende Serviceleistungen. Der Einzelne kann zur eigenen Balance beitragen, wenn er sich Ziele und Prioritäten setzt, seine Zeit und Energie sinnvoll einteilt und Methoden zur Stressbewältigung anwendet.
Gibt es Personen, die grundsätzlich gut gegen ein Ungleichgewicht gewappnet sind?
Solche Personen besitzen meines Erachtens Klarheit über ihre Werte, sie haben ein konkretes Lebenskonzept und sie sehen sich Arbeitsaufträgen, der Umwelt oder Ereignissen nicht ausgeliefert, sondern nehmen sich als aktive, verantwortungsbewusste Personen wahr. Gleiten sie gedanklich in eine Opferhaltung ab, schaffen sie es schnell, sich wieder zu aktivieren und Eigenverantwortung zu übernehmen. Sie können ihre Emotionen steuern und Impulse kontrollieren.
Haben Sie einen Geheimtipp?
Ich denke der Geheimtipp lautet: Finde heraus, was Work-Life-Balance für dich persönlich heißt. Welche Lebensbereiche sind für dich elementar, zum Beispiel Gesundheit, soziales Umfeld, Sinn, Selbstverwirklichung und Arbeitsleben? Man sollte seine Werte kennen und sich Zeit für sich selbst und seine Familie nehmen. Man sollte lernen, Nein zu sagen, Unterstützung anzunehmen, und feste Erholungs- und Wohlfühlmomente einplanen. Schon zwei Minuten wirken Wunder.
Man sollte sich aber auch vor Augen führen, dass die Arbeit nicht nur Lebenszeit in Anspruch nimmt, sondern auch viel Bereicherung schenken kann. Ich persönlich genieße es, Klarheit über diese Fragen zu haben und mit täglichen Routinen wie beispielsweise Yoga, Laufen und einem Powerfrühstück ausgeglichen in den Tag zu starten.
-
Wiedereingliederung - was ist zu beachten?
4.8671
-
Bildschirmbrille: Fragen und Antworten
4.116
-
Arbeitsmedizinische Vorsorge: Pflicht oder freiwillig?
2.803
-
Was tun, wenn der Frosch nicht verschwinden will
1.042
-
Dürfen Mitarbeiter frei bestimmen, wie sie ihre Pause verbringen?
1.028
-
Arbeitsstättenverordnung: Wann ist ein Pausenraum Pflicht?
987
-
Wutausbrüchen am Arbeitsplatz souverän begegnen
730
-
ASR A3.5: Ab wann ist die Raumtemperatur am Arbeitsplatz zu kalt?
686
-
Gefahr durch Epoxidharz wird unterschätzt
424
-
Nachtschichtuntauglichkeit: Wenn ein Mitarbeiter nicht mehr nachts arbeiten darf
402
-
Wie sich Arbeitsplätze altersfreundlich gestalten lassen
17.12.2024
-
Burnout bei „Interaktionsarbeit“: Welche Berufe sind besonders betroffen?
12.12.2024
-
Mitarbeiterbindung als Erfolgsfaktor
06.12.2024
-
Fünf-Schicht-System: Grundlagen, Funktion und Arbeitsschutz
04.12.2024
-
Wiedereingliederung nach psychischen Erkrankungen
02.12.2024
-
Wie sich neue Arbeitsformen auf Leistung und Beanspruchung auswirken
29.11.2024
-
Vier-Schicht-System: Grundlagen, Funktion und Arbeitsschutz
28.11.2024
-
Barrierenmanagement im BGM
21.11.2024
-
Drei-Schicht-System: Grundlagen, Funktionsweise und Arbeitsschutz
20.11.2024
-
Wutausbrüchen am Arbeitsplatz souverän begegnen
11.11.2024