Die Arbeit als Lehrkraft erfordert vor allem auch emotionale Kompetenzen, gilt es doch, täglich eine Vielzahl von Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen zu gestalten.
Trotz engagierter Bemühungen gelingt es nicht immer, alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen und zum Lernziel zu führen, der Bildungs- und Erziehungsauftrag ist immer unvollendet. Das Aushalten widersprüchlicher Rollenerwartungen kann zusätzlich zur Dauerbelastung werden, wenn keine geeigneten Handlungsoptionen gefunden werden. Die Unterstützung und Förderung von Schülerinnen und Schülern einerseits und das Einhalten persönlicher und zeitlicher Belastungsgrenzen andererseits auszubalancieren, stellt eine zentrale Anforderung des Lehrerberufs dar.
Im Lehrerberuf mangelt es nicht an emotionalen Herausforderungen. Problematisch sind insbesondere negative Emotionen wie Ärger und erlebte Kränkung. So wird das Ausbleiben von Schülerleistungen von Lehrkräften nicht selten als persönliche Kränkung erlebt, ebenso leiden etliche unter dem Gefühl von Macht- und Kontrollverlust innerhalb von Schule und Klassenraum. Ebenfalls kann die Abwertung des Berufs oder des Unterrichtsfachs eine Kränkung darstellen. Miller (1999) kommt zu der Einschätzung, dass sich eine Lehrkraft hochgerechnet über fehlende Hausaufgaben und mangelnde Disziplin im Klassenraum bei 40 Dienstjahren durchschnittlich 80.000 Mal ärgern könnte. Mögliche Folgen von Ärger und Kränkung sind sozialer Rückzug, Aggression oder psychosomatische Symptome.
Das Erleben von Enttäuschungen ist eine Alltagserfahrung für Lehrkräfte: Eine Stunde ist nicht so gelaufen wie geplant, ein Schüler, in den Sie große Hoffnungen gesetzt hatten, schafft den Schulabschluss doch nicht, die Kolleginnen und Kollegen lehnen eine Idee ab, die Ihnen wichtig war. Dabei wird häufig übersehen, dass Enttäuschungen erst dann entstehen, wenn
- eigene Ansprüche auf andere übertragen werden und nicht erfüllt werden
- sich andere nach den eigenen Vorstellungen verändern sollen und dies nicht tun
- für andere gesorgt wird und diese Verantwortung für sich beanspruchen
- andere sich verändern und wir dies nicht akzeptieren.
Eine Möglichkeit, Kränkungen und Enttäuschungen zu bewältigen ist, sich die eigenen Erwartungshaltungen zu verdeutlichen und diese ggf. an die vorgefundene Realität anzupassen (flexible Zielanpassung). Auch ist zu prüfen, ob es im beruflichen und privaten Bereich bereits ähnliche Anlässe für Enttäuschungen gab. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass Enttäuschungen einem bestimmten Muster folgen, das nicht selten biografisch geprägt ist.
Wenn Lehrkräfte das Verhalten anderer Personen als persönliche Kränkung erleben kann es nötig sein, Verantwortlichkeiten klar zuzuweisen. So kann bei wiederholter Unpünktlichkeit eines Schülers deutlich darauf hingewiesen werden, dass der Unterricht pünktlich beginnt. Die Unpünktlichkeit eines Schülers kann dann explizit in dessen Verantwortung gelegt werden. Auch innere Stoppschilder und Humor sorgen dafür, dass Kränkungen nicht zu "Krankmachern" werden. Die Unterscheidung zwischen der eigenen Person und anderen ist insbesondere im "Ärgerfall" wichtig. Bei Ärger wird meist viel über den Anlass oder die Ursache des Ärgers ausgesagt und weniger über die Person, die sich ärgert. Emotionale Kompetenz bedeutet jedoch, dass in der Reaktion auf ein störendes Schülerverhalten trotzdem erkannt wird: Ich ärgere mich, weil ich mich ohnmächtig oder ausgeliefert fühle bzw. weil ich meine Ziele verfehlt habe (statt: Ich ärgere mich über den Schüler).
Ein gesundheitsförderlicher Umgang mit Gefühlen setzt zunächst voraus, dass Gefühle differenziert wahrgenommen werden können. Statt sich der eigenen Gefühle zu schämen, diese zu verdrängen oder durch Ironie oder Sarkasmus abzuwehren sind hier Fähigkeiten der Selbstwahrnehmung und Artikulation erforderlich, auf die Lehrkräfte häufig keinen Zugriff haben. Erst unter dieser Voraussetzung ist aber eine häufig geforderte Unterscheidung zwischen Sach- und Gefühlsbotschaft möglich. Supervision und andere Beratungsformate können hier Unterstützung bieten: Persönliche Befindlichkeiten werden hier erfragt, damit verbundene Körperempfindungen und Deutungsmuster gezielt in den Blick genommen. In der Arbeit mit Lehrkräften kann hier nicht selten beobachtet werden, dass der Gefühlszustand der Supervisanden und Supervisandinnen im Laufe eines Supervisionsprozesses zunehmend differenzierter beschrieben werden kann. Die differenzierte Beschreibung eröffnet dann auch häufig neue Lösungsansätze.
Ob Anforderungen als Belastung wahrgenommen werden oder nicht, hängt letztlich von der Deutung und Bewertung der erlebten Situationen ab.
- Ist die Schülerin bzw. der Schüler "untragbar" oder fühle ich mich durch sein Verhalten irritiert, verunsichert?
- Erweisen sich Korrekturen oder Zeugnisse als Zeitfresser oder haben sie einen angemessenen Platz in der täglichen/monatlichen/jährlichen Arbeitsorganisation?
Gewohnheitsmäßige individuelle Deutungen werden an Schulen häufig durch ...