Verschiedene Studien belegen den Wert der Achtsamkeit (engl. mindfulness) für die Gesundheit und das Wohlbefinden (Kabat-Zinn, 2007, Kaltwasser, 2010).
Definition Achtsamkeit bedeutet das bewusste Wahrnehmen dessen, was gerade geschieht. Achtsam sein heißt, eine nicht bewertende, akzeptierende Haltung einzunehmen und den sinnlichen Erfahrungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken (Huppertz, 2006). |
Achtsamkeit fördert das freundschaftliche Verhältnis zur eigenen Person und damit auch das Gefühl einer sicheren Verbundenheit mit anderen und der Lebenswelt. Damit zeigt das Konzept der Achtsamkeit eine große inhaltliche Nähe zum Kohärenzgefühl (vgl. Kap. 2.4.3), vor allem zur Sinnhaftigkeit. Achtsamkeit wird übereinstimmend definiert als ein unmittelbares, nicht wertendes und kontinuierliches Gewahrsein der körperlichen, emotionalen und geistigen Prozesse.
Tipp: Übung |
Versuchen Sie, jetzt im Moment eine achtsame Haltung einzunehmen. Während sie diesen Abschnitt lesen: Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf? Versuchen Sie, diesen Gedanken nicht zu folgen, sondern sie lediglich kurz zu benennen und ihnen eine Überschrift zu geben, z. B. "Staunen" oder "Erinnern". Beobachten Sie, welche weiteren Gedanken sich anknüpfen. Sie können dabei den Atem als "Anker" nehmen, d. h. die Ein- und Ausatmung bewusst wahrnehmen. |
Kabat-Zinn (2007) hat die Achtsamkeitspraxis aus dem ursprünglich buddhistischen Kontext gelöst und in der Stress-Reduction-Klinik in einem säkularisierten Format angeboten. Sein achtwöchiges Programm "Stressbewältigung durch Achtsamkeit" (engl. "Mindfulness-Based Stress Reduction", kurz MBSR) wurde bei der Behandlung unterschiedlicher Störungsbilder erfolgreich eingesetzt und findet in letzter Zeit auch immer mehr Einzug in die Pädagogik.
Übungen zur Achtsamkeit finden Sie unter www.handbuch-lehrergesundheit.de. |
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Dauber (2009) versteht Achtsamkeit im Kontext der Lehrergesundheit als innere und äußere Haltung: Man lässt sich bewusst darauf ein, was einem innerlich und äußerlich begegnet. Damit ist auch gemeint: Die eigene "subjektive Brille" auf sich selbst und die Umwelt bewusster wahrzunehmen. Motive, Bedürfnisse, Einstellungen und Werthaltungen lenken die Wahrnehmung. Was wahrgenommen wird, hängt vor allem von Erwartungen und Vorerfahrungen ab. Durch Achtsamkeit wird der bewusste Umgang mit dieser Subjektivität geschult, um einen offeneren Blick auf andere Menschen (Schülerinnen, Schüler, Kolleginnen, Kollegen, Schulleitung und Elternteile) und deren Verhalten zu gewinnen.
Achtsamkeit im Schulalltag
Die Haltung der Achtsamkeit steht vielleicht im Widerspruch zum täglich erlebten Lehreralltag, der geprägt ist von dauernden Entscheidungszwängen, paralleler Bearbeitung von Aufgaben ("Multitasking") und dem Zeitdruck in der Unterrichtszeit. Achtsamkeit bedeutet genau das Gegenteil, nämlich Ruhe zu finden und den gegenwärtigen Moment in seiner Fülle wahrzunehmen ohne etwas ausschließen zu müssen, z. B. unliebsame Gedanken, unangenehme Gefühle.
Tipp |
Achtsamkeit ist eine Fähigkeit, die erlernbar ist. Es gibt zwar schon einiges an Literatur darüber. Es ist aber schwierig, eine solche Haltung nur über das Lesen zu erwerben. Ratsam wäre es, dies unter Anleitung einer Achtsamkeitslehrerin/ eines Achtsamkeitslehrers praktisch zu erproben. Der MBSR-Verband unterhält z.B. eine Liste mit ausgebildeten Achtsamkeitslehrer/innen in der Methode nach Jon Kabat-Zinn: http://www.mbsr-verband.org/ |
Achtsamkeit zu üben, kann für Lehrkräfte sehr gewinnbringend sein, da viele Qualitäten trainiert werden, die wichtige Ressourcen darstellen und die Unterrichtsqualität verbessern können. Dauber & Döring-Seipel (2010) zeigen in ihren Untersuchungen zur Salutogenese in Lehrberuf und Schule, dass Achtsamkeit eine wichtige personale Ressource für Lehrerinnen und Lehrer darstellt. Achtsame Lehrkräfte wiesen ein großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten auf. Auch zeigten sie eine hohe Ungewissheitstoleranz. Unter "Ungewissheitstoleranz" wird die persönliche Ressource verstanden, mit mehrdeutigen, komplexen, unlösbaren oder neuen Situationen und Anforderungen zurechtzukommen. Der Lehrerberuf ist geprägt von ungewissen und offenen (Lern-)Situationen. Dies trifft besonders zu, wenn in einer Schule mit offenen, handlungsorientierten oder kooperativen Unterrichtsformen gearbeitet wird, bei denen die oder der Lernende im Mittelpunkt steht. Mit der Offenheit wächst demnach auch die Ungewissheit der Situation, in der die Lehrerin oder der Lehrer interagiert. Eine hohe Ausprägung in Ungewissheitstoleranz befähigt Lehrende zur Arbeit mit offenen Unterrichtsformen und führt zu weniger Belastungserleben. Achtsamkeit befähigt Lehrkräfte dabei, Perspektiven zu wechseln, flexibel zu reagieren und nicht in festgefahrenen Bahnen zu verharren.
Tipp |
Selbstcheck: Wie achtsam bin ich im Schulalltag? |
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Die folgenden Fragen können Sie für eine achtsame Haltung im Schulalltag sensibilisieren. Überprüfen Sie einmal, in welchen Bereichen Sie sich kompetent einschätzen und in w... |