Zur Verdeutlichung von Fehlannahmen zu Gruppenleistungen können Befunde zum sog. "Brainstorming" angeführt werden. Beim Brainstorming handelt es sich um eine Kreativtechnik, die vor allem dann eingesetzt wird, wenn für ein Problem in kurzer Zeit unter Beachtung einiger Verhaltensregeln möglichst viele unterschiedliche und ggf. auch ungewöhnliche Lösungsvorschläge gesammelt werden sollen. Die meisten Menschen nehmen an, dass beim Brainstorming in einer Gruppe bessere Ergebnisse erzielt bzw. mehr Ideen produziert werden, als wenn alle Gruppenmitglieder separat Ideen entwickeln würden. Die Befunde empirischer Studien belegen jedoch einhellig, dass Gruppen bei dieser Aufgabe schlechter abschneiden als einzelne Personen.

Tabelle 9.1: Experimentelle Daten zum Verhältnis von Real- zu Nominalleistung beim Brainstorming nach Zysno (1998a)

In Tabelle 9.1 werden die Ergebnisse einer Studie von Zysno (1998a) dargestellt, in der das Verhältnis von Realleistung (tatsächlich erbrachte Leistung der Gruppe) zu Nominalleistung (was leisten alle Gruppenmitglieder theoretisch zusammen, wenn ihre Einzelleistungen zusammengerechnet würden) beim Brainstorming untersucht wurde. Würde die Leistung einer Gruppe exakt den aufaddierten Einzelleistungen aller Gruppenmitglieder entsprechen, so würde ein Wert von 100 % erzielt werden. Geringere Werte bedeuten, dass die Gruppe weniger leistet, als aufgrund der erbrachten Einzelleistungen erwartet werden konnte. Die Ergebnisse (vgl. Tab. 9.1) zeigen, dass mit steigender Zahl der Gruppenmitglieder eine drastische Abnahme der Effizienz der Gruppenleistung bzw. der Anzahl der produzierten Ideen zu verzeichnen ist. Bereits bei zwei Personen ist ein Leistungsverlust zu verzeichnen, Gruppen von sechs Personen oder mehr erreichen nicht einmal die Hälfte ihrer potenziellen Leistung.

Eine Meta-Studie (Mullen & Johnson, 1991), in der 21 unterschiedliche Studien zum Brainstorming zusammenfassend untersucht wurden, kann diese Befunde bestätigen: Weder qualitative noch quantitative Vorteile wurden durch Gruppenarbeiten beim Brainstorming erzielt. In fast allen Experimenten waren aufsummierte Einzelleistungen der Gruppenleistung überlegen. Obwohl in Veröffentlichungen immer wieder auf die Leistungsverluste beim Brainstorming hingewiesen wird (Stroebe & Nijstad, 2004), hält sich - oftmals nicht nur in der Praxis - der Irrglaube, Gruppen würden insbesondere bei solchen kreativen Aufgaben einen Leistungsvorteil gegenüber Einzelpersonen erzielen.

Als weiterer wesentlicher Vorteil von Gruppen beim Problemlösen und Entscheidungsfinden wird häufig angenommen, dass Gruppen als Regulativ individuelle Fehlleistungen sowie Wissensdefizite ausgleichen bzw. kompensieren (Schulz & Frey, 1998). Auch dieser angebliche Vorteil scheint jedoch nur theoretisch zu existieren, da sowohl Beispiele aus der Praxis als auch die Befunde empirischer Studien etwas anderes belegen (Ardelt-Gattinger, Lechner & Schlögel, 1998).

Beispiel:

Die Vorbereitungen der "Invasion in der Schweinebucht" durch eine paramiltärische Gruppe von Exil-Kubanern, die 1961 nach der kubanischen Revolution das alte Regime reinstallieren und den US-amerikanischen Einfluss in Kuba wiederherstellen sollten, gelten als Paradebeispiel für Gruppenprozesse, die zu fatalen Fehlentscheidungen geführt haben. Dieser Umsturzversuch wurde von den USA unterstützt. Der damalige US-Präsident John F. Kennedy hatte sich bei seiner Amtseinführung mit Beratern und Kabinettsmitgliedern umgeben, die aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse als die "Besten und Klügsten" galten. Diese "Besten und Klügsten" trafen gemeinsam mit Kennedy als Gruppe Entscheidungen, die zu einem absoluten militärischen Fiasko führten. Das Bemerkenswerte daran ist, dass bei einer Betrachtung der objektiven Gegebenheiten (die auch der Gruppe vor der Entscheidungsfindung bekannt waren) Laien vermutlich bessere Entscheidungen getroffen hätten (Aronson, Wilson & Akert, 2008).

Es liegen Ergebnisse empirischer Studien vor, die auf Leistungsnachteile von Gruppen beim Problemlösen hinweisen (Jüngling, 1998) und belegen, dass Gruppen getroffene Fehlentscheidungen kaum noch rechtzeitig korrigieren (Schulz & Frey, 1998). Die oftmals behauptete positive Wirkung des Fehlerausgleichs und der Ergänzung unterschiedlicher Wissensstände bzw. Kompetenzen von Gruppen existiert folglich oftmals nicht.

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