HELMUT HEYSE & BERNHARD SIELAND
In Kapitel 5 wurde ausführlich deutlich gemacht: Erst wenn Lehrpersonen und Schulen in ihrem Denken und Handeln, in den Anforderungen und Belastungen sowie bei den Ergebnissen und Folgen ihres Handelns Ist-Soll-Diskrepanzen registrieren, die nicht durch geringfügiges Nachjustieren beseitigt werden können, sondern ein bewusstes Umsteuern, eine Neuorientierung erfordern, kommt es zu einem "Auftauen" von Routinen und einem Gewahrwerden von Änderungsbedarf. Im günstigen Fall folgt daraus die Bereitschaft, die Komfortzone der Gewohnheiten zu verlassen, über alternative Ziele, Regeln und Handlungsmuster nachzudenken und Veränderungen zu planen (Änderungsbereitschaft). Trifft Änderungsbereitschaft auf Änderungsfähigkeit, sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen Änderungsprozess gegeben.
Abbildung 11.1: Steuerungsaufgaben zwischen Auftauen und Stabilisieren
Mit der Anwendung und Stabilisierung verlassen Projekte die Laborsituation von Planungsgruppen, Konferenzen, Fortbildungen oder individuellen Vorsätzen. Bisher nur in den Köpfen getroffene Entscheidungen treffen nun auf reale Bedingungen, an denen sich ihre Praktikabilität erweisen muss. Die Reaktionen von Personen, die von den Änderungen betroffen sind, reichen von Desinteresse über innere Ablehnung und Kritik bis hin zu äußerem Widerstand. Manche bringen aber auch Ideen ein oder gestalten den Prozess mit und werden so zu Beteiligten. Die bewusste eigene Verhaltenssteuerung gegen die alten Gewohnheiten ist mühsam. In der Praxis erweisen sich Verfahrensweisen vielleicht doch nicht als so günstig und müssen revidiert werden, das neue Handeln ist ungeübt, der Erfolg lässt auf sich warten ... Kurz: Die Verlockung, in die alten Routinen und Verhaltensmuster zurückzufallen, ist sehr hoch - der "innere Schweinehund" bellt oder wissenschaftlicher: Der gewohnte Arbeits- und Lebensstil bleibt dominant.
Mit der Frage, wie Veränderungsprojekte in der "Wirklichkeit" und über den von außen betreuten Förderungszeitraum hinaus stabilisiert werden können, befasst sich das vorliegende Kapitel 11. Wir wollen darstellen, mit welchen Mitteln der Transfer aus der gedanklichen Welt in das Handeln unterstützt werden kann, welche Strukturen gegen Rückfall hilfreich sind und zur Stabilisierung des Neuen beitragen. Damit soll ein differenziertes Verständnis für Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren von Veränderungsprojekten erreicht werden. Hier soll ausdrücklich betont werden, dass die nachhaltige Sicherung bereits beim Aufbau der Änderungsmotivation, beim Umgang mit Widerständen und Änderungsresistenzen, bei der Aktivierung von Ressourcen und bei der Gestaltung der Veränderungsprozesse mitgedacht werden muss. Insofern überschneiden sich Kapitel 5 und 11 teilweise (vgl. Kap. 11.1).
Tipp |
Definitionen zu Begriffen aus diesem Kapitel finden Sie im Glossar unter www.handbuch-lehrergesundheit.de. |
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Ziele und Aufbau des Kapitels
Ziele:
Die Leserinnen und Leser sollen dafür sensibilisiert werden, dass Einsicht, Wissen und Vorsatz nicht ohne weiteres zu Änderungen führen.
Sie sollen Strategien kennenlernen, wie sie selbst zur Implementation und Stabilisierung von Veränderungen beitragen können und mit welchen Hindernissen zu rechnen ist.
Sie sollen im Sinne einer lernenden Organisation dazu angeregt werden, aus vergangenen Projekten Konsequenzen für das Management aktueller Projekte zu ziehen.
Definition: Unter einer lernenden Organisation versteht man idealerweise ein System, das sich aufgrund innerer und äußerer Veränderungen ständig in Bewegung und Entwicklung befindet, um seine Wissensbasis und die Handlungsspielräume an jeweils neue Erfordernisse anzupassen. |
Aufbau:
Das Kapitel beginnt mit einer kritischen Reflexion verbreiteter Änderungsillusionen. Warum scheitern mehr als 70 % aller Veränderungsvorhaben?
Anschließend werden Aspekte und Wirkfaktoren der Transfer- und Nachhaltigkeitssicherung besprochen: Wie können Innovationen und Veränderungsprozesse so lange und konsequent betrieben werden, bis sich in relevanten Alltagssituationen Änderungserfolge zeigen bzw. Effekte der veränderten Praxis auszahlen und die Verhaltens- oder Verfahrensänderungen zu neuen Gewohnheiten werden? Dieser kritischen Problematik wird im Change-Management, von vielen Änderungsoptimisten und von der Änderungsforschung oft noch zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl vielfach die Erfahrung gemacht wird: "Die Aufbruchstimmung war gut. Wir waren so entschlossen und zuversichtlich. Warum sind unsere Initiativen versandet? Was hätten wir tun können, worauf müssen wir beim nächsten Mal genauer achten?".
Definition: Der Begriff Change-Management lässt sich mit "Veränderungsmanagement in Systemen" übersetzen. Darunter werden alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten subsumiert, die zur Planung und Umsetzung von Innovationen oder Veränderungen notwendig sind. Change-Projekte bezeichnen folglich bestimmte, definierte Veränderungsvorhaben und Change-Prozesse einzelne Schritte oder Teilbereiche in einem Ve... |