Wie soll eine Software für alle nutzbar gemacht werden? Schließen sich die verschiedenen Bedürfnisse nicht gegenseitig aus? Zur Beantwortung der Fragen sollten die grundlegenden menschlichen Fähigkeiten des Wahrnehmens, Verstehens und Handhabens als Kontinuum von stark bis zu schwach betrachtet und diese in möglichst großer Bandbreite unterstützt werden. Hierzu gehören auch technische Hilfen, die den Verlust einer Fähigkeit ausgleichen.
Sehen
Menschen nehmen Information bevorzugt visuell auf. Bilder sind in mancher Hinsicht aussagefähiger als Sprache. In der Datenverarbeitung wird diese Fähigkeit genutzt, indem Informationen durch flächige Anordnung, Farben und Icons grafisch aufbereitet werden und hierdurch Bedeutungszusammenhänge sichtbar sind.
Sehbehinderungen sind Einschränkungen des Sehvermögens, die nicht durch eine Sehhilfe ausgeglichen werden können.
- Eine verminderte Sehschärfe kann oft durch die Vergrößerung der Zeichen ausgeglichen werden. Individuelle Anforderungen reichen von einem geringen Zoomfaktor, der die Übersichtlichkeit nur wenig beeinträchtigt, bis hin zu bildschirmgroßen Zeichen.
- Unterschiede in der Lichtempfindlichkeit äußern sich in verschiedenen Anforderungen an Helligkeit und Kontrast. Es gibt beide Ausprägungen: Ältere Menschen brauchen zumeist eine höhere Helligkeit bzw. einen starken Kontrast. Bei manchen Augenkrankheiten ist zu viel Licht störend, dann werden schwache Kontraste oder eine Negativdarstellung (helle Zeichen auf dunklem Hintergrund) bevorzugt.
- Die Farbwahrnehmung ist bei manchen Menschen durch genetische Disposition eingeschränkt. Verbreitet ist die Rot-Grün-Farbfehlsichtigkeit, von der überwiegend Männer betroffen sind (ca. 6 bis 8 % in Deutschland).
Sehbehinderungen sind so vielfältig, dass es keine konkrete Gestaltung gibt, die für alle passt. Die Richtlinien (siehe Kapitel 5, 10.1 und 10.5) verlangen vor allem die individuelle Einstellung von Schriftgrößen und -farben sowie einen Mindestkontrast. Bedeutungsunterschiede sollen nicht durch Farbe allein, sondern z. B. auch durch verschiedene Symbole dargestellt werden (siehe Kapitel 8 "Informationsgestaltung").
Blindheit
Fällt der Sehsinn aus, finden sich andere Wege, um Informationen aufzunehmen und Zusammenhänge zu verstehen. Bei Blindheit spielt die akustische Vermittlung bzw. die gesprochene Sprache eine besondere Rolle. Zur Nutzung eines Computers sind Blinde auf spezielle Hilfstechniken angewiesen.
- Information muss als Text kodiert sein, damit sie von der Hilfstechnik vorgelesen werden kann.
- Bilder und Grafiken müssen beschriftet und sprachlich erläutert werden.
- Grafisch übermittelte Bedeutungszusammenhänge müssen auch sprachlich oder durch semantische Strukturen (siehe Kapitel 10.5) dargestellt werden.
Abb. 62
Film mit Untertiteln und Gebärdensprache
Der Aufwand für die textuelle Aufbereitung grafischer Information zahlt sich vielfältig aus, speziell im Internet, wo dieselben Maßnahmen u. a. zur Aufbereitung für Suchmaschinen dienen.
Hören
Einschränkungen des Hörvermögens spielen in der Datenverarbeitung nur eine begrenzte Rolle, gewinnen aber durch die Verbreitung von Multimedia-Angeboten an Bedeutung.
- Signale sollen nicht nur akustisch, sondern auch optisch übermittelt werden.
- Gesprochene Sprache muss in Schrift umgesetzt werden.
Die textliche Aufbereitung (z. B. Audiodeskription) von Videos und Sprachdokumenten trägt, ähnlich wie die Maßnahmen für Blinde, zu einer Aufwertung des Informationsangebots bei.
Untertitel in Filmen sind gut für Gehörlose, dienen aber auch zum Auffinden durch Suchmaschinen, helfen beim Erlernen einer Fremdsprache und sind in lauten Umgebungen (z. B. Bahnhöfen) nützlich.
Gehörlosigkeit
Menschen, die von Geburt an gehörlos sind oder in der frühen Kindheit das Gehör verloren haben, können in der Regel die Lautsprache nicht erlernen. Das führt häufig auch dazu, dass die Schriftsprache nur sehr aufwendig erlernt werden kann. Für ein genaues Verständnis komplexer sprachlicher Inhalte ist deshalb die Gebärdensprache zu bevorzugen (siehe Abbildung 62). Videoaufnahmen von Gebärdensprache können eingesetzt werden, um Software zu erläutern und Informationsangebote zu übersetzen.
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Videos |
...in Gebärdensprache sind ein spezielles Angebot für gehörlose Menschen und müssen nicht generell, sondern nur aufgrund einer Bedarfsanalyse eingesetzt werden. Verpflichtet sind z. B. öffentliche Stellen nach § 4 BITV. Sie müssen auf der Startseite ihres Internetangebots Videos in Gebärdensprache bereitstellen, die Informationen zum Inhalt, Hinweise zur Navigation, zur Barrierefreiheit und zu weiteren Informationen in Gebärdensprache enthalten. |
Verstehen - Kognitive Beeinträchtigung
Das Verstehen von Inhalten, Strukturen und Funktionen von Software ist eine kognitive Leistung, die jeden Menschen je nach den spezifischen Umständen herausfordern kann. Unerfahrene Benutzerinnen oder Benutzer erkennen z. B. ungewohnte Bedienelemente nicht. Bei Zeitmangel, Stress oder Ablenkung können unter Umständen komplexe Strukturen nicht ...