Inklusive Führung: Tipps für Unternehmen

Inklusion bedeutet, dass Menschen mit und ohne Behinderung selbstbestimmt und gleichberechtigt zusammenleben. Doch gerade im Unternehmensalltag fällt das oft schwer. Empfehlungen für einen anderen Blick auf Stärken und Hemmnisse.

Unsere Arbeitswelt verändert sich kontinuierlich, weil Menschen heute andere Ansprüche an ihre Arbeit haben als früher. New Work und technische Errungenschaften machen es möglich, flexibel, orts- und auch zeitunabhängig zu arbeiten. Angesichts eines zunehmenden Fachkräftemangels sind Unternehmen gefordert, die Wünsche ihrer Mitarbeitenden dahingehend zu berücksichtigen und ihnen mehr Freiraum zu geben, ihre Aufgaben auszuführen. Das ist eine geeignete Ausgangsposition für Arbeitgeber, Menschen mit Behinderung in ihre Teams zu integrieren. 

Inklusion oder Ausgleichs­abgabe? 

Doch die Prognosen für eine flächendeckende Inklusion auf dem Arbeitsmarkt sehen bescheiden aus. Laut den Ergebnissen einer  internationalen Vergleichsstudie von Indeed hinkt Deutschland bei den Themen Inklusion und Diversity hinterher. Weniger als ein Drittel der Befragten gab an, einen Gleichstellungsbeauftragten in der Organisation zu haben. Gleichzeitig bewerten nur 36 Prozent die Bemühungen ihres Arbeitgebers als gut. Eine entscheidende Ursache dafür ist fehlendes Know-how über die Rahmenbedingungen sowie die Möglichkeiten, wie Unternehmen unterstützt werden können. 

Dabei ist klar: Inklusion sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Ein Forschungsprojekt der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit der Audi AG hat unter anderem herausgefunden, dass inklusive Teams innovativer sind. Hinzu kommt, dass die Arbeit in und mit inklusiven Teams heute einen anderen Stellenwert hat als früher. Einer Studie der IU Internationalen Hochschule zufolge sind Unternehmen, die Diversity und Inklusion leben, auch für Bewerbende attraktiver (75,1 Prozent). Arbeitgeber können daher auch in dieser Hinsicht bei potenziellen Mitarbeitenden punkten. Doch nicht jeder Betrieb ist für dieses Konzept aufgeschlossen. Unternehmen ab 20 Mitarbeitenden sind per Gesetz dazu verpflichtet, fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Erreichen sie diese Quote nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe entrichten. 

Es gibt Unternehmen, insbesondere KMU, die die Ausgleichsabgabe bewusst in Kauf nehmen, weil sie die (gefühlten und tatsächlichen) Aufwände der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung höher einschätzen als die Ausgleichsabgabe. In anderen Organisationen findet keine Abwägung statt, die Ausgleichsabgabe wird als gegeben hingenommen. Unternehmen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung durch die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung nachkommen wollen, aber aus den verschiedensten Gründen unmittelbar keine Möglichkeit sehen, dies umzusetzen, werden zu unseren Kunden oder zu Kunden anderer WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen). So können sie die Ausgleichsabgabe reduzieren und schaffen gleichzeitig Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. 

Inklusion heißt: den Einzelnen in den Blick nehmen

Die Pfennigparade – Business. Inklusiv. bietet seit den 1970er-Jahren Dienstleistungen für Unternehmen unterschiedlichster Größe, und das mit inklusiven Teams aus Mitarbeitenden mit und ohne Behinderung. Das Thema Inklusion betrachten wir sowohl aus dem Blickwinkel einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung als auch aus dem Blickwinkel eines Inklusionsunternehmens und nehmen die Situation differenziert wahr. Constanzia ist sehr stark seheingeschränkt mit Augenklappe, geht mit Gehstock und hat Epilepsie. Sie ist aber vor allem motivierte IT-Liebhaberin. Nach ihrem Praktikum arbeitet sie nun an einem Arbeitsplatz mit computergestütztem Lesegerät im Bereich Datenanalyse.  Im Team "Digitale Barrierefreiheit" testen seheingeschränkte, blinde, autistische und Menschen ohne Einschränkung in gemischten Teams digitale Objekte (Webseiten, Apps, Dokumente) auf Barrierefreiheit. Jedes Teammitglied wird nach den jeweiligen Stärken eingesetzt. So wie unsere zwei blinden Mitarbeitenden Ilber und Ümmü, die Screenreaderfunktionalitäten und Apps auf Barrierefreiheit testen, während Richard, der keine Seheinschränkung hat, beim Testen Bestandteile übernimmt, bei denen man etwas sehen muss.

Hürden für inklusives Arbeiten

Inklusiv zu arbeiten bedeutet zunächst, die unterschiedlichen Anforderungen an den Arbeitsplatz zu verstehen und das Bewusstsein organisationsübergreifend zu etablieren. Unternehmen sollten vorbereitend überlegen, welche Hürden bestehen. So unterscheidet man zunächst zwischen den folgenden Herausforderungen.

Arbeitsorganisatorisch: Der Arbeitsablauf braucht Raum für Flexibilität. Denn starre Arbeitszeiten beispielsweise können für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder körperlichen Einschränkungen problematisch sein, da sie möglicherweise andere Arbeitszeiten oder Pausen benötigen. Wichtig ist hier, eingefahrene Wege zu hinterfragen und nach Bedürfnissen und Talenten zu schauen, damit sich alle Mitarbeitende frei entfalten können.  

Bürokratisch und rechtlich: Entscheidend ist das Wissen über spezielle Rechte für Menschen mit Behinderung, wie zum Beispiel der besondere Kündigungsschutz und die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung, sowohl aufseiten der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer. Zusätzlich ist die Inanspruchnahme von Unterstützungsmaßnahmen oder Förderprogrammen oft mit bürokratischen Hürden verbunden. Eine erste Anlaufstelle bieten professionelle Ansprechpartner, wie beispielsweise die zuständigen Inklusionsämter, die Integrationsfachdienste, die Bundesagentur für Arbeit oder die EAA (Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber), die bundesweit und kostenlos zu allen sozialen, organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Fragen rund um Inklusion beraten.

Physisch: Hierunter versteht man etwa den Zugang zu Arbeitsplätzen. Helfen können einfache Umbaumaßnahmen, wie das Errichten von Rampen oder das Verlegen des Arbeitsplatzes in leicht zugängliche Büros. Zudem muss die Nutzung der sanitären Einrichtungen und gemeinsam genutzten Räumlichkeiten gewährleistet sein.

Technologisch: Diese Hürden entstehen durch mangelnde oder ungeeignete Technologien, die den Zugang zu Informationen, Kommunikation und Arbeitsaufgaben erschweren. Kommunikationsbarrieren machen sich zum Beispiel durch die fehlende Bereitstellung von Informationen in leichter Sprache, Gebärdensprache oder Braille bemerkbar. Assistive Technologien, wie Bildschirmleser für Sehbehinderte oder spezielle Eingabegeräte für motorisch eingeschränkte Personen, können hier unterstützen. Arbeitgeber, die noch wenig Erfahrung mit Inklusion haben, sind hier umso stärker auf die Informationen und Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden angewiesen. 

Psychologisch und sozial: Diskriminierung und Vorurteile können zu sozialer Isolation führen. Es muss von Beginn an über Inklusion aufgeklärt und aktiv ein gemeinsames Miteinander gefördert werden. Das ist die Voraussetzung, um im Unternehmen Akzeptanz für inklusives Arbeiten zu schaffen.

Inklusive Teams führen 

Inklusiv zu arbeiten bedeutet, Stärken hervorzuheben und Hemmungen abzubauen. Entsprechendes gilt für den Führungsstil: Führungskräfte sollten das Umfeld so gestalten, dass Mitarbeitende ihre persönlichen Kompetenzen entfalten und so die optimale Leistung erbringen können. Dabei ist die Führungskraft die Schnittstelle zwischen den Zielen des Unternehmens, den Anforderungen der Kunden und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden. 

Es ist notwendig, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Das bedeutet auch, Geduld und die Motivation zu haben, Mitarbeitende als Individuen kennenzulernen. Erst wenn mir die Stärken und Schwächen bekannt sind, kann ich als Führungskraft den optimalen Einsatz finden und Menschen weiterentwickeln. Aber genau das sollte ja auch der Fall sein bei Führungskräften von nicht-inklusiven Teams.

Die folgenden drei Tipps können Unternehmensverantwortlichen eine Hilfestellung geben, was hinsichtlich Inklusion und Führen von Mitarbeitenden mit und ohne Einschränkungen berücksichtigt werden sollte: 

1. Handeln Sie nach Bedürfnissen und Stärken! 

Setzen Sie Mitarbeitende mit und ohne Behinderung stärkenorientiert ein. Wird allen Teammitgliedern eine "passende” Rolle mit Aufgaben und Verantwortlichkeiten zugeordnet, werden so Teamfähigkeit und Sozialkompetenz gefestigt. Es entstehen mehr Ideen, mehr Kreativität – und so auch eine höhere Produktivität. 

2. Fördern Sie aktiv Transparenz!

Eine gute Führung schafft eine nachhaltige Unternehmenskultur. Unternehmensverantwortliche und Mitarbeitende gleichermaßen können eine Vorreiterrolle einnehmen und Inklusion nach innen und außen repräsentieren. Führungskräfte fördern Transparenz zum Beispiel, indem sie den aktiven Dialog mit Mitarbeitenden suchen. Mitarbeitende wiederum können für mehr Transparenz sorgen, wenn sie ihre Bedürfnisse offen kommunizieren. Denn bei Menschen ohne und mit Behinderung gilt gleichermaßen: nur ein kommuniziertes Bedürfnis kann auch berücksichtigt werden.

3. Gestalten Sie Future of Work inklusiv! 

Flexible Arbeitszeiten, die Art von Technologie und die Art zu arbeiten, selbst wählen zu können – das sind Aspekte, die die sogenannte "Zukunft der Arbeit" ausmachen. Hier gibt es relevante Überschneidungen, die genauso für das Arbeiten in inklusiven Teams gelten. Denn Mitarbeitende mit bestimmten Einschränkungen, wie chronische Krankheiten oder andere Behinderungen, wissen genau, mit welchen Rahmenbedingungen sie am besten arbeiten können und damit produktiv sind. Sie sollten daher zum Beispiel die Möglichkeit erhalten, sich ihre Arbeitszeit entsprechend einzuteilen. Die Implementierung von "Future of Work"-Elementen zahlt also sowohl auf die Attraktivität des Arbeitgebers bei Bewerbenden ein als auch auf die Förderung von Inklusion im Unternehmen. Des Weiteren zeigen Führungskräfte damit, dass sie Produktivität und Organisationserfolg nicht an starren Strukturen und Regeln festmachen. 

Inklusion braucht Mut: Starten Sie jetzt

Inklusion braucht auf dem Arbeitsmarkt noch viel mehr, um eine entsprechende gesellschaftliche Akzeptanz zu erzielen: gute Ausbildungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung, möglichst für die Betroffenen frei verfügbare Nachteilsausgleiche, Unterstützung am Arbeitsplatz, Beratung für Unternehmen, Abbau gesetzlicher Hürden, Kreativität und Flexibilität bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen und -prozessen sowie ausreichend finanzielle Mittel. Was Organisationen brauchen, ist nicht nur Flexibilität, um sich an die Anforderungen anzupassen. Es braucht dafür Kunden, die bereit sind, den höheren Aufwand mitzutragen, und die verstanden haben, in einem inklusiven Umfeld auf die Stärken der Mitarbeitenden zu schauen. Haben Sie den Mut, Neues auszuprobieren, um von Ihrer offenen Belegschaft profitieren zu können.


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 2/2025. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.


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Schlagworte zum Thema:  Inklusion, Leadership, Unternehmenskultur