Inklusion mithilfe von KI-Technologie

Künstliche Intelligenz (KI) kann Menschen mit Beeinträchtigungen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben im Arbeitsalltag helfen. So können KI-Systeme beispielsweise Kommunikation in Gebärdensprache über­tragen, Menschen mit fehlenden oberen Gliedmaßen das Steuern des Cursors auf dem Bild­schirm über Kopfbewegungen ermöglichen oder Texte in leichte Sprache übersetzen. Wie Inklusion mithilfe von KI-Technologie besser gelingt.

Künstliche Intelligenz ist zunehmend in der Lage, menschenähnliche Intelligenz und Problemlösungsfähigkeiten zu simulieren, indem sie große Mengen von Daten analysiert, Muster erkennt und selbstständig Entscheidungen trifft. KI-Technologie hat Einzug in nahezu alle Branchen gehalten. Eine bislang noch eher weniger beachtete, aber wichtige Dimension des KI-Einsatzes in der Arbeitswelt ist die Förderung von Inklusion (siehe auch Shore et al., 2018; Steil et al., 2023). Inklusion wird in diesem Beitrag sehr breit verstanden und bezieht sich auf die Schaffung von Arbeitsbedingungen und -möglichkeiten, die es Menschen unabhängig von ihren individuellen Merkmalen, Fähigkeiten oder Hintergründen ermöglichen, am Arbeitsleben teilzunehmen und ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Dies schließt Menschen mit Behinderungen, ethnische Minderheiten, unterschiedliche Geschlechter und soziale Hintergründe ein. 

Drei Ebenen für mehr Inklusion durch KI

KI kann auf drei Ebenen ansetzen, um einen Beitrag für eine inklusivere Arbeitswelt zu leisten: Die erste Ebene ist, überhaupt Teilnahme am Arbeitsleben zu ermöglichen, indem physische oder kommunikative Barrieren überwunden oder minimiert werden (barrierefreie Arbeitsgestaltung). Das zweite Ziel ist, eine Umgebung zu schaffen, in der alle Beschäftigten ihr volles Potenzial ausschöpfen können, indem sie die optimale Unterstützung und die besten Bedingungen für ihre individuellen körperlichen und mentalen Fähigkeiten erhalten (personalisierte Arbeitsgestaltung). Den Rahmen dafür muss eine geeignete Strategie und Kultur setzen (inklusive Personalpolitik). 

In der Praxis dienen viele KI-Anwendungen mehreren dieser Ziele. Der Gestaltungsprozess im Unternehmen oder in der Organisation zielt darauf ab, die Bandbreite menschlicher Fähigkeiten, Fertigkeiten, Bedürfnisse und Vorlieben zu berücksichtigen und steht damit auch in der Linie des sogenannten Design-für-Alle (Universal Design; Clarkson et al., 2013). 

Barrierefreie Arbeitsgestaltung

Barrierefreie Arbeitsgestaltung bezieht sich auf das Konzept, Arbeitsumgebungen so zu gestalten, dass sie für alle Mitarbeiter physisch und kommunikativ zugänglich und nutzbar sind. 

Überwindung physischer Barrieren:

Durch intelligente automatische Türöffner oder adaptive Beleuchtungssysteme können Bedürfnisse von Mitarbeitenden mit Behinderungen erfüllt und so ein gleichberechtigter physischer Zugang zum Arbeitsplatz ermöglicht werden. KI-gesteuerte Technologien können auch bei der physischen Interaktion mit elektronischen Geräten unterstützen. So ermöglicht zum Beispiel "Tobii Dynavox" Menschen mit schweren motorischen Behinderungen, einen Computer oder ein elektronisches Gerät allein mit ihren Blicken zu steuern. Durch das Ansehen von Symbolen oder Schaltflächen auf dem Bildschirm können sie auswählen, tippen und sogar Text eingeben.

Überwindung kommunikativer Barrieren:

KI-gesteuerte Technologien spielen auch eine Rolle in der ergänzenden und ersetzenden Kommunikation (Augmentative and Alternative Communication, ACC), für die im Deutschen auch der Begriff "Unterstützte Kommunikation" gebräuchlich ist (Groß et al., 2023). Kommunikationstechnologien können geschriebene Informationen automatisiert in gesprochene Sprache oder in eine tastbare Braille-Zeile umwandeln – und umgekehrt. Bekannte Beispiele sind die Apps "Voice Dream Reader" oder "Google Live Transcribe". Ein gehörloser oder schwerhöriger Mitarbeiter kann die App auf seinem Smartphone starten und die Umgebungssprache wird automatisch in Text umgewandelt. Dies ermöglicht eine nahtlose Teilnahme an Gesprächen und sozialen Aktivitäten. Die App unterstützt eine Vielzahl von Sprachen, was sie auch zu einem hilfreichen Werkzeug für Menschen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen macht. Diese sogenannten Text-to-Speech- und Speech-to-Text-Technologien erleichtern nicht nur die Kommunikation für Menschen mit Seh-, Hör- oder Sprachbeeinträchtigungen, sondern ermöglichen auch Mitarbeitenden mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche oder mit beschränkten Lese- und Verständnisfähigkeiten breiter am Berufsleben teilzuhaben. Es gibt auch bereits eine Reihe von Softwareprodukten, die schwierige Textinhalte in leichte Sprache übersetzen.

Personalisierte Arbeitsgestaltung

Personalisierte Arbeitsgestaltung bedeutet, Arbeitsbedingungen, -ressourcen und -angebote so anzupassen, dass alle Mitarbeitenden, unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten, Bedürfnissen oder Herausforderungen, im Idealfall gleiche Chancen und Unterstützung am Arbeitsplatz erhalten. 

Unterstützung körperlicher Fähigkeiten:

In einigen Arbeitsumgebungen kann KI-gesteuerte Robotik eingesetzt werden, um Mitarbeitenden mit physischen Beeinträchtigungen die Interaktion mit Werkzeugen oder das Bewegen in der Arbeitsumgebung zu erleichtern. Auch dieser Bereich wird aktuell intensiv beforscht. Hier ist zum Beispiel das von der Carl-Zeiss-Stiftung geförderte Projekt "JuBot – Jung bleiben mit Robotern" zu nennen, in dem Roboter "zum Überziehen", sogenannte Exoskelette, entwickelt werden, die personalisierte, lernende Assistenz für die Alltagsbewältigung bieten (www.jubot.kit.edu). Auch erste kommerzielle Lösungen sind bereits verfügbar, wie das Exoskelett Rewalk, das speziell für Menschen mit Querschnittslähmung entwickelt wurde (Awad et al., 2020). Es ermöglicht diesen Personen wieder aufzustehen, zu gehen und sich in aufrechter Position fortzubewegen. Diese Technologien unterstützen aber nicht nur Menschen mit Lähmungen oder neurologischen Verletzungen, sondern können auch eine sinnvolle ergonomische Unterstützung für alle Mitarbeitenden bieten, insbesondere in beruflichen Umgebungen, in denen körperliche Anstrengung und schwere Lasten auf der Tagesordnung stehen. Ekso Works bietet speziell entwickelte Exoskelette für Industrie- und Bauarbeiter an, um die Belastung der oberen Extremitäten und des Rückens zu verringern, schwere Lasten zu unterstützen und die Arbeitsleistung zu steigern, sodass Beschäftigte langfristig gesund am Berufsleben teilhaben können (Sposito et al., 2019).

Unterstützung mentaler Fähigkeiten:

Chatbots und KI-gesteuerte Mentoringsysteme können Beschäftigte bei Stressbewältigung oder Zeitmanagement unterstützen und so einen Beitrag für die berufliche Wiedereingliederung und die Bewältigung mentaler Gesundheitsprobleme leisten. Solche personalisierten, psychologischen Unterstützungs-Apps, die KI verwenden, sind zum Beispiel Woebot (Darcy et al., 2022) oder Wysa (D’Alfonso, 2020). 

Darüber hinaus fördert auch die Personalisierung von Lern- und Schulungsprogrammen mithilfe von KI-Technologien die Inklusion am Arbeitsplatz. KI kann Lernprofile erstellen, die Informationen über Fähigkeiten, Kenntnisse, Lernstile und sogar individuelle Bedürfnisse enthalten. Dazu analysiert das KI-System Daten zu bisherigen Schulungsleistungen, beruflichen Zielen und Selbstbewertungen. Mit diesen Informationen kann die KI personalisierte Lernpfade für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter entwerfen. Beschäftigte mit unterschiedlichen Fähigkeitsniveaus oder Lerngeschwindigkeiten erhalten somit Lernmaterialien und -aktivitäten, die genau zu ihrem Kenntnisstand passen. Kommerziell verfügbare Anwendungen sind hier zum Beispiel Linkedin Learning, die Sprachlernplattform Duolingo oder Coursera, ein Unternehmen, das sich auf die Bereitstellung von Online-Weiterbildungskursen (Massive Open Online Courses, sog. Moocs) spezialisiert hat. Insgesamt kann die Integration von KI in Lern- und Schulungsprozesse die Inklusion am Arbeitsplatz stärken, indem sie sicherstellt, dass alle Beschäftigten die Bildungsressourcen und -möglichkeiten erhalten, die ihren individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten am besten entsprechen.

Auch im Zusammenhang mit Assistenzsystemen kann KI zur Inklusion beitragen, wie in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt "SAM-KI – Selbstgesteuerte Assistenz für die manuelle Montage sowie Kommunikation und Interaktion" gezeigt wird (www.ifab.kit.edu/1399_2721.php). Dieses System ermöglicht es dem Montagepersonal, fehlende oder fehlerhaft montierte Bauteile zu erkennen, was bei Produkten mit hoher Variantenvielfalt oder hohen Qualitätsanforderungen sowie bei häufigen Zwischenprüfungen von entscheidender Bedeutung ist. Um sicherzustellen, dass Beschäftigte mit verschiedenen Erfahrungshintergründen erfolgreich am Montageprozess teilnehmen können, adressiert das System adaptiv unterschiedliche Kompetenzniveaus.

Inklusive Personalpolitik

Die oben genannten Maßnahmen können nur erfolgreich sein, wenn sie strategisch verankert sind. Auch im Bereich der Personalpolitik können KI-Technologien zu mehr Inklusion beitragen. So kann KI beispielsweise Muster von Vorurteilen am Arbeitsplatz erkennen, indem sie große Mengen von Daten analysiert. Sie dient damit zur Vorhersage und Prävention von Diskriminierung. So kann KI beispielsweise bei der Personalauswahl eingesetzt werden, um Vorurteile in der Auswahl von Bewerbern zu reduzieren und eine vielfältige Belegschaft aufzubauen (Hunkenschroer & Luetge, 2022). Eine inklusive Personalpolitik ist nicht nur ein ethisches Gebot und eine soziale Verantwortung, sondern wird auch positive Auswirkungen auf die Arbeitgeberattraktivität und die Unternehmenskultur haben.  

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz kann also einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung einer inklusiveren Arbeitswelt leisten. Er wird aber nur erfolgreich sein, wenn die Technologie auf eine Vielfalt fördernde Arbeitskultur trifft, in der Führungskräfte, Schulungen und weitere organisatorische Maßnahmen Inklusion und Teilhabe ermöglichen.

Dieser Artikel ist zuvor erschienen in Personalmagazin 12/2023.


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Literatur:

D’Alfonso, S. (2020). AI in mental health. Current Opinion in Psychology, 36, 112-117
Awad, L. N., et al. (2020). The ReWalk ReStore™ soft robotic exosuit: a multi-site clinical trial of the safety, reliability, and feasibility of exosuit-augmented post-stroke gait rehabilitation. J NeuroEngineering Rehabil 17, 80 
Clarkson, J., Coleman, R., Keates, S. & Lebbon, C. (2013). Inclusive Design. Design for the Whole Population. London: Springer.
Darcy, A. et al. (2022). Anatomy of a Woebot® (WB001): agent guided CBT for women with postpartum depression, Expert Review of Medical Devices, 19:4, 287-301, 
Groß, M. et al. (2023). Zukunft des Technikeinsatzes in der Hilfsmittelversorgung. In: Groß, M., et al. (eds) Assistive Technologien, technische Rehabilitation und Unterstützte Kommunikation. Springer, Berlin, Heidelberg. 
Hunkenschroer, A.L. & Luetge, C. (2022). Ethics of AI-Enabled Recruiting and Selection: A Review and Research Agenda. J Bus Ethics 178, 977–1007. 
Shore, L. M., Cleveland, J. N. & Sanchez, D. (2018). Inclusive workplaces: A review and model, Human Resource Management Review, 28(2), 176-189. 
Sposito, M. et al. (2019). Towards Design Guidelines for Physical Interfaces on Industrial Exoskeletons: Overview on Evaluation Metrics. In: Carrozza, M., Micera, S., Pons, J. (eds) Wearable Robotics: Challenges and Trends. WeRob 2018. Biosystems & Biorobotics, vol 22. Springer, Cham. 
Steil, J. J., Bullinger Hoffmann, A., André, E. et al. (2023). Mit KI zu mehr Teilhabe in der Arbeitswelt. Potenziale, Einsatzmöglichkeiten und Herausforderungen. Whitepaper aus der Plattform Lernende Systeme, München. 


Schlagworte zum Thema:  Inklusion, Künstliche Intelligenz (KI)