Von Diversität zu Inklusion
Das Vorhaben, Diversity, Equity & Inclusion – kurz DEI – zu fördern, nimmt für viele Unternehmen und Organisationen einen immer größeren Stellenwert ein. Mehr Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Attraktivität als Arbeitgebende verspricht man sich von Maßnahmen, die auf mehr Vielfalt in der Organisation einzahlen sollen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Förderung von DEI meist herausfordernder ist als gedacht. Unserer Erfahrung nach liegt das oft daran, dass es innerhalb der Organisation kein einheitliches Verständnis darüber gibt, was sich hinter den Begriffen Diversity, Equity und Inclusion verbirgt und wie diese zusammenhängen. Dementsprechend fehlt in weiterer Folge meist ein strategisches Konzept, mit dessen Hilfe DEI systematisch und zielgerichtet gefördert werden kann. Dies führt wiederum dazu, dass es schwierig ist, Führungskräften und Mitarbeitenden zu kommunizieren, welchen Beitrag sie zur Förderung von DEI leisten können.
Die Entmystifizierung der Begriffe Diversity, Equity und Inclusion ist tatsächlich der wichtigste erste Schritt. Wenn klar ist, warum diese drei Begriffe immer gemeinsam betrachtet werden sollten, lassen sich zum einen die Treiber und Barrieren, die mit der Förderung von DEI verbunden sind, besser benennen und kommunizieren. Zum anderen fällt es allen Personen in der Organisation leichter, ihren persönlichen Anknüpfungspunkt zu DEI zu finden und dem Thema offener gegenüberzustehen.
Ist Vielfalt immer ein Erfolgsfaktor?
Diversity bedeutet grundsätzlich die Vielfalt der Mitglieder einer bestimmten Gruppe. Landläufig werden darunter vor allem identitätsstiftende Merkmale wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, oder Behinderung verstanden ("Klassische Dimensionen"). Wenn es um die Förderung von DEI in Organisationen geht, denken daher viele Menschen zuallererst an Maßnahmen, mit denen bestimmte Gruppen unterstützt werden sollen. Diese Maßnahmen sind wichtig, um historisch gewachsene Ungleichheiten und Benachteiligungen zu korrigieren, und die Berücksichtigung der klassischen Dimensionen ist somit gesamtgesellschaftlich relevant. Im Arbeitskontext ist es allerdings sehr sinnvoll, Diversity noch breiter zu denken und kognitive Diversität ("Diversity of Thought") zu berücksichtigen. Darunter versteht man zum Beispiel vielfältige Sichtweisen, Arbeitsstile, Ausbildungshintergründe oder auch Problemlösungstechniken, anhand derer sich Mitglieder eines Teams unterscheiden.
Wenn Organisationen diverser werden wollen, sollten sie nicht nur auf unterschiedliche Identitätsmerkmale ihrer Mitarbeitenden achten, sondern auch auf kognitive Diversität, damit Vielfalt nicht zum Selbstzweck wird. Durch die Berücksichtigung von kognitiver Diversität kann das Potenzial von Vielfalt besser ausgeschöpft werden: Unterschiedliche Denk- und Sichtweisen werden eher zu unterschiedlichen Lösungsansätzen und neuen Ideen führen. Kognitive Diversität ersetzt die klassischen Dimensionen von Vielfalt aber nicht, sondern ergänzt diese vielmehr. Die Erfahrungen, die wir aufgrund unseres Geschlechts, unseres ethnischen Hintergrunds oder unserer Behinderung machen, prägen unsere Sichtweisen, unsere Problemlösungstechniken und andere Facetten der kognitiven Diversität (Frost/Alidina 2019). Ein ganzheitlicher Zugang zu Diversity verbindet daher klassische und kognitive Aspekte – in der Erwartung, dadurch mehr Innovation und bessere Leistungen zu generieren.
Doch diese positiven Effekte von Diversity sind kein Automatismus. Internationale Beratungskonzerne wie McKinsey berichten zwar gerne von der Wirkung, die zum Beispiel divers zusammengesetzte Vorstandsgremien auf die Finanzergebnisse ihrer Unternehmen haben (Hunt et al. 2015). Gleichzeitig zeigen aber Übersichtsarbeiten und Metastudien (Joshi und Roh 2009, oder Bell et al. 2011), dass die Diversität mit der Leistung von Teams nicht systematisch zusammenhängt. Entscheidend für einen positiven Effekt ist nicht nur die Diversität einer Gruppe an sich, sondern vor allem, was man mit dieser Diversität macht.
Für die Übersetzung von Diversität in Erfolg sind Rahmenbedingungen notwendig, die potenzielle negative Effekte von Diversität aushebeln. Soziale Kategorisierungsprozesse können zu weniger Zusammenarbeit in diversen Teams führen, da die Unterschiedlichkeit der Teammitglieder eine Aktivierung von Vorurteilen, verminderten Zusammenhalt und vermehrte Konflikte auslösen kann, wenn das "Anders-Sein" von Teammitgliedern als Bedrohung der eigenen (Gruppen-)Identität wahrgenommen wird (siehe Tajfel/Turner 1986; van Knippenburg et al. 2004). Ein zentraler Baustein, um Feindseligkeiten zwischen Subgruppen proaktiv zu unterbinden, ist ein übergeordnetes "Wir-Gefühl" mit der Gesamtgruppe, das heißt eine positive Einstellung zur Vielfalt innerhalb der Gruppe (van Dick/Stegmann 2016). Für das Entstehen eines solchen Wir-Gefühls kommt Führungskräften eine besondere Rolle zu, da diese als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in Organisationen fungieren und somit die Arbeitskultur maßgeblich prägen.
Inclusion: Das Wir-Gefühl
Um Diversität als Ressource nutzen zu können, sollte eine inklusive Kultur (Inclusion) gelebt und gefördert werden. Das mag abstrakt klingen, doch jeder und jede von uns kann wahrscheinlich klar Erfahrungen benennen, die zu dem Gefühl führen, einbezogen zu werden. Die US-amerikanische NGO Catalyst hat auf Basis einer Umfrage folgende Erfahrungen als Merkmale einer inklusiven Kultur gefiltert: Wertschätzung, Vertrauen, Authentizität und psychologische Sicherheit (Dnika et al 2019). Das sind – unabhängig von dieser Umfrage – auch Erfahrungen, die Teilnehmende in Workshops immer wieder nennen, wenn wir sie fragen, wann sie sich in ihrem Team einbezogen und zugehörig fühlen. Eine inklusive Kultur ist nicht nur in diversen Teams wichtig; auch homogene Teams profitieren von einem wertschätzenden und vertrauensvollen Arbeitsumfeld. In vielfältigen Teams kommt einer inklusiven Kultur aber besondere Bedeutung zu, da sie das Gemeinsame und Verbindende vor die Unterschiede und das Trennende stellt.
Im Deutschen wird Inklusion meist als Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verstanden, sowohl im Arbeitskontext als auch darüber hinaus. Im Diversity Management wird Inclusion aber breiter gefasst und beschreibt zum einen die Einbeziehung Aller in ein "Wir" als auch die strukturellen Voraussetzungen, damit dieses "Wir" in der Praxis gelebt werden kann. So kann zum Beispiel die Etablierung von Frauennetzwerken und Empowerment-Maßnahmen für Frauen zu Widerstand und Missstimmung unter Männern führen, weil hier Geschlecht als Unterschied bedeutsam wird und potenzielle Verbündete für Gleichberechtigung ausgeschlossen werden. Zwar machen "Safe Spaces", in denen bestimmte Gruppen unter sich sein und offen(er) reden können, durchaus Sinn, aber es ist zielführend, gleichzeitig den Dialog zu fördern und um Unterstützung zu werben. Inclusion auf atmosphärischer Ebene muss aber durch Inclusion auf struktureller Ebene untermauert werden, um authentisch zu sein. Das bedeutet zum Beispiel Einstellungs-, Beförderungs- oder Beurteilungsprozesse auf Gender Bias zu durchleuchten und bias-sensible Prozesse zu gestalten, sodass alle Mitarbeitenden darauf vertrauen können, fair behandelt zu werden.
Equity als Methode von Diversity zu Inclusion
Das "E" in "DEI" – Equity – ist das Bindeglied zwischen Diversity und Inclusion. Equity wird im Deutschen mal mit Gleichstellung, mal mit Chancengerechtigkeit übersetzt. Im Wesentlichen beschreibt es die Erkenntnis, dass alle Menschen zwar gleich an Wert und Würde sind, aber in unserer Gesellschaft aufgrund historisch gewachsener Ungleichheiten nicht die gleichen Möglichkeiten haben, ihr Leben zu gestalten. Equity beschreibt einen Zustand, in dem diese Ungleichheiten korrigiert bzw. ausgeglichen werden, sodass alle gleichermaßen teilhaben können.
In gewisser Weise ist Equity also die Methode, um von Diversity zu Inclusion zu gelangen. Um aus einem diversen ein inklusives Team zu machen, ist es wichtig, nicht so zu tun, als wären Unterschiedlichkeiten irrelevant (Gleichbehandlung), sondern alle Mitarbeitenden in ihrer Individualität wahrzunehmen und wertzuschätzen (Gleichstellung). Gleichbehandlung führt in der Regel zu einer oberflächlichen Homogenisierung der Mitarbeitenden, Gleichstellung zur Nutzung von Vielfalt als Ressource.
Die Triade DEI ist letztendlich eine Querschnittsmaterie, die sich durch alle Bereiche eines Unternehmens zieht. Es geht immer darum, wie man die unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründe nutzt, um die interne Zusammenarbeit und Arbeitsprozesse zu verbessern, aber auch um Produkte oder Dienstleistungen weiterzuentwickeln und die Beziehungen zu externen Stakeholdern zu erweitern. Die Diversifizierung der Belegschaft ist immer einer der ersten Schritte in der Umsetzung eines ganzheitlichen Zugangs zu DEI. Doch dann kommt es eben darauf an, was man mit der gewonnenen Vielfalt macht.
Belonging als Indikator für eine inklusive Organisation
DEI-Arbeit ist ein Prozess, der nie abgeschlossen sein wird. Es kann keinen Punkt geben, an dem eine Organisation eine vollkommen inklusive Kultur erreicht hat. Dennoch kann man Reifegrade von DEI und die Effektivität von DEI-Maßnahmen messen – und Belonging ist dabei einer der wichtigsten Indikatoren. Belonging beschreibt im Grunde das Zugehörigkeitsgefühl. Ein starkes Zugehörigkeitsgefühl führt zu einer besseren Bindung an die Organisation, zu effektiveren Teamarbeit und zu mehr Antrieb, die Ziele des Teams bzw. der Organisation zu erreichen. Employee Engagement, wie die positiven Effekte von Belonging auch bezeichnet werden, wird (wenn überhaupt) in der Regel nicht in Zusammenhang mit DEI gemessen. In der nahen Zukunft wird dieses Silo-Denken aufgebrochen werden und Belonging als Bestandteil von DEI gesehen werden (müssen), um sicherzustellen, dass DEI-Maßnahmen wirkungsvoll und nachhaltig sind (vgl. Fernandes 2021).
Derzeit ist in Organisationen ein wachsendes Interesse an Trainings und anderen Weiterbildungsformaten in den Bereichen Inclusive Leadership und Inclusive Culture beziehungsweise ein Trend weg von reinen Diversity Trainings und hin zu der Berücksichtigung von Inclusion zu bemerken. Es ist davon auszugehen, dass aktuelle Herausforderungen wie Fachkräftemangel und Generationenwechsel dazu führen werden, dass Belonging und Employee Engagement immer mehr in den Fokus von DEI-Maßnahmen rücken.
In jeder Organisation gibt es Mitarbeitende, die DEI-Maßnahmen unterstützen und andere, die skeptisch sind. Um alle an Bord zu holen, kann es sinnvoll sein, das Bedürfnis aller Mitarbeitenden nach Zugehörigkeit anzusprechen – und sie zu ermutigen, das gleiche Zugehörigkeitsgefühl auch für andere zu schaffen. Wenn Zugehörigkeit eine gemeinsame, verbindende Vision ist, lassen sich Mitarbeitende eher auf die schwierigen Veränderungen von Prozessen und Verhaltensweisen ein, die eine Organisation nachhaltiger inklusiver machen.
Der Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 12/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
Literatur
Bell ST, Villado AJ, Lukasik MA, Belau L, Briggs AL (2011): Getting specific about demografic diversity variables and team performance relationship: A meta-analysis. In: Journal of Management, Vol. 37. S. 709-743.
Dnika JT, Shaffer E, Thorpe-Moscon J (2019): Getting Real About Inclusive Leadership: Why Change Starts With You (Catalyst).
Fernandes N (2021): Belonging: The Intersection Of DEI And Engagement. Forbes. https://www.forbes.com/sites/forbeshumanresourcescouncil/2021/12/22/belonging-the-intersection-of-dei-and-engagement/. Zugegriffen: 22. September 2023.
Frost S & Alidina R (2019): Building an Inclusive Organization: Leveraging the Power of a Diverse Workforce. London: Kogan Page.
Hunt V, Layton D, Prince S (2015): Diversity Matters. McKinsey&Company. https://assets.mckinsey.com/~/media/857F440109AA4D13A54D9C496D86ED58.ashx. Zugegriffen: 22. September 2023.
Joshi A, & Roh H (2009): The role of context in work team diversity research: A meta-analytic review. In: Academy of Management Journal, Vol. 52(3). S. 599-627.
Tajfel H, & Turner JC (1986): The social identity theory of intergroup behavior. In: S. Worchel & W. G. Austin (Hg.), Psychology of intergroup relations. Chicago, IL: Nelson-Hall. S. 7-24.
Van Knippenberg D, De Dreu CKW. Homan AC (2004): Work group diversity and group performance: An integrative model and research agenda. Journal of Applied Psychology, 89(6), S. 1008-1022.
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