BKK: Betriebskrankenkasse als Zeichen der Fürsorge

Die Zukunftsfähigkeit unserer Sozialversiche­rungs­systeme ist in Gefahr. Steigende Sozial­abgaben bei immer weniger Gesundheitsleistung belasten auch Unternehmen. Eine neue Betriebs­krankenkasse könnte die Versorgungssituation von Beschäftigten verbessern und Unternehmen in der Rolle des Versorgers stärken. 

So gut wie alle Unternehmen in Deutschland stehen aktuell vor großen Herausforderungen. Neben den Auswirkungen der geopolitischen und finanziellen Krisen und dem Fachkräftemangel, sind es vor allem auch zunehmende Fehlzeiten und krankheitsbedingte Ausfälle der Beschäftigten, die Betriebe belasten. Gleichzeitig ist die Zukunftsfähigkeit unserer Sozialversicherungssysteme massiv infrage gestellt: Deutschland hat im westeuropäischen Vergleich die höchsten Ausgaben für Gesundheit. Die Beiträge für gesetzliche Krankenkassen steigen in diesem Zuge kontinuierlich an. Aktuelle Prognosen weisen darauf hin, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag im kommenden Jahr erstmalig über zwei Prozent liegen wird. Trotzdem haben wir Deutschen die geringste Lebenserwartung unter den Westeuropäern, Tendenz weiterhin sinkend. Sollte unser Sozialversicherungssystem tatsächlich auf Dauer nicht mehr nachhaltig finanzierbar sein, sind auch die Unternehmen in Deutschland direkt davon betroffen, denn damit gerät auch die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts massiv in Gefahr. 

Doch die Situation ist nicht aussichtslos, Unternehmen können das Heft selbst in die Hand nehmen: Das Sozialgesetzbuch (SGB V) erlaubt ausdrücklich, dass ein Unternehmen – einige Kriterien vorausgesetzt – eigenständig eine gesetzliche Krankenkasse als Betriebskrankenkasse (BKK) gründen kann. Unternehmen könnten damit unabhängig von den aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen herausragende Vorteile in der Gesundheitsversorgung für ihre Beschäftigten schaffen. 

Der Kern und Sinn von Betriebs­krankenkassen

Historisch gesehen sind Betriebskrankenkassen ein etabliertes Modell in der deutschen Sozialversicherung und Industriegeschichte. Höchst relevante Unternehmen wie beispielsweise BMW, Bosch, B. Braun oder Würth unterhalten bis heute erfolgreich ihre eigenen Betriebskrankenkassen und haben so die Möglichkeit, Gesundheitsdienste ganz spezifisch auf die eigene Belegschaft auszurichten.

Als Beispiel sei die relativ unbekannte und kleine (circa 7.000 Versicherte) BKK Groz-Beckert genannt: Als Weltmarktführer für die Produktion von Industrienadeln auf der Schwäbischen Alb bemüht sich Groz-Beckert, deutschlandweit die besten Ingenieure und Ingenieurinnen zu gewinnen. Dies erreicht das Unternehmen unter anderem durch eine betriebseigene BKK, die hohen Wert auf eine persönliche und nahbare Betreuung legt. Dazu gehört ein eigenes Fitnessstudio, für das die Beschäftigten je nach Belastung individuelle Trainingsvorschläge auf eine Chip-Karte bekommen, oder auch eine Physiotherapie-Praxis direkt am Werksgelände. Und was viele verwundern wird, die glauben, dass Effizienz und Kosteneinsparung mit der Größe der Kasse einhergehen: Die BKK Groz-Beckert ist aktuell die Kasse mit dem bundesweit niedrigsten Zusatzbeitrag. Tendenziell haben größere Kassen sogar einen höheren Zusatzbeitrag.

Organisatorisch gesehen ist eine eigene Betriebskrankenkasse eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Dies bedeutet, dass sie dem Trägerunternehmen nicht gehört und auch keine Gewinne erwirtschaftet werden dürfen. Genauso wenig besteht die Pflicht, dass Beschäftigte eines Trägerunternehmens automatisch bei der eigenen BKK versichert sind oder versichert werden müssen. Auch datenschutzrechtlich muss die Betriebskrankenkasse strikt vom Trägerunternehmen getrennt sein. Einfluss auf die eigene BKK kann ein Trägerunternehmen primär durch den Verwaltungsrat ausüben. Dieser Verwaltungsrat setzt sich immer aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretenden zusammen und entscheidet unter anderem über den Vorstand oder die spezifischen Satzungsleistungen der BKK.

Die eigene Betriebskrankenkasse finanziert sich – wie jede andere gesetzliche Krankenkasse auch – über die Beiträge, die primär durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer geleistet werden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine eigene BKK durch Sozialbeiträge finanziert wird, die ohnehin geleistet werden müssen. Im Normalfall muss ein Trägerunternehmen ab dem Zeitpunkt der Gründung also kein weiteres Geld mehr für den Betrieb der BKK aufbringen. Dies unterscheidet eine eigene BKK somit zum Beispiel elementar von herkömmlichen Angeboten des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder auch privaten Zusatzversicherungen wie die betriebliche Krankenversicherung (bKV).

Bessere Gesundheitsversorgung, moderne Technologie, mehr Service

Auch wenn den wenigsten dies bewusst ist: Die Gründung einer eigenen Betriebskrankenkasse (BKK) zahlt auf all die zuvor genannten Herausforderungen von Unternehmen ein. 

  • Eine BKK erlaubt eine bessere und exakt auf die Bedarfe der Belegschaft ausgerichtete Gesundheitsversorgung, das kann die Prävention ausweiten und Fehlzeiten reduzieren.
  • Herausragende Service-Leistungen rund um die Gesundheit können einen sehr wichtigen Unterschied zur Konkurrenz darstellen und werden damit relevant in der Mitarbeitendensuche und -bindung.
  • Eine effiziente Begleitung der Beschäftigten  im Krankheitsfall spart Geld für unnötige Komplikationen, Untersuchungen und Therapien. Dies wirkt sich auf den Zusatzbeitrag aus, was Arbeitgebenden wie Arbeitnehmenden zugutekommt.
  • Eine neue Kasse kann von Anfang an die heutigen technologischen Möglichkeiten nutzen, was digitale Self-Services rund um die Uhr, Zugang zu digitalen Gesundheitsleistungen sowie -informationen und einen hohen Grad an Individualisierbarkeit (wie beispielsweise mehrsprachige Angebote) ermöglicht.

Drei Faktoren für die Gestaltung einer modernen BKK 

Gesetzliche Krankenversicherungen haben zum aktuellen Zeitpunkt nur geringen Spielraum, sich durch Leistungen im Wettbewerb von anderen abzuheben, circa 95 Prozent der Leistungen einer gesetzlichen Krankenkasse sind vorgegeben. Differenzierung über Leistung ist also außer über Satzungsleistungen, das Bonusprogramm und Selektivverträge kaum möglich. Entscheidende Kriterien für Erfolg und Wertigkeit einer neuen BKK sind daher ein exzellenter Service und die Höhe des Zusatzbeitrags. Um dies zu erreichen, sollte die neue BKK auf drei zentralen Säulen aufbauen: Konsequente Digitalisierung, Individuelle Patientenbegleitung, Kultur eines "Best-Buddy" als aktiver Helfer. 

Säule eins: Digitalisierung

Die jüngste noch bestehende und eigenständig tätige Krankenkasse wurde vor über 20 Jahren gegründet. Dementsprechend schleppt jede Kasse technologische, prozessuale und organisatorische Altlasten mit sich herum. Eine Neugründung bietet die einzigartige Möglichkeit, auf der grünen Wiese aktuelle Technologien wie Cloud und KI zu nutzen und die Prozesse von Beginn an kundenzentriert aufzustellen. Das könnte nicht nur einen erheblichen Vorteil für die Versicherten bedeuten, die Anliegen nun viel schneller, einfacher und jederzeit mit dem Smartphone erledigen können, die Automatisierung würde auch Verwaltung und Arbeit der Krankenkassen-Mitarbeitenden erleichtern. 

Mit einer stringenten Ein-App-Strategie bekommen Versicherte die Möglichkeit, alle Anliegen rund um Gesundheit jederzeit mit dem Smartphone zu erledigen. Ob Anträge für Reha oder Familienversicherung, das Auffinden des passenden Arztes, Terminmanagement, den Anschluss von Lifestyle-Daten, das Einholen von Zweitmeinungen oder die Videosprechstunde auf Knopfdruck. Umgekehrt erlaubt eine kontinuierliche Datenauswertung, dass Versicherte (ihr Einverständnis vorausgesetzt) frühzeitig und proaktiv auf Risikofaktoren, Screenings, Präventionsprogramme oder passende Therapien individuell aufmerksam gemacht werden.

Säule zwei: Patientenbegleitung

Versicherte wünschen sich inzwischen, dass ihre Krankenkasse sie aktiv begleitet. So kann ein digitales Angebot viele Hilfestellungen bieten, damit sie durch Self-Services die bestmögliche Therapie und passende Informationen erhalten. Zusätzlich zeigen zahlreiche Studien, dass bestimmte Patienten einen erhöhten medizinischen und kommunikativen Bedarf haben, dem nur im persönlichen Gespräch begegnet werden kann. Daher sollte eine moderne BKK personelle Ressourcen für die persönliche Beratung einplanen, die Versicherten dabei helfen, durch das Gesundheitssystem zu navigieren. Es gibt bereits positive Beispiele: Eine große deutsche private Krankenversicherung (PKV) wendet das Prinzip sehr erfolgreich im Entlassmanagement aus dem Krankenhaus an. Sie bietet einen exzellenten Service und spart Geld durch Vermeidung unnötiger Therapien und Komplikationen. Und auch das amerikanische InsurTech Oscar Health setzt neben einem hohen Grad der Digitalisierung auf ein persönliches, interdisziplinäres Care Team, welches jederzeit per Chat oder Telefon kontaktiert werden kann. Dies ist einer der Schlüssel zum herausragenden Net Promotor Score (NPS) von 66.

Säule 3: Die Betriebskrankenkasse als Best-Buddy

Krankenkassen sind historisch als Kostenerstatter entstanden und haben so eine elementar wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft übernommen. Die Welt hat sich jedoch weiterentwickelt, die Herausforderungen sind heute andere und die Versicherten werden anspruchsvoller. Daher sollte eine neue BKK die Kultur eines Best-Buddy nach innen und außen leben: Dabei tritt die BKK als aktiv handelnder Akteur auf, der jederzeit verfügbar mit hilfreichen Informationen zur Seite steht, mitdenkt, nicht bevormundet und unterstützt. Bestehende Kassen haben diese  Entwicklungsmöglichkeiten sicherlich schon erkannt, stoßen jedoch auf enorme Herausforderungen in der Transformation ihrer Organisation. Neu gegründete BKKen haben diese Altlasten nicht und verfügen zusätzlich durch die Nähe zu ihren Beschäftigten über einen enormen Vorteil in der Kundenbetreuung.

Gesetzliche Vorgaben zur Gründung, Risiken und Aufwand  

Unternehmen, die folgende Kriterien erfüllen, können eine BKK gründen:

  • Mindestens 5.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland
  • Noch keine BKK-Gründung in der Vergangenheit
  • Kein medizinischer Leistungserbringer 

Erforderlich für die Gründung ist die Kalkulation des Zusatzbeitrags, welcher sich primär nach der Morbidität, also dem Krankheitsprofil der Belegschaft, bemisst. Hier kann die Erfahrung und Unterstützung des BKK-Verbunds helfen, dessen Experten und Expertinnen die entsprechenden Modelle rechnen können. 

Ein weiterer wichtiger Schritt in der Anerkennung ist eine geheime Wahl, in der mindestens 2.500 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte unverbindlich ihre Absicht erklären müssen, in die spätere BKK einzutreten. Ist die Wahl erfolgreich, erstellt das Trägerunternehmen die Satzung der neuen BKK und legt alle Nachweise der Aufsichtsbehörde vor. Nach erfolgreicher Prüfung werden Verwaltungsrat (besteht aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern) und Vorstand bestimmt und die Kasse kann an den Start gehen. Eine Gründung ist jederzeit auch unterjährig möglich.

Den zeitlichen Aufwand der Gründung schätzen wir auf etwa ein Jahr, um alle relevanten Schritte zu durchlaufen, zu denen insbesondere gehören: Austausch und Organisation mit BKK-Verbund, Kalkulation, Begleitung und Beratung im Austausch mit der Aufsichtsbehörde, interne Kommunikationskampagne beziehungsweise Roadshow vor der Wahl der Beschäftigten, Aufstellen der Service-Prozesse, Finden geeigneten Fachpersonals.

Finanziell sollte das Investment für den gesamten Gründungsprozess eine Millionen Euro nicht übersteigen. Die Kasse wird im laufenden Betrieb durch Gelder finanziert, die der Arbeitgeber ohnehin bezahlen müsste. Hinzu kommt, dass Einsparungen im Zusatzbeitrag durch eine effiziente Versichertenbegleitung mittelfristig realisiert werden können.

Im Worst-Case-Szenario würden die Kosten in der Kasse so stark steigen, dass zunächst der Zusatzbeitrag ansteigt, der Betrieb (vorübergehend) finanziell haften und im schlimmsten Fall die BKK mit einer anderen Krankenkasse fusionieren muss. Dies ist jedoch relativ unwahrscheinlich, solange die neue Kasse konsequent auf den oben dargelegten Prinzipien aufbaut. 

Man könnte annehmen, dass gerade kleine Kassen und damit eine geringere Risikoverteilung eher Gefahr für exorbitante Kosten darstellen, wenn einzelne Versicherte sehr teure Behandlungen benötigen (ein Beispiel könnte die künstliche Beatmung oder eine aufwendige Gentherapie sein). Glücklicherweise hat der Gesetzgeber durch das Faire-Kassenwettbewerbs-Gesetz dieses Risiko eingedämmt. So werden für jede Behandlung, die 100.000 Euro übersteigt, 80 Prozent der Kosten durch den sogenannten Gesundheitsfonds gedeckt, einem Pool, in dem alle Beiträge der gesetzlichen Krankenversicherungen gesammelt und von dort an die Kassen zugewiesen werden.

Ein weiteres Risiko stellen Vorbehalte von Seiten der Belegschaft dar, die befürchten könnten, das Trägerunternehmen könne über die betriebsbezogene BKK die eigene Belegschaft ausspionieren und gesundheitsbezogene Daten sammeln. Um das zu vermeiden, muss klar kommuniziert werden, dass BKK und Trägerunternehmen zwei komplett getrennte Organisationen sind. Dementsprechend gelten die gleichen Anforderungen bezüglich Datenschutz wie bei herkömmlichen Krankenversicherungen auch. 

Rolle der Unternehmen und weiterer Fahrplan

Die Frage ist nun: Welches Unternehmen traut sich in diesen besonderen Zeiten als erstes, einen solchen zukunftsgewandten Schritt zu gehen?  Klare Botschaft: Warten Sie in diesem speziellen Fall nicht weiter auf Lösungen der Politik. Nehmen Sie das Thema selbst in die Hand und zeigen Sie, Ihren Beschäftigten wie allen anderen, wie moderne Gesundheitsversorgung aussehen und zukunftsfähig gestaltet werden kann.

Letztendlich braucht es nur erste mutige Visionäre, die diesen historisch wichtigen Schritt gehen und sich damit in die große Tradition sozial verantwortungsbewusster Unternehmer und Unternehmerinnen in Deutschland stellen. Positive Aufmerksamkeit wird nach innen und außen sicher sein.


Dies ist ein Beitrag aus dem Sonderheft zur betrieblichen Altersversorgung, das mit Personalmagazin 12/2024 erschienen ist. Das gesamte Heft können Sie hier kostenlos herunterladen.


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