Weitaus komplexer als Stolperunfälle sind Unfälle infolge von Ausgleiten. Hier kommt dem System "Schuh-Zwischenmedium-Fußboden" eine besondere Bedeutung zu.
2.1 Grundlagen
2.1.1 Der Gang des Menschen
Beim Gehen treten unterschiedliche Tangential- (in Fußbodenebene) und Normalkräfte (senkrecht zur Fußbodenebene) auf. Der Bewegungsablauf beim menschlichen Gang, der der Bewegung des Körperschwerpunkts zugrunde liegt, lässt sich in zwei Phasen einteilen:
- Stützphase (in der das Bein sich gegen den Boden abstützt und eine rückwärtsgerichtete Kraft ausübt) und
- Pendelphase (in der das Bein vorwärts pendelt).
Beide Phasen werden abwechselnd vom rechten und linken Bein durchlaufen. Beim normalen Gang tritt eine doppelte Stützphase auf, in der sich beide Beine gleichzeitig auf dem Boden abstützen.
Beim Gang wandert der Körperschwerpunkt entsprechend den einzelnen Gangphasen um den Ruheschwerpunkt. Zur Erhaltung des Gleichgewichts wird der Fußboden durch Rückstoß- und Aufsetzkräfte der Beine unterschiedlich belastet. Die Abbremskräfte beim Aufsetzen des Fußes sind für die Unfallverhütung von größerer Bedeutung als die Beschleunigungskräfte am Ende der Stützphase, denn beim Aufsetzen des Schuhabsatzes liegt der Körperschwerpunkt am weitesten nach hinten. Dies ist deshalb gefährlicher, weil Menschen hierbei schneller das Gleichgewicht verlieren als beim Vorwärtsfallen. Man kann das Gleichgewicht in diesem Fall schwieriger erreichen, zumal das andere Bein in der Schwebphase ist. Unfallfolgen beim Rückwärtsfallen sind i. d. R. schwerwiegender, da z. B. die Hände nicht wirkungsvoll eingesetzt werden können und Kopfverletzungen wahrscheinlicher sind.
2.1.2 Anforderungsquotient und Reibzahl
Beim menschlichen Gang tritt eine Kraft FE auf den Fußboden ein. Diese setzt sich zusammen (s. Abb. 1) aus den Kraftkomponenten FN (Normalkraft, senkrecht zur Fußbodenebene) und FT (Tangentialkraft, in Fußbodenebene).
Abb. 1: Prinzip der Sicherheit gegen Ausgleiten beim Gehen auf horizontalem Fuboden (SKIBA)
Der Tangentialkraft FT wirkt eine gleichgroße Reibkraft FR entgegen. Wenn die Tangentialkraft FT kleiner ist als die maximal mögliche Haftreibkraft, so gleitet der Schuh nicht. Für Messungen wird die Anfangsreibkraft FRA herangezogen. Dies ist die Reibkraft von Reibpartnern, die unter Zugbelastung soeben zu gleiten beginnen. Die Sicherheitsbedingung für ein Nichtausgleiten lautet danach Gleitreibkraft FRG muss größer sein als die Tangentialkraft FT. Zwei Quotienten sind wichtig, um Aussagen zur Gleitsicherheit treffen zu können:
QA = FT/FN: gangbedingter, momentaner Anforderungsquotient. Er beschreibt das augenblicklich auf den Fußboden übertragene Kräfteverhältnis von Tangentialkraft zur Normalkraft während der einzelnen Phasen des menschlichen Ganges. Die Tangentialkraft muss von der Haftreibkraft neutralisiert werden, damit es nicht zum Ausgleiten kommt.
μ = FRG/FN: materialbedingte Reibzahl. Sie kennzeichnet das Kräfteverhältnis, bei dem eine auf den Fußboden wirksame Tangentialkraft nicht mehr durch eine Haftreibkraft neutralisiert wird, sondern die Schuhsohle auf dem Boden gleitet. Das Verhältnis zwischen materialbedingter Reibzahl (oder Gleitreibkraft) und maximalem momentanen Anforderungsquotienten (oder maximaler Tangentialkraft) μ / QAmax (= FRG/FTmax) kennzeichnet die Sicherheit "S" gegen Ausgleiten.
2.2 Vorschriften und Grenzwerte
2.2.1 Arbeitsstätten-Verordnung
In Anhang 1.5 ArbStättV heißt es: "(1) Die Oberflächen der Fußböden, Wände und Decken müssen so beschaffen sein, dass sie den Erfordernissen des Betreibers entsprechen und leicht zu reinigen sind. An Arbeitsplätzen müssen die Arbeitsstätten unter Berücksichtigung der Art des Betriebes und der körperlichen Tätigkeit eine ausreichende Dämmung gegen Wärme und Kälte sowie eine ausreichende Isolierung gegen Feuchtigkeit aufweisen. (2) Die Fußböden der Räume dürfen keine Unebenheiten, Löcher, Stolperstellen oder gefährliche Schrägen aufweisen. Sie müssen gegen Verrutschen gesichert, tragfähig, trittsicher und rutschhemmend sein." Arbeitsplätze in nicht allseits umschlossenen Arbeitsstätten und im Freien sind nach Anhang 1.5 ArbStättV so zu gestalten, dass sie von den Beschäftigten bei jeder Witterung sicher und ohne Gesundheitsgefährdung erreicht, benutzt und wieder verlassen werden können.
2.2.2 Arbeitsstätten-Richtlinie ASR A1.5
Die ASR A1.5 "Fußböden" fordert, dass Fußböden in Abhängigkeit von Art und Nutzung sowie den zu erwartenden gleitförmigen Stoffen (z. B. Wasser, Öl, Fett, Staub) sicher benutzt werden können. Rutschgefahren müssen durch geeignete Schutzmaßnahmen vermieden werden. Hierzu zählen Fußbodenbeläge mit einer hohen Rutschhemmung oder zusätzlichem Verdrängungsraum. Die ASR A1.5 beschreibt ebenfalls Schutzmaßnahmen gegen Stolpern. So müssen z. B. Leisten, Abdeckungen, Ablauföffnungen, Ablaufrinnen, Profile o. Ä. in begehbaren Bereichen von Fußböden so gestaltet und installiert sein, dass dadurch keine Stolperquellen entstehen.
Anhang 1 beschreibt ein Verfahren zur Prüfung der rutschhemmenden Eigenschaft und des Verdrängungsraums. Eine Prüfperson mit Prüfschuhen begeht in aufrechter Haltung mit Schritten einer halben Schuhlänge vor- und rückwärts den...