2.2.1 Wie sieht die aktuelle Betriebsorganisation aus?
Zu Beginn der Gefährdungsbeurteilung wird der Betrieb in überschaubare Arbeitsbereiche aufgeteilt. Den Arbeitsbereichen werden Tätigkeiten zugeordnet, wobei eine zu große Aufsplittung der Tätigkeiten der Komplexität wegen vermieden werden sollte. Dafür kann das Formblatt Betriebsorganisation eingesetzt werden.
Neben dem Normalbetrieb sind besonders gefährliche Tätigkeiten wie
- Ingangsetzen,
- Einrichten,
- Probebetrieb,
- Stillsetzen,
- Wartung/Pflege,
- Instandsetzen und
- Beseitigung von Störungen/Ausfällen
ggf. gesondert aufzuführen.
Gleichartige Tätigkeiten
Gleichartige Tätigkeiten können zusammengefasst werden.
2.2.2 Welcher Arbeitsbereich, welche Tätigkeit oder Person soll beurteilt werden?
Es ist ratsam, mit den Arbeitsbereichen, Tätigkeiten oder Personen zu beginnen, bei denen mit besonderen Gefährdungen/Belastungen zu rechnen ist.
Anhaltspunkte
Anhaltspunkte für Gefährdungen/Belastungen im Unternehmen können z. B. sein:
- eine Risikobewertung,
- das Unfall- und Krankheitsgeschehen,
- persönliche Beschwerden von Beschäftigten.
Es ist zu unterscheiden ob die einzelnen Beurteilungen
- arbeitsplatzbezogen,
- tätigkeitsbezogen oder
- personenbezogen
durchgeführt werden.
Arbeitsplatzbezogene Beurteilungen bieten sich an, wenn alle dort Beschäftigten gleichen Gefährdungen/Belastungen ausgesetzt sind (z. B. Klima, Lärm, Beleuchtung, Gefahrstoffe).
Tätigkeitsbezogene Beurteilungen bieten sich an, wenn am Arbeitsplatz zusätzliche Gefährdungen auftreten, wie z. B. bei der Bildschirmarbeit. Bei gleichartigen Tätigkeiten ist die Beurteilung einer Tätigkeit ausreichend.
Personenbezogene Beurteilungen werden angewendet bei:
- nicht stationären Arbeitsplätzen, wie z. B. bei Betriebshandwerkern und auf Baustellen,
- der Beschäftigung besonderer Personengruppen, wie z. B. Jugendliche, Schwangere, Behinderte.
2.2.3 Welche Gefährdungs- und Belastungsfaktoren gibt es?
Nun werden systematisch alle Gefährdungen und Belastungen in den zu betrachtenden Arbeitsbereichen/Tätigkeiten erfasst. Weiterhin muss festgelegt werden, welche Voraussetzungen die Personen erfüllen müssen, die mit der Prüfung und Erprobung von Arbeitsmitteln beauftragt werden sollen. Eine hohe Akzeptanz bei der Umsetzung der Maßnahmen kann erreicht werden, wenn die Beschäftigten bereits hier eingebunden werden. Außerdem kennen die Beschäftigten die Gefährdungen und Belastungen an ihrem Arbeitsplatz selbst am besten.
Abb. 1: Gefährdungs- und Belastungsfaktoren
Gefährdungs- und Belastungskataloge
Als Unterstützung bieten die Berufsgenossenschaften für die einzelnen Betriebsarten/Arbeitsbereiche bzw. Tätigkeiten Gefährdungs- und Belastungskataloge an. Betriebsspezifische Gefährdungen, die in den Katalogen nicht erfasst sind, müssen ergänzt werden.
Liegen für einzelne Gefährdungen bereits Gefährdungsbeurteilungen auf der Grundlage anderer Rechtsvorschriften (z. B. Gefahrstoffverordnung, Lastenhandhabungsverordnung) vor, sind die Dokumente in die Gesamtbeurteilung einzubinden. Betriebszustände außerhalb des Normalbetriebs (siehe Abschn. 2.2.1) sind bei der Gefährdungsbeurteilung mitzubetrachten.
Psychische Belastungsfaktoren und psychische Belastung
Obwohl psychische Erkrankungen – nach Muskel- und Skelettkrankheiten und Krankheiten des Atmungssystems – derzeit die dritthäufigste Ursache für krankheitsbedingte Ausfalltage sind, werden psychische Belastungsfaktoren im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung eher selten betrachtet.
Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ist Pflicht
Mit der Aufnahme des Kriteriums "psychische Belastung bei der Arbeit" (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbschG) ist die Verpflichtung, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung auch psychische Belastung zu berücksichtigen, nun eindeutig geregelt; dies muss nach § 6 ArbSchG auch dokumentiert werden. Damit wurde der unbestimmte Rechtsbegriff "menschengerechte Gestaltung der Arbeit" (§ 2 Abs. 1 ArbSchG) weiter konkretisiert.
Mögliche hemmende Faktoren sind:
- die Begriffe "psychische Belastung bzw. Beanspruchung" werden uneinheitlich verwendet und zu wenig konkretisiert und häufig mit psychischen Störungen bzw. Erkrankungen gleichgesetzt;
- mangelndes Wissen und fehlende Qualifikation der Verantwortlichen in Unternehmen, Behörden und bei Unfallversicherungsträgern;
- unübersichtliches Angebot an Analyseverfahren, Verfahrensvorschlägen und Handlungshilfen;
- festgefahrene Konfliktstrukturen im Unternehmen.
Wird die Gefährdungsbeurteilung dagegen als Verständigungs-, Entwicklungs- und Lernprozess verstanden, sind folgende Maßnahmen empfehlenswert:
- Arbeitgeber und Betriebsrat stimmen die Vorgehensweise ab;
- Verfahren und Instrumente einsetzen, die pragmatisch und auf die betriebliche Situation zugeschnitten sind;
- Umsetzung durch eine Steuerungsgruppe, die mit Entscheidungsträgern besetzt ist;
- bei der Einführung mit Pilotprojekten beginnen.
Obwohl viele Unternehmen erkannt haben, dass auch psychische Belastungen betrachtet werden müssen, zögern sie, weil sie nicht wissen, wie sie vorgehen sollen. Praktische Hilfe, auch für Kleinbetriebe, liefert der IAG Report 01/2013 "Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen – Tipps zum Einstieg" (www.dguv.de).