Oliver Walle, Sarah Staut
Vielfach werden bei der medialen Darstellung des Anstiegs psychischer Erkrankungen damit auch gleich die Belastungen subsumiert, d. h., man geht davon aus, dass die Belastungen in gleichem Maße gestiegen sind. Diese Thematik wird vorrangig in Verbindung mit beruflichen Belastungen gesehen. Eine kritische Auseinandersetzung mit persönlichen Situationen, wie Beziehungsproblemen, Sorgen wegen Kindern, Schulden, soziale Ausgrenzung, aber auch Persönlichkeitsmerkmalen, finden sich nur in wissenschaftlichen Untersuchungen, weniger in der politischen Diskussion und medialen Veröffentlichungen.
Um eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz durchführen zu können, ist es vorab wichtig zu definieren, was unter einer Belastung verstanden wird und wie sich diese von einer Erkrankung unterscheidet. Dafür kann auf die DIN EN ISO 10075 zurückgegriffen werden, die sowohl die psychischen Arbeitsbelastungen als auch die Beanspruchungen sowie deren Unterscheidung definiert.
Belastung und Beanspruchung
Unter psychischer Belastung wird die "Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken" verstanden. Die psychische Beanspruchung wird dagegen als die "unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien" definiert.
Diese Trennung von Belastung und Beanspruchung ist nicht neu. Sie entstammt dem "Ur-Konzept" von Rohmert und Rutenfranz von 1975. Sie besagt auch, dass bei gleichen auf den Menschen einwirkenden Belastungen sehr unterschiedliche Beanspruchungen vorzufinden sind. Diese begründen sich nicht nur in den unterschiedlichen Voraussetzungen der Personen, sondern auch in Umfang und Art der Bewältigungsstrategien.
Unbestritten ist, dass jede Arbeitstätigkeit mit psychischen Belastungen einhergeht. Laut der DIN-Norm sind die psychischen Belastungen als neutral zu betrachten, d. h., sie führen nicht per se zu negativen Beanspruchungen. Daher unterscheidet die DIN-Norm auch zwischen anregenden und beeinträchtigenden Effekten (s. Abb. 1). Eine vergleichbare Sichtweise kennt man in Bezug auf Stress. Dieser wird zwar primär als negativ betrachtet, jedoch kennt man auch hier die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Stress.
Abb. 1: Beziehungen zwischen Belastungen und Beanspruchungen bei psychischer Arbeitsbelastung
Die DIN 10075 liefert auch Gründe für diese Unterscheidung, wie z. B. die Dosis der Einwirkung. Belastungen lassen sich hinsichtlich "Intensität, Dauer und zeitliche Verteilung der Intensität, mit der der Nutzer der Belastung ausgesetzt ist" beschreiben. Des Weiteren können sie auch in der Art, d. h. qualitativ, unterschieden werden. Während der Lärm einer Maschine als unangenehm und beeinträchtigend empfunden wird, freuen sich Besucher auf einem Rockkonzert über die Musik, selbst wenn sie einen höheren Lärmpegel aufweist. Folglich müssen im Rahmen einer Beurteilung der psychischen Belastungen sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte berücksichtigt werden. Es muss aber auch geprüft werden, ob diese Faktoren überhaupt einen negativen Einfluss auf die Gesundheit haben. Nur darauf zielt letztlich die Gefährdungsbeurteilung ab.
Bei der Beurteilung, inwieweit Belastungen einen Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten haben, können theoretische Modelle herangezogen werden. Unter den zahlreichen Modellen zur Erklärung von Gesundheit und Krankheit beziehen sich nur wenige auf die Arbeitssituation. Das Risikofaktorenmodell, welches für den Arbeitsschutz herangezogen werden kann, beruht auf der Grundannahme, dass ein oder mehrere Faktoren zu einer Erkrankung (vorrangig chronisch) führen können. Durch Kenntnis dieser Faktoren lassen sich wiederum präventive Maßnahmen ableiten. Überträgt man diese Grundannahme auf Arbeitssituationen, so kann Lärm als Risikofaktor für Stress, aber auch für eine Gehörschädigung gesehen werden. Ungünstige/statische Haltungen oder schwere Lasten sind Risikofaktoren für das Entstehen von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Für das Entstehen von psychischen oder anderen Erkrankungen aufgrund von Arbeitstätigkeiten oder Bedingungen der Arbeitsumgebung kann dieses Modell nicht mehr herangezogen werden, da weder die Bewältigungsmöglichkeiten des Menschen noch die Ressourcen berücksichtigt werden.
Die Psychologie hat daher spezifischere, d. h. auf die Arbeitssituation bezogene, Modelle entwickelt, die letztlich auch im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen herangezogen werden können. Wissenschaftlich umfangreich überprüft und praxiserprobt sind nur 2 Modelle: Das Job-Demand-Control-Modell sowie das Effort-Reward-Imbalance-Modell.
In seinen theoretischen Grundüberlegungen zum Job-Demand-Control-Modell ging Karasek davon aus, dass die Kombination aus hoher Arbeitsintensität/Stress (Job Demands), verbunden...