In vielen Arbeitsbereichen führen Geruchs- und Reizeffekte zu Belästigungen, gesundheitlichen Beschwerden und manchmal manifesten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege. Zu den typischen Gesundheitssymptomen gehören gereizte Schleimhäute (Augen, Nase, Rachen), Husten, Atemnot, trockene, juckende Haut, Hautausschlag, Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsprobleme, Müdigkeit.[1] Durch die hohe Flüchtigkeit vieler Substanzen sind häufig schon sehr niedrige Konzentrationen zu riechen und bei zunehmender Konzentration beginnen die charakteristischen Reizeffekte.[2]

Das Riechen eines Stoffes, also der Sinnesvorgang selbst, wird über den Nervus olfactorius (lateinisch olfactus "Geruch") vermittelt. Die Menge, ab der ein Stoff riechbar ist, bezeichnet man als Geruchsschwelle. Man unterscheidet zwischen der Wahrnehmungsschwelle ("es riecht nach etwas") und der Erkennungsschwelle ("es riecht nach Kaffee").

In höheren Konzentrationen lösen viele Geruchsstoffe Empfindungen, wie z. B. heiß, scharf (Capsaicin), stechend, beißend (Ammoniak) oder kühl, frisch (Menthol), aus. Diese Empfindungen können an der Nase oder auch an den Augen und im Rachen auftreten. Sie werden als "sensorische" Reizwirkung bezeichnet und über den Nervus trigeminus (Schmerznerv) vermittelt. Die Menge, ab der ein Stoff diese Empfindungen erzeugt, bezeichnet man als Reizschwelle.

Geruchs- und Reizwahrnehmung sind eng miteinander verknüpft. Bei Personen, die nichts mehr riechen können, d. h., eine sog. Anosmie haben, ist auch die Reizwahrnehmung deutlich abgeschwächt.

Etwa 40 % der Arbeitsplatzgrenzwerte und auch die in Büros und Wohnungen geltenden Innenraumrichtwerte beruhen auf der Vermeidung sensorischer Reizwirkungen an den Augen und den oberen Atemwegen. Werden die entsprechenden Grenz- oder Richtwerte eingehalten, kann trotzdem ein Geruch wahrnehmbar sein und erheblich stören. Bislang gibt es kein einheitliches Bewertungsschema für die Beurteilung von Gerüchen am Arbeitsplatz.

[1] Mayer: Die gesundheitliche Relevanz von Innenraumbelastungen – Die Bedeutung von Gerüchen, Zbl Arbeitsmed 63 (2013) 312–323, www.bghw.de/arbeitsschuetzer/praevention-von-a-z/a-e/biologische-gefaehrdungen/redaktionsablage/ZB_2013_06_Mayer_Gerueche.pdf.
[2] Hatt: Geruch, in: Brandes/Lang/Schmidt (Hrsg.): Physiologie des Menschen, Springer, Berlin 2019, 781–788, https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-56468-4.

1.1 Bewertung von Reizwirkungen am Arbeitsplatz

Treten Beschwerden wie Augenbrennen, Naselaufen oder Halskratzen auf, können Schadstoffmessungen in der Luft zeigen, ob die entsprechenden gesundheitsbezogenen Werte eingehalten werden. Grundsätzlich gilt, dass dabei Einzelsubstanzen bewertet werden. Eine gesundheitsbezogene Bewertung von Substanzgemischen ist bislang nicht möglich.

Eine kurzfristige sensorische Reizung stellt noch keinen gesundheitsschädlichen (adversen) Effekt dar. Durch die Wechselwirkung des Stoffes mit den Rezeptoren des Nervus trigeminus in Augen, Nase und Rachen werden zunächst unwillkürliche Reflexe und Abwehrmechanismen ausgelöst, wie z. B. tränende Augen, eine laufende Nase oder ein Hustenreiz, die bei niedriger Konzentration oder einer kurzen Zeitdauer auch erfolgreich sind. Werden diese Reflexe und Abwehrmechanismen allerdings bei höherer oder länger andauernder Exposition kontinuierlich ausgelöst, kann das das Risiko für Gesundheitsschäden erhöhen. In 2014 wurden die (patho-)physiologischen Grundlagen der sensorischen Reizwirkung beschrieben sowie eine Handlungsanleitung zur Ableitung von Arbeitsplatzgrenzwerten erarbeitet.[1]

[1] Brüning/Bartsch/Bolt/Desel/Drexler/Gundert-Remy/Hartwig/Jäckh/Leibold/Pallapies/Rettenmeier/Schlüter/Stropp/Sucker/Triebig/Westphal/van Thriel (2014): Sensory irritation as a basis for setting occupational exposure limits, Arch Toxicol, 88(10): 1855–1879.

1.2 Bewertung von Gerüchen am gewerblichen Arbeitsplatz

Die menschliche Nase ist um ein Vielfaches empfindlicher als jedes moderne Analysegerät. Sie erfüllt damit eine wichtige Frühwarnfunktion, denn sie kann viele Stoffe bereits bei äußerst geringer Konzentration riechen, lange bevor eine gesundheitsschädliche Wirkung eintritt.

Diese Warnwirkung des Geruchssinns macht man sich zunutze, indem man beispielsweise dem heute üblichen geruchlosen Erdgas einen Schwefelgeruch beimischt. Die Odorierung von Erdgas, Flüssiggas, Autogas und anderen Brenngasen stellt eine wichtige Sicherheitsmaßnahme dar. Diese Odoriermittel müssen noch in großer Verdünnung wahrnehmbar sein, unangenehm und unverwechselbar riechen und eine alarmierende Assoziation hervorrufen.

Leider ist die Nase nicht immer verlässlich, wenn sie uns vor Gefahren warnen soll. Der Geruch von Ethylenoxid oder Dichlormethan z. B. ist erst dann gut wahrnehmbar, wenn der Arbeitsplatzgrenzwert bereits überschritten ist. Andere Gefahrstoffe sind dagegen völlig geruchslos (z. B. Kohlenmonoxid).

Gerüche werden dann bei der Grenzwertsetzung berücksichtigt, wenn sie zu einer unangemessenen Belästigung führen. So basiert beispielsweise der MAK-Wert (maximale Arbeitsplatzkonzentration) von 5 ppm für Schwefelwassersto...

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