Dr. rer. nat. Kirsten Sucker
Zusammenfassung
Beschwerden über störende Gerüche am Arbeitsplatz sind ernst zu nehmen, denn sie können ein Hinweis auf Probleme mit der Luftqualität oder mit anderen Arbeitsplatzbedingungen sein. Oft werden Gerüche als Hinweis auf eine Schadstoffbelastung interpretiert und sind dann mit der Sorge über mögliche gesundheitliche Folgen verbunden. Die Frage, die gestellt wird, lautet: Riecht es nur, oder ist es auch gesundheitsschädlich? Dieser Fachbeitrag gibt Hintergrundinformationen, um Beschwerden über Gerüche richtig zu interpretieren, und zeigt Möglichkeiten für die Ermittlung und Beurteilung auf.
Es macht einen Unterschied, ob man sich an einem Produktionsarbeitsplatz oder in einem Büro befindet. Wird an einem Arbeitsplatz mit Gefahrstoffen umgegangen, schützt der Arbeitsplatzgrenzwert vor einer gesundheitlichen Gefährdung. Ein Büroarbeitsplatz wird dagegen wie eine Wohnung betrachtet. Hier schützt der Richtwert II vor einer gesundheitlichen Gefährdung, insbesondere empfindliche Personen und bei Daueraufenthalt in den Räumen. Beide Beurteilungswerte sind toxikologisch begründet. Mithilfe von weiteren Beurteilungswerten, wie dem Richtwert I, Leitwerten und Referenzwerten, soll eine gute Innenraumluftqualität sichergestellt werden. Hier steht das Wohlbefinden der Raumnutzer im Vordergrund und das Ziel ist eine möglichst unbelastete und klimatisch behagliche Innenraumluft. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer hygienischen Begründung, da es zwar systematische praktische Erfahrungen gibt, die darauf hinweisen, dass mit steigender Konzentration die Wahrscheinlichkeit für gesundheitliche Beschwerden zunimmt, aber der Kenntnisstand reicht nicht aus, um toxikologisch begründete Richtwerte abzuleiten.
1 Differenzierung von Geruchs- und Reizeffekten
In vielen Arbeitsbereichen führen Geruchs- und Reizeffekte zu Belästigungen, gesundheitlichen Beschwerden und manchmal manifesten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege. Zu den typischen Gesundheitssymptomen gehören gereizte Schleimhäute (Augen, Nase, Rachen), Husten, Atemnot, trockene, juckende Haut, Hautausschlag, Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsprobleme, Müdigkeit. Durch die hohe Flüchtigkeit vieler Substanzen sind häufig schon sehr niedrige Konzentrationen zu riechen und bei zunehmender Konzentration beginnen die charakteristischen Reizeffekte.
Das Riechen eines Stoffes, also der Sinnesvorgang selbst, wird über den Nervus olfactorius (lateinisch olfactus "Geruch") vermittelt. Die Menge, ab der ein Stoff riechbar ist, bezeichnet man als Geruchsschwelle. Man unterscheidet zwischen der Wahrnehmungsschwelle ("es riecht nach etwas") und der Erkennungsschwelle ("es riecht nach Kaffee").
In höheren Konzentrationen lösen viele Geruchsstoffe Empfindungen, wie z. B. heiß, scharf (Capsaicin), stechend, beißend (Ammoniak) oder kühl, frisch (Menthol), aus. Diese Empfindungen können an der Nase oder auch an den Augen und im Rachen auftreten. Sie werden als "sensorische" Reizwirkung bezeichnet und über den Nervus trigeminus (Schmerznerv) vermittelt. Die Menge, ab der ein Stoff diese Empfindungen erzeugt, bezeichnet man als Reizschwelle.
Geruchs- und Reizwahrnehmung sind eng miteinander verknüpft. Bei Personen, die nichts mehr riechen können, d. h., eine sog. Anosmie haben, ist auch die Reizwahrnehmung deutlich abgeschwächt.
Etwa 40 % der Arbeitsplatzgrenzwerte und auch die in Büros und Wohnungen geltenden Innenraumrichtwerte beruhen auf der Vermeidung sensorischer Reizwirkungen an den Augen und den oberen Atemwegen. Werden die entsprechenden Grenz- oder Richtwerte eingehalten, kann trotzdem ein Geruch wahrnehmbar sein und erheblich stören. Bislang gibt es kein einheitliches Bewertungsschema für die Beurteilung von Gerüchen am Arbeitsplatz.
1.1 Bewertung von Reizwirkungen am Arbeitsplatz
Treten Beschwerden wie Augenbrennen, Naselaufen oder Halskratzen auf, können Schadstoffmessungen in der Luft zeigen, ob die entsprechenden gesundheitsbezogenen Werte eingehalten werden. Grundsätzlich gilt, dass dabei Einzelsubstanzen bewertet werden. Eine gesundheitsbezogene Bewertung von Substanzgemischen ist bislang nicht möglich.
Eine kurzfristige sensorische Reizung stellt noch keinen gesundheitsschädlichen (adversen) Effekt dar. Durch die Wechselwirkung des Stoffes mit den Rezeptoren des Nervus trigeminus in Augen, Nase und Rachen werden zunächst unwillkürliche Reflexe und Abwehrmechanismen ausgelöst, wie z. B. tränende Augen, eine laufende Nase oder ein Hustenreiz, die bei niedriger Konzentration oder einer kurzen Zeitdauer auch erfolgreich sind. Werden diese Reflexe und Abwehrmechanismen allerdings bei höherer oder länger andauernder Exposition kontinui...