Dipl.-Psych. Uwe Weinreich
Wenn bisher der Eindruck entstanden ist, dass hybrides Arbeiten gerade psychisch sowie für Beziehungen in Teams und zwischen Mitarbeitern und Führungskräften herausfordernd ist, ist das nicht ganz falsch. Digital vermittelte Kommunikation ist für uns als Menschen etwas sehr Neues, an das wir bisher wenig angepasst sind. Das kann zu Verunsicherung, Konflikten, Rückzug und innerer Kündigung führen. So weit sollte es nicht kommen.
Im Jahr 2012 startete Google das Projekt Aristotle. Es wurden hunderte Google-Teams untersucht, um herauszufinden, welche Faktoren das perfekte Team ausmachen. Entgegen den ursprünglichen Annahmen war es nicht ein besonderer Mix von Persönlichkeiten oder Fertigkeiten, die Hochleistungsteams auszeichneten, sondern es waren die oftmals unausgesprochenen, aber sehr wirksamen Normen, die in den Teams vorherrschten. Dazu gehörte eine Teamkultur, die energische Argumente fördert und Gruppendenken vermeidet. Das kann durchaus konfrontativ aussehen. Der Unterschied zu dysfunktionalen Teams lag darin, dass sich alle Mitglieder auch bei abweichenden und konfrontativen Äußerungen sicher sein konnten, dass sie damit akzeptiert und wertgeschätzt, statt isoliert und abgewertet werden. Dieses Ergebnis war für die Fachwelt ein Paukenschlag.
Die amerikanische Psychologin Amy C. Edmondson hat für diese Kultur den Begriff der psychologischen Sicherheit (Psychological Safety) geprägt. Seit 2012 hat das Konzept einen Siegeszug angetreten, wahrscheinlich nicht nur aufgrund der empirischen Datenbasis, sondern auch weil es der Alltagserfahrung entspricht.
Psychologische Sicherheit beschreibt die feste Überzeugung, dass man nicht bestraft oder gedemütigt wird, wenn man Ideen, Fragen, Bedenken oder Fehler äußert, auch wenn sie nicht dem bisherigen Gruppenkonsens entsprechen. Mit anderen Worten: Psychologische Sicherheit ist das Gefühl, dass es sicher ist, innerhalb eines Teams oder einer Organisation zwischenmenschliche Risiken einzugehen, z. B. einen Fehler zuzugeben oder eine neue Idee vorzuschlagen, ohne negative Konsequenzen, wie Ablehnung oder Bestrafung, befürchten zu müssen. Es herrscht ein hohes Maß gegenseitigen Respekts.
Es erklärt sich von selbst, dass Teams mit einer solchen Kultur gerade, wenn es um Innovation oder das Lösen von Problemen geht, von der offenen Kommunikation und dem viel breiteren Horizont profitieren, den sie in ihre Diskussionen integrieren können. Psychologische Sicherheit ermöglicht darüber hinaus ein viel tieferes Vertrauen und das Lernen aus Fehlern. Das stärkt auch das Gefühl von Sinnhaftigkeit und Zusammenhalt im Team.
Damit ist psychologische Sicherheit nicht nur etwas, um Hochleistungsteams zu entwickeln, sondern wird zum wichtigen Faktor bei der durch Entfernung und digitale Medien erschwerten Zusammenarbeit in hybriden Arbeitsmodellen.
Wenn Mitarbeiter aus der Ferne arbeiten, fühlen sie sich möglicherweise von ihren Kollegen und der Unternehmenskultur abgekoppelt. Das kann dazu führen, dass sie zögern, ihre Gedanken mitzuteilen. Das wirkt sich nicht nur auf Arbeitsergebnisse negativ aus, sondern kann auf Dauer auch die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden beeinträchtigen. Psychologische Sicherheit ist also in einem hybriden Arbeitsmodell von besonderer Bedeutung, da sie dazu beiträgt, dass sich alle Mitarbeiter einbezogen und wertgeschätzt fühlen. Das führt zu einer besseren Zusammenarbeit, einer besseren Entscheidungsfindung und einer höheren Arbeitszufriedenheit.
Psychologische Sicherheit in einem hybriden Arbeitsmodell sicherstellen
Die wenigsten Menschen sind in eine solch wertschätzende Kultur hineingewachsen und Normen einer wettbewerbsorientierten Arbeitskultur unterminieren eher psychologische Sicherheit, als dass sie sie unterstützen. Es braucht also eine gewisse Anstrengung, um sie zu etablieren. Besonders gefordert sind dabei Führungskräfte. Sie müssen nicht nur ihr eigenes Kommunikationsverhalten reflektieren und partiell ändern, sondern sie stehen auch ständig als Rollenmodelle unter Beobachtung und müssen korrigierend in die Teamkommunikation eingreifen, wenn psychologische Sicherheit gefährdet wird. Dabei gilt das Kaskadenprinzip. Wenn der Vorstand einen harten Führungsstil pflegt, der mehr auf Bestrafung als Empowerment setzt, wird sich das durch das Unternehmen nach unten weiter durchsetzen. Für psychologische Sicherheit bleibt nur Raum in Nischenteams.
Ein erster wichtiger Wegpunkt ist die Reflexion der eigenen Unternehmenskultur. Schätzen wir wirklich unterschiedliche Perspektiven und nehmen wir Unterschiede als Stärken wahr? Findet wirklich keine Unterdrückung oder Abwertung abweichender Meinungen statt – auch nicht subtil?
Es ist nicht ungewöhnlich, wenn die Antworten erst einmal "Nein" lauten. Dann ist der erste Schritt zur Bewusstwerdung über das Problem bereits geschafft. Interessant wird es dann herauszufinden, wie eine bessere Kultur schrittweise gefördert werden kann. Das wird nicht ohne Workshops und Schulungen für Führungskräfte, aber auch Team...