Die Vorschriften im Arbeitsschutzgesetz sind nach Ansicht des Gerichts so ausgestaltet, dass Regelungen über eine aufgabenbezogene Unterweisung nach § 12 ArbSchG erst getroffen werden können, wenn zuvor eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG durchgeführt wurde. Daher könne ohne eine vorhergehende Gefährdungsbeurteilung auch von der Einigungsstelle keine Regelung über eine Unterweisung getroffen werden. Dies ergebe eine Auslegung des § 12 ArbSchG nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte sowie nach dem Sinn und Zweck der Norm.
§ 12 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG schreibe vor, dass der Arbeitgeber die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen unterrichten müsse. Nach § 5 Abs. 1 ArbSchG müsse der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Die Unterweisung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG müsse gemäß § 12 Abs. 1 Satz 4 ArbSchG an die Gefährdungsentwicklung angepasst sein. Dadurch werde die Verknüpfung von Unterweisung und Gefährdungsbeurteilung belegt.
Demgemäß habe das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil v. 12.8.2008 (9 AZR 1117/06) auch ausgeführt, dass der Arbeitgeber die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu unterweisen habe und dass diese Unterweisung an die Gefährdungsentwicklung angepasst sein müsse, dass die Unterweisung also eine Gefährdungsbeurteilung voraussetze.
Für den Vorrang der Gefährdungsbeurteilung spreche auch die Entstehungsgeschichte der hier maßgeblichen Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes. So führe der Gesetzgeber in der Begründung zum Entwurf des § 5 ArbSchG aus, dass sich erst aufgrund einer Beurteilung der Arbeitsbedingungen erkennen lasse, welche Schutzmaßnahmen erforderlich seien. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ziele, so führt das Landesarbeitsgericht weiter aus, § 12 ArbSchG darauf ab, sicherzustellen, dass Beschäftigte eine Gesundheitsgefährdung erkennen und entsprechend den vorgesehenen Maßnahmen handeln könnten. Dies solle dadurch geschehen, dass die Beschäftigten im Rahmen der Unterweisung auf die individuelle Arbeitssituation zugeschnittene Informationen, Erläuterungen und Anweisungen erhalten.
Aus diesem Zusammenhang werde deutlich, dass ohne eine Gefährdungsbeurteilung eine Unterweisung nicht möglich sei, weil erst aufgrund einer Gefährdungsbeurteilung überhaupt erkennbar werde, welche Schutzmaßnahmen nötig seien. Die Gefährdungsermittlung sei das zentrale Element des technischen Arbeitsschutzes. Mit ihr beginne, wie das Bundesarbeitsgericht bereits dargelegt habe, der Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers. Je genauer und wirklichkeitsnäher die Gefährdungen im Betrieb ermittelt und beurteilt würden, desto zielsicherer könnten konkrete Maßnahmen des Arbeitsschutzes getroffen werden.
Daher müsse, bezogen auf den konkreten Arbeitsplatz, vor einer Unterweisung festgestellt werden,
- worin die möglichen Gefahren und Belastungen bei der Arbeit bestehen,
- woraus sie sich ergeben und
- welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind und deshalb vom Arbeitgeber getroffen werden müssen.
Es müssten also vor einer Unterweisung die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung bekannt sein. Diese seien Grundlage für die Unterweisung. Eine Unterweisung, die durchgeführt werde, ohne dass die konkreten Gefährdungen und Belastungen, denen die einzelnen Beschäftigten ausgesetzt sind, und die dagegen zu treffenden Schutzmaßnahmen bekannt seien, sei sinnlos und verfehle ihren Zweck.