Verletzungen und Erkrankungen aufgrund verhaltensbedingter Ursachen senkt man konkret, indem vorrangig die Zahl der unsicheren und gesundheitsbeeinträchtigenden Handlungen reduziert wird. Das gelingt am besten durch eine Frequenzerhöhung der sicheren und gesunden Handlungsweisen.
Zunächst sind in Arbeits- und Betriebsanweisungen sichere Handlungsanleitungen gegeben. Darüber hinaus empfiehlt es sich, für typisch unfallträchtige Arbeitsbereiche, wie "im Betrieb unterwegs", "Umgang mit Werkzeug und Maschinen", "Arbeiten in der Höhe", sowie einige grundsätzliche Verhaltensziele sog. Schlüsselverhaltensweisen zu definieren und zu implementieren. Sie sind eindeutig formuliert und gelten für alle Betriebsmitglieder sowie Betriebsfremde gleich. Wenn Schlüsselverhaltensweisen konsequent eingefordert und trainiert werden, verändern sich sukzessive unerwünschte Verhaltensgewohnheiten und Einstellungen mit dem Effekt auch einer nachhaltigen Reduzierung des Unfallgeschehens.
6.2.1 Beobachtung und Sicherheitsgespräch
Verhalten wird gesteuert von Überzeugungen, Werten, Gewohnheiten, Wissen und Können. Verhaltensänderung ist sowohl ein kognitiver als auch emotionaler Prozess. Verhaltenssteuerung im Arbeitsschutz benötigt konsequente Begleitung, regelmäßige Beobachtung und situationsbezogene Kommunikation (Sicherheitsgespräch). Diese Interventionen sollten stets 3 Ziele verfolgen:
- Die Häufigkeit der Wahrnehmung/Beobachtung unsicherer Situationen und unsicheren Verhaltens erhöhen;
- Anerkennung und Verstärkung erwünschten Verhaltens bestätigen und fördern;
- Betroffenheit erzeugen, um eigenmotivierte, selbstverantwortliche Korrektur unerwünschten Verhaltens zu initiieren.
Fehlende Schutzausrüstung
Die Kommunikation mit einem Mitarbeiter, der beispielsweise eine geforderte Schutzausrüstung nicht angelegt hat, könnte etwa so verlaufen:
"Herr Meier, darf ich Sie bitte einmal kurz unterbrechen? Ich sehe Sie gerade bei der Arbeit an der Bohrmaschine; was könnte mir gerade zur Arbeitssicherheit aufgefallen sein?" (In den meisten Fällen weiß der Mitarbeiter, was fehlt, und bestätigt z. B.: Schutzbrille.) "Was könnte passieren, wenn Sie die Brille nicht tragen? Was könnte schlimmstenfalls passieren?" Evtl. ergänzend: "Haben Sie Probleme mit der Schutzbrille? Kann ich da etwas für Sie tun?"
Mit diesen Fragestellungen schützt sich der Ansprechende selbst vor raschen Vorhaltungen und gibt dem Gegenüber Gelegenheit, Stellung zu beziehen und einen Selbsterkenntnisprozess in Gang zu setzen.
Schnelle und konsequente Reaktion
Für den Erfolg des verhaltensorientierten Arbeitsschutzes ist schnelles und konsequentes Reagieren auf unerwünschtes bzw. gewünschtes Verhalten ausschlaggebend. Ziel sollte sein, über die Ebene der Führungskräfte hinaus möglichst viele Mitarbeiter zur aktiven Mitarbeit zu gewinnen. Einerseits vergrößert man damit die Zahl derer, die das System aktiv stärken, andererseits dient jede einzelne Beobachtung und Ansprache auch der persönlichen Sensibilisierung und dem täglichen Training.
6.2.2 Monitoring Beinaheunfallgeschehen
Beinaheunfälle sind ein Warnindikator für unsichere Zustände und Verhaltensweisen. Das Erfassen und nachfolgende Analysieren stützt erforderliche Abhilfen bzw. Präventionsmaßnahmen. Meldungen sollen unkompliziert erfolgen und zeitnah sein. In der Praxis findet man viele Formen, von einfachen Meldeformularen bis hin zu intranetbasierten Lösungen. I. d. R. geht man dabei anonymisiert vor. Neben Ort und Zeit werden wenige Details zum Geschehen abgefragt und es sind bereits erste Vorschläge zur Verbesserung/Eliminierung erwünscht.
In den meisten Betrieben ist die Dunkelziffer der Beinaheunfälle immer noch hoch. Die Bereitschaft zur Rückmeldung setzt eine gut entwickelte Fehlerkultur voraus. Das bedeutet, alle Beteiligten müssen darauf vertrauen können, dass ihre Meldung als hilfreich und wertvoll eingestuft wird. Gleichzeitig wächst die Motivation, sich einzubringen, wenn im Rahmen eines effizienten Fehlermanagements auch eine schnelle Ursachenbehebung/Verbesserung erlebt wird.
Fehlerkultur
Fehler sind impliziter Teil unseres Handelns. Grundsätzlich strebt der Mensch aber nach positiven Ergebnissen seines Tuns. Deshalb gilt: Fehler nicht sanktionieren, sondern deren Ursachen analysieren, um Wiederholungen zu verhindern und Fehlerquellen auszuschalten.