Leitsatz (amtlich)
1. Der Vertrag eines Arbeitgebers mit einer Fachkraft für Arbeitssicherheit entfaltet Schutzwirkung zugunsten eines bei einem Arbeitsunfall verletzten Arbeitnehmers.
2. Wird als Fachkraft für Arbeitssicherheit ein selbständiger, nicht in die Betriebsorganisation eingebundener externer Unternehmer tätig, so kommen ihm bei einem Arbeitsunfall eines Beschäftigten die Haftungsprivilegien des Sozialgesetzbuchs VII nicht zugute.
3. Der Arbeitgeber kann seine Verantwortung für die Sicherheit seiner Beschäftigten nicht mit haftungsbefreiender Wirkung auf die Fachkraft für Arbeitssicherheit übertragen.
4. Die Haftung der Fachkraft für Arbeitssicherheit ist nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld um den Verantwortungsanteil des Arbeitgebers an dem Arbeitsunfall zu kürzen. Arbeitgeber und Fachkraft für Arbeitssicherheit bilden keine Haftungseinheit.
Normenkette
ASiG § 6; ArbSchG § 13; ArbStättV § 3a; SGB VII §§ 104-106; BGB §§ 328, 426
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 06.08.2012; Aktenzeichen 9 O 10550/10) |
Tenor
I. Das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 6.8.2012 wird geändert.
II. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 8.030,57 EUR zu zahlen.
III. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
1. aus einem Betrag von 75.876,26 EUR für den Zeitraum vom 11.6.2010 bis 27.7.2010 und
2. aus einem Betrag von 2.511,83 EUR für den Zeitraum vom 28.7.2010 bis 24.1.2011
zu zahlen.
IV. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
1. aus einem Betrag von 2.511,83 EUR für den Zeitraum vom 25.1.2011 bis 13.11.2013 und
2. aus einem Betrag von 8.030,57 EUR seit 14.11.2013
zu zahlen.
V. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin zwei Drittel der künftigen Aufwendungen aus dem Arbeitsunfall vom 2.3.2007 des am ... 1968 geborenen J. S. in den Räumlichkeiten der Firma E. GmbH & Co. KG,... in F. zu erstatten.
VI. Im Übrigen werden die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) und die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
VII.1. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 75 %, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner 25 % zu tragen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz haben die Parteien wie folgt zu tragen:
a) Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin 80 %, der Beklagte zu 2) 20 %, davon 5 % als Gesamtschuldner mit der Beklagten zu 1).
b) Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte zu 2) 20 %, davon 5 % als Gesamtschuldner mit der Beklagten zu 1).
c) Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin zu 90 %.
d) die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) trägt die Klägerin zu 80 %.
e) Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
VIII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistungen i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht jeweils der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
IX. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf insgesamt 73.493,82 EUR festgesetzt. Im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) beträgt der Berufungsstreitwert 57.648,66 EUR (Streitwert der Berufung der Beklagten zu 1): 44.604,80 EUR zzgl. Streitwert der Anschlussberufung der Klägerin: 13.043,86 EUR). Im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2) beträgt der Berufungsstreitwert 73.493,82 EUR (Streitwert der Berufung des Beklagten zu 2): 60.449,96 EUR zzgl. Streitwert der Anschlussberufung der Klägerin: 13.043,86 EUR).
Gründe
A Die Klägerin macht als gesetzliche Unfallversicherung gem. § 116 SGB X auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche des Geschädigten J. S. [im Folgenden: Geschädigter] aus einem von diesem erlittenen Arbeitsunfall geltend.
Der Geschädigte war als Maschinenarbeiter für seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Firma E. S. GmbH & Co. KG in F. [im Folgenden: Arbeitgeber] tätig und erlitt während seiner beruflichen Tätigkeit am 2.3.2007 einen schweren Arbeitsunfall. Während seiner Arbeit an einer von seinem Arbeitgeber eingesetzten Pappkartonstanze, einem Flexodruckwerk vom Typ Flexo 1575, Maschinennummer 130709, Baujahr 1974, geriet der Geschädigte, als er Kartonagen in das Walzwerk der Maschine einführte, mit seiner rechten Hand in die sog. "Riffelwalze" dieser Maschine, wodurch die Hand in die Maschine eingezogen, circa fünf Minuten den Stanzbewegungen dieser Maschine ausgesetzt und partiell skelettiert wurde. Bei seinem Versuch, die rechte Hand aus der Maschine zu befreien, wurde auch die linke Hand des Geschädigten partiell in den sog. "Einschub" der Maschine eingezogen und ebenfalls nicht unbedeu...