Leitsatz (amtlich)
Zur groben Fahrlässigkeit im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs aus § 110 SGB VII bei der Durchführung von Baumfällarbeiten
Verfahrensgang
LG Oldenburg (Urteil vom 26.02.2010; Aktenzeichen 13 O 1173/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das Urteil des LG Oldenburg vom 26.2.2010 Az. 13 O 1173/09 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerin alle übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen, welche der Klägerin wegen des Unfalls vom 28.6.2006 der Herren M. H., geb ... 1978, und F. L., geb ... 1982, noch entstehen werden.
3. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagten aus übergegangenem Recht Regressansprüche aus einem Unfallereignis vom 28.6.2006 geltend.
Die Klägerin ist eine gesetzliche Unfallversicherungsträgerin. Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich um eine gemeinnützige Zeitarbeitsfirma und ein Mitgliedsunternehmen der Klägerin. Der Beklagte zu 2) ist seit 1999 als Baustellen- und Projektleiter bei der Beklagten zu 1) tätig. Er besitzt einen Meistertitel als Gas- und Wasserinstallateur sowie als Heizungsbauer. Ferner hat er einen Lehrgang für Arbeitsschutz auf Baustellen absolviert.
Die Beklagte zu 1) war beauftragt worden, nach dem Abriss eines Hauses ein Grundstück in Stadtland, Landkreis Wesermarsch aufzuräumen und dort Bäume zu fällen. Auf dem Grundstück befand sich vom Haus nur noch dessen Schornstein mit einem Teil des Fundaments. Am 28.4.2006 wurden die bei der Beklagten zu 1) beschäftigten Mitarbeiter F. L. und M. H. vom Beklagten zu 2.) zumindest zur Mithilfe der Baumfällarbeiten eingeteilt. Die Bäume hatten eine Höhe von 8 bis 10 m und einen Durchmesser von 30 cm. Er beauftragte sie, ein Seil zwischen dem jeweiligen Baumstamm und dem Schornstein anzubringen. Dieses Seil sollte mit einem Kettenzug gespannt werden. Die bei der Firma angestellte Fachkraft für Arbeitssicherheit zog er für diese Aufgabe nicht hinzu. Beide Mitarbeiter hatten zuvor keinerlei Erfahrung im Fällen von Bäumen. Herr L. ist ausgebildeter Tischler, Herr H. ist ausgebildeter Holzarbeiter mit praktischem Abschluss. Beide waren über die Beklagte zu 1) auch als Leiharbeitnehmer im Hafen tätig und haben hierbei auch Lasten angeschlagen. Herr L. ist seit dem 14.3.2006 unbefristet bei der Beklagten zu 1) beschäftigt gewesen. Herr H. hatte einen Zeitarbeitsvertrag.
Nach der Erteilung des Auftrages zum Spannen des Seilzuges zwischen dem Baum und dem Schornstein verließ der Beklagte zu 2) das Grundstück, ohne zuvor die Standfestigkeit des Schornsteins überprüft zu haben. Während die beiden Arbeiter das Seil spannten - die näheren Umstände sind streitig - stürzte der Schornstein auf die Zeugen. Hierbei erlitt Herr H. einen Bruch des linken Oberschenkels, beider Beckenknochen und der linken Hüftpfanne. Er ist in seiner Erwerbsfähigkeit dauerhaft zu 20 % beeinträchtigt. Herr L. ist seitdem aufgrund mehrerer zertrümmerter Rückenwirbel ab dem 6. Rückenwirbel querschnittsgelähmt und dauerhaft erwerbsunfähig.
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte zu 2) verfüge hinsichtlich der durchgeführten Fällarbeiten nicht über die erforderliche Sachkunde. Die Gefährdung bei den Fällarbeiten und bei der Verwendung des Kettenzuges sei den Geschädigten nicht vor Augen geführt worden. Die Geschädigten hätten zuvor nicht mit einem Kettenzug gearbeitet. Das vom Beklagten zu 2) gewählte Verfahren, wobei durch den Kettenzug das Seil unter Spannung gesetzt werden sollte, um die Fallrichtung des Baumes zu bestimmen, und anschließend der Baum angesägt werden sollte, sei ungeeignet gewesen und verstoße gegen Unfallverhütungsvorschriften. Der Schornstein sei durch die vorherigen Abrissarbeiten instabil und brüchig gewesen, worauf der Geschädigte L. den Beklagten zu 2) auch hingewiesen habe. Dieser habe darauf entgegnet, dass er bereits zuvor auf diese Weise Bäume gefällt habe. Die Geschädigten hätten sodann Probleme gehabt, das Seil mit dem Kettenzug zu spannen. Sie hätten den Beklagten zu 2) daher zweimal angerufen und ihm dies mitgeteilt. Dieser habe entgegnet, dass er keine Zeit habe und dass sie entsprechend seiner Anweisungen fortfahren sollten. Die Geschädigten hätten das Seil dann gespannt, worauf der Schornstein eingestürzt sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 890.444,86 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 773.459,82 EUR seit dem 20.2.2009 bis zum Tag vor der Zustellung des Klageerhöhungsschriftsatzes und aus der Klageforderung ab der Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.
2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, über Ziff. I hinaus ihr alle übergangsfähigen...