Das Landesarbeitsgericht Köln hatte sich bereits in seiner Entscheidung vom 3.4.2003 – 10 (1) Sa 1231/02 – mit der hierarchischen Stellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit (FASI) in einer öffentlichen Verwaltung befasst. Nun liegt seit Ende 2009 – soweit erkennbar – erstmals auch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) zu diesem Problemfeld vor. Mit Urteil v. 15.12.2009 – 9 AZR 769/08 – hat das BAG, teilweise sogar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Kölner Entscheidung vom April 2003, folgende Leitsätze formuliert:
- Der Arbeitgeber ist gem. § 8 Abs 2 ASiG verpflichtet, im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigte (leitende) Fachkräfte für Arbeitssicherheit (mindestens) unmittelbar dem Leiter des Betriebs im Rahmen einer Stabsstelle fachlich und disziplinarisch zu unterstellen. Diese herausgehobene Einordnung in der betrieblichen Hierarchie gehört zu den Struktur prägenden Grundsätzen des ASiG.
- Im Bereich der öffentlichen Verwaltung ist gem. § 16 ASiG ein den Grundsätzen des ASiG gleichwertiger Arbeitsschutz zu gewährleisten. Dies beinhaltet auch das unmittelbare fachliche und disziplinarische Unterstellungsverhältnis der (leitenden) Fachkraft für Arbeitssicherheit entsprechend § 8 Abs 2 ASiG unter den Leiter der Dienststelle oder Behörde, für die sie bestellt ist.
Wie schon bei der Entscheidung des LAG Köln standen auch bei dem BAG-Verfahren folgende Fragestellungen im Raum:
- Wer ist bei einer öffentlichen Verwaltung "Leiter des Betriebs" nach § 8 Abs. 2 ASiG?
- Was ist ein gleichwertiger Arbeitsschutz im öffentlichen Dienst gemessen an den Standards der Privatwirtschaft?
- Inwieweit stehen die Regelungen des ASiG im Widerspruch zu den (sogar) verfassungsrechtlich garantierten Organisations- und Gestaltungsfreiheiten in einem mehrstufigen Staatsaufbau?
Zu den beiden ersten Fragen siehe die Vorbemerkung zu Fachkraft für Arbeitssicherheit als Stabsstelle unmittelbar unter der Geschäftsleitung
Soweit die Schnittstelle zwischen bundesgesetzlichem ASiG und verfassungsrechtlich gesicherter Landes- und Kommunalhoheit angesprochen ist, wird mit den Entscheidungen von Köln (2003) und Erfurt (2009) nur ein Teilsegment bearbeitet, da in beiden Fällen die Einordnung bei kommunalen Verwaltungen großer Städte zur Entscheidung anstand.
Die vielfältigen Probleme, die sich in den Organisationsstrukturen von insgesamt 16 Bundesländern (13 Flächenstaaten und drei Stadtstaaten) ergeben können, sind damit noch ebenso wenig erschöpfend beantwortet, wie diejenigen Probleme, die daraus erwachsen (können), dass von den 13 Flächenländern nur noch 5 Länder Regierungsbezirke als Mittelinstanz vorsehen. Um das Maß voll zu machen, kommt dann noch hinzu, dass die bundesweit verbliebenen 22 Regierungsbezirke keinen einheitlichen Verwaltungsaufbau und Aufgabenzuschnitt haben, was es wiederum notwendig macht, sich in jedem Einzelfall sehr genau anzuschauen, wer im Sinne des ASiG "Leiter der Behörde" ist.
Geschäftsordnungen
Welche ungeahnten Möglichkeiten bestehen, im Wege der juristischen Sprachschöpfung Fehler einzubauen, mag ein unvollständiger Blick auf die Geschäftsordnungen der Regierungen im Bund und den Ländern verdeutlichen.
Nach § 6 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung zum Thema "Leitung des Bundesministeriums" gelten folgende Regelungen:
- Abs. 1 Satz 1: Die Bundesministerin oder der Bundesminister leitet das Bundesministerium.
- Abs. 2 Satz 1: Staatssekretärinnen und Staatssekretäre leiten die Verwaltung.
- Abs. 2 Satz 3: Sie (die Staatssekretäre) entscheiden in Verwaltungsdingen "i. d. R. abschließend".
Etwas klarer sind dagegen die vergleichbaren Regelungen in der Gemeinsamen Geschäftsordnung (GGO) für die Ministerien des Landes NRW. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der GGO-NRW leitet der Minister das Ministerium. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 GGO-NRW ist der Staatssekretär der ständige Vertreter des Ministers in dessen Eigenschaft als Behördenleitung.
Allein diese beiden Beispiele verdeutlichen, wie komplex in jedem Einzelfall die präzise Festlegung des "Leiters des Betriebs = Leiter der Behörde" ist.
Die Frage, wie sich dies in Bereichen wie z. B. den Körperschaften des öffentlichen Rechts oder den verschiedensten Kammern (Handel, Handwerk, Freie Berufe) darstellt, wo oftmals hauptamtliche Geschäftsführer neben Präsidialvorständen stehen, die sich aber sehr stark in das "Tagesgeschäft" einbringen, ist noch überhaupt nicht beantwortet. Auch hier wird es sehr genau auf die Gestaltung der einschlägigen Satzungen und Geschäftsordnungen ankommen.