Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerschutz. Mindesttemperatur in Verkaufsräumen. Bestimmung der erforderlichen Mindesttemperatur in Verkaufsräumen
Leitsatz (amtlich)
Duldet die Gewerbeaufsichtsbehörde in den Verkaufsräumen einer bestimmten Einzelhandelsbranche (hier: Blumenhandel) im allgemeinen eine Mindesttemperatur von 17 Grad C, darf sie nicht von einzelnen Arbeitgebern dieser Branche unter Berufung auf die Arbeitsstättenrichtlinie „Raumtemperatur”, ASR 6/1,3, eine höhere Raumtemperatur verlangen.
Normenkette
ArbStättV 6 I
Verfahrensgang
VG Bremen (Urteil vom 30.06.1993; Aktenzeichen 5 A 177/92) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen – 5. Kammer – vom 30.06.1993 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die nachfolgende Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit Anwendung findet.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Diese Kostenentscheidung und die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils sind gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 2.200,– vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Raumtemperatur, die in dem Verkaufsraum eines Blumengeschäfts zum Schutz von Arbeitnehmern erforderlich ist.
Die Klägerin ist Inhaberin eines Blumengeschäfts. Sie beschäftigt eine Arbeitnehmerin. Zuvor war der Ehemann der Klägerin Inhaber des Geschäfts, die Umtragung im Handelsregister erfolgte am 09.06.1992.
Bei Betriebsüberprüfungen am 10.12.1991, 21.01.1992 und am 04.02.1992 stellte das Gewerbeaufsichtsamt Bremen fest, daß – bei winterlichen Außentemperaturen – im Verkaufsraum des Blumengeschäfts eine Raumtemperatur von jeweils 12 ° herrschte. Die Heizkörper waren abgestellt bzw. nur gering aufgedreht.
Mit Verfügung vom 06.02.1992 gebot das Gewerbeaufsichtsamt dem Ehemann der Klägerin, umgehend durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, daß im Verkaufsraum des Blumengeschäfts mindestens eine Temperatur von 19 ° erreicht werde. Für den Fall, daß er dem Gebot nicht bis zum 11.03.1992 nachkomme, wurde für jeden Arbeitstag ein Zwangsgeld von DM 500,– angedroht. Das Gewerbeaufsichtsamt begründete die Verfügung mit der Arbeitsstättenrichtlinie „Raumtemperatur”, ASR 6/1,3, nach der die Temperatur in Verkaufsräumen 19 ° betragen müsse.
Der Kläger machte in seinem rechtzeitig eingelegten Widerspruch geltend, daß ein Blumenverkaufsraum nicht mit einem normalen Verkaufsraum gleichgesetzt werden könne. Eine Blumenverkäuferin sei in ständiger Bewegung, sie arbeite teil weise schwer körperlich. Die betreffende Mitarbeiterin habe im übrigen selbst erklärt, daß ihr eine Raumtemperatur zwischen 12 und 14 ° am angenehmsten sei. Hierzu legte der Ehemann der Klägerin eine schriftliche Stellungnahme der Mitarbeiterin vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1992 änderte der Senator für Arbeit und Frauen die Zwangsgeldandrohung hinsichtlich der Fristsetzung dahin ab, daß ab Rechtsbeständigkeit der Verfügung mit der Festsetzung von Zwangsgeldern gerechnet werden müsse. Im übrigen wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. § 6 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung verpflichte den Arbeitgeber, während der Arbeitszeit für eine dem Arbeitnehmer gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur zu sorgen. Die ASR 6/1,3 treffe hierzu eine nach Art der körperlichen Beanspruchung und dem jeweiligen Arbeitsort differenzierende Regelung, die auf arbeitswissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen beruhe. Für Verkaufsräume sehe die Richtlinie ausdrücklich eine Mindesttemperatur von 19 ° vor.
Der Ehemann der Klägerin hat am 04.06.1992 Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, daß das Verlangen der Beklagten überzogen sei. Die ASR 6/1,3 erkenne an, daß die Raumtemperatur nach Maßgabe der körperlichen Beanspruchung des Arbeit nehmers abgesenkt werden könne. Insoweit sei aber zu berücksichtigen, daß die Tätigkeit einer Blumenverkäuferin durchaus körperlich belastend sei, sie könne nicht mit der Tätigkeit einer Verkäuferin etwa in einem Papierwaren- oder Textilgeschäft verglichen werden. Im übrigen handele es sich bei Blumen um leicht verderbliche Waren. Die von der Beklagten geforderte Temperatur würde sich sehr nachteilig auf den Betrieb auswirken.
Der Ehemann der Klägerin hat beantragt, Ausgangs- und Widerspruchsbescheid aufzuheben.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Eigenart eines Blumengeschäftes rechtfertige keine generelle Absenkung der Raumtemperatur. Soweit besonders empfindliche Schnittblumen kühler als 19 ° gehalten werden müßten, könne der Kläger in seinem Ladengeschäft einen separaten Glasraum einbauen lassen; das werde auch in anderen Blumengeschäften praktiziert.
Das Verwaltungsgericht Bremen – 5. Kammer – hat die angegriffenen Bescheide mit Urteil vom 30.06.1993 aufgehoben. Die Beklagte habe zwar zu Recht die ASR 6/1,3 als Beurteilungsmaßstab herangezogen. Diese sehe auch in Nr. 2.1 Buchstabe e für Verkaufsräume eine Mindesttemperatur von 19 ° vor. Entscheidend sei jedoch, daß vorliege...