Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst
Bevor konkrete Maßnahmen gegen die Stressbelastung ergriffen werden, sollten die internen Experten sich mit den arbeitspsychologischen Grundkenntnissen zum Thema vertraut machen.
Umgangssprachlich wird einfach von "Stress" gesprochen und unter diesem Begriff eine Fülle von unterschiedlichsten Belastungen und Reaktionen zusammengefasst. Im Alltagsgebrauch werden unter "Stress" einerseits die auslösenden Bedingungen – z. B. eine hohe Arbeitsmenge und Zeitdruck –, andererseits die Folgen beim Betroffenen – z. B. ein Gefühl von Hektik oder Erschöpfung – zusammengefasst.
Differenzierter wird die Sachlage in der Arbeitspsychologie und anderen Fachdisziplinen betrachtet, die sich mit Gesundheit am Arbeitsplatz und Arbeitsschutz befassen. Auch für betriebsinterne Aktive ist es sinnvoll, sich mit den verwendeten Fachbegriffen vertraut zu machen, weil es dann eine gemeinsame Grundlage zu Verständigung aller Beteiligten gibt.
Im Jahr 2000 wurde in Deutschland eine DIN-Norm zum Thema psychische Arbeitsbelastung eingeführt, die DIN EN ISO 10075. Sie besteht aus insgesamt 3 Teilen:
- Teil 1: Allgemeines und Begriffe,
- Teil 2: Gestaltungsgrundsätze,
- Teil 3: Messung und Erfassung der psychischen Arbeitsbelastung.
In dieser DIN-Norm wird unterschieden zwischen psychischer Belastung und psychischer Beanspruchung.
Psychische Belastung ist "die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken". Damit sind also die Stressauslöser – oder Stressoren – gemeint, die von außen auf den Menschen zukommen. Der Begriff psychische Belastung ist neutral zu verstehen. Er bezeichnet lediglich die Einwirkung von irgendwelchen Einflüssen auf den Menschen, ohne dass damit schon eine Aussage getroffen wäre, welche Folgen dies hat. Eine Belastung kann zu Überforderung führen, also negativ wirken, aber auch positiv zu Weiterentwicklung und Lerneffekten.
Psychische Beanspruchung ist die "individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastungen im Menschen, in Abhängigkeit von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand". Mit der psychischen Beanspruchung ist gemeint, wie jemand unmittelbar auf einen Stressor reagiert.
Dieses sog. "Belastungs-Beanspruchungs-Modell" trifft also eine begriffliche Unterscheidung zwischen den auslösenden Faktoren und den Reaktionen der einzelnen Menschen. Allerdings reagieren nicht alle Menschen auf psychische Belastung gleich. Ihre Reaktion hängt z. B. von ihren persönlichen fachlichen Kenntnissen und Erfahrungen ab. Ein Berufsanfänger wird sich leichter von einer neuen Aufgabe überfordert fühlen, als eine Kollegin mit jahrelanger Erfahrung. Je nachdem, welche Fähigkeiten jemand in der Stressbewältigung erworben hat, wird die Beanspruchung mal schwächer und mal stärker ausfallen (vgl. Abb. 1). Daneben spielt natürlich noch die aktuelle Tagesform der Mitarbeiter eine Rolle.
Abb. 1: Belastungs-Beanspruchungsmodell: Gleiche Belastung kann zu unterschiedlicher Beanspruchung führen
Belastung ist nicht gleich Beanspruchung
Muss ein Mitarbeiter zwangsläufig in Stress geraten, wenn sein Vorgesetzter Kritik übt? Natürlich kann das passieren, der Kritisierte kann aber auch gelassen bleiben und sich sagen: "Ach, der Chef hat sicher selbst irgendwelche Belastungen, deswegen ist er so schlecht gelaunt. Morgen hat er sich wieder beruhigt. Ich bin gar nicht persönlich gemeint." Ein Stressor muss also nicht zwangsläufig auch Stress auslösen. Das geschieht nur, wenn man sich "den Schuh anzieht".
Nicht jede Belastung ist Stress
Psychische Belastung muss nicht zwangsläufig zu Fehlbeanspruchung oder Stress führen!
Auch der Begriff "Beanspruchung" ist also nicht ausschließlich negativ zu verstehen. Genauso wie körperliche Beanspruchung, z. B. durch Sport, zu einer besseren Fitness führen kann, kann auch psychische Beanspruchung dazu beitragen, dass Menschen neue Fähigkeiten entwickeln. Daher brauchen Menschen Beanspruchungen, um sich weiterzuentwickeln und gesund zu bleiben. Wenn Beschäftigte allerdings dauerhaft über- oder unterfordert werden, kommt es zu den sog. Fehlbeanspruchungen. Diese können sich daran zeigen, dass die Betroffenen z. B. schneller müde werden, ihre Arbeit langweilig finden, sich nicht mehr konzentrieren können oder mehr Fehler machen. Ob es zu einer Fehlbeanspruchung kommt, hängt vor allem von der Stärke und Dauer der psychischen Belastung ab.
Je nach Art der Belastung und den persönlichen Voraussetzungen können sich positive oder negative Beanspruchungen ergeben. Es lassen sich auch kurz- und langfristige Folgen der psychischen Beanspruchung unterscheiden (vgl. Tab. 1 und 2):
Anregung |
Beeinträchtigung |
Aufwärmung: Nach einiger Zeit wird die Arbeitsaufgabe weniger anstrengend, der arbeitende Mensch hat sich auch psychisch "aufgewärmt". |
Psychische Ermüdung: Es tritt eine vorübergehende Beeinträchtigung der psychischen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf, z. B. werden Fehler gemacht oder Ding... |