Den menschlichen Anteil an Unfällen und Störfällen kann man zurückführen auf
- eine fehlerhafte Wahrnehmung der Situation,
- ungenügendes Wissen und mangelhaftes Können,
- Dulden von sicherheitswidrigem Verhalten durch den Führungsverantwortlichen,
- unausgesprochene Verhaltenserwartungen an die Mitarbeiter seitens des Betriebs,
- fehlende Motivation.
Plakativ lässt sich dies umschreiben mit
- Nicht-Sehen,
- Nicht-Wissen,
- Nicht-Können,
- Nicht-Müssen,
- Nicht-Dürfen und
- Nicht-Wollen.
Daneben spielen Erfahrungen, Alter, Ablenkung, mangelnde Aufmerksamkeit und gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Rolle im Unfallgeschehen.
Aus den Gründen für unerwünschtes Verhalten ergeben sich gleichzeitig Ansatzpunkte für eine Verhaltensbeeinflussung (Abb. 1).
Abb. 1: Gründe für sicherheitswidriges Verhalten – gleichzeitig Ansatzpunkte zur Verhaltensbeeinflussung
3.1 Nicht-Sehen – Wahrnehmen
Die Wahrnehmung von Situationen, die zutreffende Interpretation von Situationsaspekten sowie die Ableitung adäquater Handlungen sind Voraussetzung für sicheres Handeln. Es zeigt sich häufig in der (Arbeitsschutz-)Praxis, dass man sich in Situationen, die man als gefährlich einstuft, meist vorsichtig verhält. Für je ungefährlicher man eine Situation einschätzt, desto sorgloser geht man mit ihr um. Im Umgang mit feuergefährlichen Stoffen ist man vorsichtig, die Treppe wird hinuntergeeilt, ohne den Handlauf zu benutzen. Dabei sind Stolpern, Ausrutschen und Stürzen einige der häufigsten Unfallursachen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Mitarbeiter bei 70 % ihrer Tätigkeiten das Sicherheitsrisiko realistisch einschätzen, d. h., bei diesen Tätigkeiten ereignen sich durchschnittlich genauso viele Unfälle, wie die Mitarbeiter vermuten. Jeweils 15 % der Tätigkeiten über- oder unterschätzen sie in ihrer Gefährlichkeit. Aber: Bei diesen überschätzten gefährlichen Tätigkeiten ereignen sich "nur" 6 % aller Unfälle, aber 44 % der Unfälle bei den 15 % unterschätzten Tätigkeiten. Die Hälfte der Unfälle geschieht bei den realistisch eingeschätzten Tätigkeiten. Daraus folgt, Unfälle ereignen sich besonders häufig, wo und wenn man sich sicher fühlt. Deshalb sollte gerade bei Routinetätigkeiten besonders aufgepasst werden (Abb. 2).
Abb. 2: Einschätzung der Gefährlichkeit einer Tätigkeit
Sicherheitsgespräche sind motivierend
Ein Sicherheitsgespräch über sichere, unsichere und ambivalente Arbeitssituationen motiviert die Mitarbeiter, über unter- und überschätzte Gefährlichkeit nachzudenken.
3.2 Nicht-Wissen – Informieren
Fehlt das Wissen, um die Gefährlichkeit im Umgang mit Gefahrstoffen, Maschinen oder Fahrzeugen, müssen Informationen vermittelt werden, z. B. im Rahmen einer Sicherheitsunterweisung oder noch besser eines Sicherheitsgesprächs. Sicherheitsunterweisungen und Sicherheitsgespräche sollen anschaulich, methodisch-didaktisch gut aufbereitet und interessant gestaltet werden. Nur so kann man die entsprechende Aufmerksamkeit bei den Teilnehmern erzielen. Die Unterweisungen sollten mit Filmen, Bildern, Folien angereichert werden, Diskussionen unbedingt erwünscht sein. Die Bereitschaft, eine Unterweisung mal anders zu gestalten, ist allerdings zeitaufwendig, dafür der Erfolg größer als bei monologartigen Vorträgen.
Vorbereitung einer Sicherheitsunterweisung
Es gibt inzwischen jede Menge Materialien, Broschüren, Kurse und Hilfestellungen für die Vorbereitung einer Sicherheitsunterweisung oder eines Sicherheitsgesprächs.
3.3 Nicht-Können – Trainieren
Fehlen Fertigkeiten, sind diese am besten vor Ort am Arbeitsplatz zu vermitteln. Gerade neue Mitarbeiter werden mit einer Fülle an Informationen konfrontiert, die erst einmal verarbeitet werden müssen. Ein wertschätzender Umgang miteinander erlaubt auch ein erneutes Nachfragen, wenn etwas nicht verstanden wurde. Es dauert seine Zeit, bis man sich eingearbeitet hat, wobei darauf zu achten ist, dass keine "falschen" Verhaltensweisen gelernt und verinnerlicht werden.
Kollege als "Pate"
Ein erfahrener Kollege kann als "Pate" in den ersten Wochen unterstützend zur Seite stehen. Dieser ist für den neuen Mitarbeiter jederzeit ansprechbar.
3.4 Nicht-Müssen – Untersagen
Öfter als man glaubt wird sicherheitswidriges Verhalten sehenden Auges vom Vorgesetzten geduldet, da er sich in einem Interessenkonflikt befindet. Auf der einen Seite ist er für die Arbeitssicherheit verantwortlich, andererseits muss er Sorge dafür tragen, dass "der Laden läuft". Das bedeutet i. d. R. schnelle Arbeitsausführung, reibungslose Abläufe und keine Komplikationen. So wird schnell mal ein Auge zugedrückt, wenn ein Mitarbeiter schneller als erlaubt mit dem Gabelstapler unterwegs ist oder die vorgeschriebene Schutzkleidung erst umständlich besorgt werden müsste. Auch Aussagen von Führungskräften oder Kollegen wie "Aber beeil dich" oder "Mach schnell" sind zu vermeiden, denn wörtlich genommen, verführen sie die Beschäftigten dazu, sicherheitsrelevante Aspekte außer Acht zu lassen.
In diesem Zusammenhang sei auf das "Modelllernen" hingewiesen. Vorgesetzte und Arbeitsschutzakteure müssen sich bewusst sein, dass auch ihr eigenes Verhalten von den Mitarbeitern...