Zusammenfassung
Die Arbeitsschutzakteure haben in den vergangenen Jahren gute und erfolgreiche Arbeit bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen geleistet. Die meisten Menschen können heute sicher arbeiten, ohne Gesundheitsgefahren befürchten zu müssen. Dennoch ereignen sich nach wie vor sicherheitskritische Zwischenfälle oder es passieren Unfälle. Wenn es also nicht primär an mangelnder Technik oder gesundheitsschädlichen Rahmenbedingungen bei der Arbeit liegt, müssen andere Einflussgrößen wirksam werden.
1 Der "Faktor Mensch" in der Arbeitssicherheit
Analysiert man Unfälle und Beinahe-Unfälle genauer, zeigt sich, dass die meisten Vorkommnisse nicht auf technische Mängel oder ein der Arbeitsausführung nicht förderliches Umfeld zurückzuführen sind. Sie werden häufiger durch organisatorische Unzulänglichkeiten, aber v. a. durch unangemessene oder unpassende Verhaltensweisen verursacht. Dies lässt sich auch statistisch belegen: Je mehr man sich um die technischen Aspekte der Arbeitssicherheit bemüht, desto geringer wird die Gesamtzahl der Unfälle. Desto höher wird aber auch der relative Anteil menschlichen Verhaltens am Zustandekommen von Unfällen.
Faktor Mensch im Arbeitsschutz
Verschiedene Quellen sprechen von 70–90 % aller Unfälle, die durch menschliches Verhalten verursacht werden.
Nun ist das Problem nicht gelöst, indem man einen Schuldigen identifiziert hat. "Fehlverhalten" oder "menschliches Versagen" als Klassifizierung sagt nichts darüber aus, warum sich jemand falsch oder unangemessen verhalten hat. Für "unpassendes" Verhalten gibt es immer einen Grund, auch wenn dieser für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar ist. Die meisten Menschen haben ein Motiv, warum sie sich so verhalten, wie sie sich verhalten, und vorgeschriebene Verfahrensregeln außer Acht lassen.
Mit diesem Konflikt – normierte Verfahrensweisen versus individuelle Gründe – beschäftigt sich die "Psychologie der Arbeitssicherheit". Sie erforscht, warum Menschen in bestimmten Situationen arbeitssicher und in anderen sicherheitswidrig reagieren. Fragen, die an sie gerichtet werden, lauten:
- Warum manövrieren sich Mitarbeiter in gefährliche Situationen?
- Wie nehmen Menschen Situationen wahr?
- Warum hält man sich nicht an Vorschriften?
- Was kann man tun, um sicherheitswidriges Verhalten in sicheres Verhalten zu überführen?
Erkenntnisse aus der Wahrnehmungs-, Lern- und Motivationspsychologie liefern Antworten.
2 Wie kommt es überhaupt zu (Arbeits-)Unfällen?
Bei der Analyse von Unfallursachen und sicherheitskritischen Zwischenfällen hat man 3 Bereiche identifiziert, denen diese Vorkommnisse zugeordnet werden können: die Technik, die Organisation und/oder die Person. Diese Triade wird als T-O-P-System bezeichnet.
Zu den technischen Ursachen, die Unfälle hervorrufen oder begünstigen, zählen veraltete Maschinen, mangelnde Schutzvorrichtungen oder fehlende Gurtsysteme, z. B. in einem Gabelstapler. Diese Mängel lassen sich relativ leicht abstellen, auch wenn damit bisweilen hohe Kosten verbunden sind. Bei Mängeln in der Arbeitsorganisation – fehlende Wartung von Maschinen und Fahrzeugen, keine Unterweisungen, keine passgenauen oder von Mitarbeitern akzeptierte Schutzkleidung und -ausrüstung – wird es schon komplexer, diese zu beseitigen. Noch schwieriger wird es, wenn Einfluss auf das menschliche Verhalten genommen werden soll, da dieses von vielen Faktoren abhängt.
Wechselwirkung der T-O-P-Faktoren
Meist sind es mehrere Faktoren, die bei der Entstehung eines Unfalls unglücklich zusammenwirken. Eine Überladung eines Gabelstaplers (Technik), gekoppelt mit der Lust am Risiko führt eher zu einem Unfall, als das alleinige Ausleben des Risikobedürfnisses (Person). Hätte jemand eine potenzielle Unfallstelle abgesichert (Organisation), wäre es trotz fehlender Gurtsicherung (Technik) nicht zu einem Zwischenfall gekommen. Erst eine genaue Unfallursachenanalyse erlaubt es, Unfallursachen und Gefahrenquellen zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um sie abzustellen.
3 Der Mensch in der Arbeitswelt
Den menschlichen Anteil an Unfällen und Störfällen kann man zurückführen auf
- eine fehlerhafte Wahrnehmung der Situation,
- ungenügendes Wissen und mangelhaftes Können,
- Dulden von sicherheitswidrigem Verhalten durch den Führungsverantwortlichen,
- unausgesprochene Verhaltenserwartungen an die Mitarbeiter seitens des Betriebs,
- fehlende Motivation.
Plakativ lässt sich dies umschreiben mit
- Nicht-Sehen,
- Nicht-Wissen,
- Nicht-Können,
- Nicht-Müssen,
- Nicht-Dürfen und
- Nicht-Wollen.
Daneben spielen Erfahrungen, Alter, Ablenkung, mangelnde Aufmerksamkeit und gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Rolle im Unfallgeschehen.
Aus den Gründen für unerwünschtes Verhalten ergeben sich gleichzeitig Ansatzpunkte für eine Verhaltensbeeinflussung (Abb. 1).
Abb. 1: Gründe für sicherheitswidriges Verhalten – gleichzeitig Ansatzpunkte zur Verhaltensbeeinflussung
3.1 Nicht-Sehen – Wahrnehmen
Die Wahrnehmung von Situationen, die zutreffende Interpretation von Situationsaspekten sowie die Ableitung adäquater Handlungen sind V...