Selbst unter Arbeitsschützern ist die Bradley-Kurve oft nicht bekannt. Dabei hat sie einen hohen Nutzen für Unternehmen, weil sie veranschaulicht, wie sich die Unternehmenskultur über vier Phasen entwickelt und eine starke Sicherheitskultur die Unfallrate senken kann. Mit gezielten Maßnahmen können Unternehmen ihre Sicherheitskultur verbessern und somit die Arbeitssicherheit nachhaltig steigern.

Was ist die Bradley-Kurve?

Die Bradley-Kurve stellt den Zusammenhang zwischen der Ausprägung der Unternehmenskultur und der Fehlerrate oder Unfallhäufigkeitsrate dar. Sie ist das beste Erkenntnisinstrument zur Positionierung des Entwicklungsstandes der Unternehmenskultur. Mit der Bradley-Kurve kann also der Reifegrad der Unternehmenskultur gemessen werden. Sie zeigt, wie zukunftsfähig die Unternehmenskultur ist.

Welche Phasen der Bradley-Kurve gibt es?

Bei den Phasen der Bradley-Kurve spricht man von vier Kategorien, die mit den Phasen der Kulturentwicklung im Unternehmen gleichzusetzen sind. Ursprünglich wurde dieses Instrument von Berlin Bradley Anfang der 90er-Jahre für den amerikanischen Kulturraum entwickelt. Es arbeitet allerdings mit Begriffen, die der Kultur in Deutschland nicht so geläufig sind. Daher wurde dieses Konzept vom Autor in seinem Buch „Kulturwandel“ für die deutsche Unternehmenskultur übertragen.

1. Kategorie:

Arbeitssicherheit ist Übel. Dabei werden die Vorschriften nur auf minimaler Ebene eingehalten und alles, was getan wird, dient der Absicherung der Führungskräfte. Bei der Unterweisung ist nur die Unterschrift wichtig. Man geht davon aus, dass die Menschen Gefahren von sich aus erkennen und es wird an die Instinkte appelliert. Wenn etwas passiert, ist ein Mitarbeiter immer allein selbst schuld. Im Übrigen ist ein Arbeitsunfall ein unvermeidlicher Teil der Arbeit. Arbeit ohne Unfall ist nicht denkbar und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Unfall ereignet.

2. Kategorie:

Man geht davon aus, dass Arbeitsunfälle beeinflusst werden können. Nach dem Motto „Wenn die Menschen schon nicht selbst auf sich aufpassen können, dann brauchen sie klare Regeln, müssen überwacht werden und wenn sie dagegen verstoßen, gibt es Bestrafung“. Dies führt dazu, dass alle Aktivitäten im Management stattfinden, dort werden die Regeln gemacht, dort wird überwacht und bestraft und deshalb sagen die Mitarbeiter nur „für die da oben müssen wir es tun“. Nur wenn „die da oben“ nicht da sind, dann machen die Mitarbeiter, was sie wollen und wenn „die da oben“ da sind, dann achten die Mitarbeiter darauf, nicht erwischt zu werden, wenn sie gegen die Regeln verstoßen.

Anmerkung: Die ersten beiden Kategorien beschreiben eine von außen aufgezwungene Kultur. Diese hat noch nicht die Kraft zur inneren Entwicklung. Bis zur zweiten Kategorie führt nur Druck zum Erfolg, darüber hinaus aber nicht mehr. Das ist zum weiteren Verständnis wichtig.

3. Kategorie:

Die Mitarbeiter haben verstanden, dass es um ihre Gesundheit geht. Das Management hat verstanden, dass Druck nicht weiter zum Erfolg führt. Gemeinsam ist man der Überzeugung, dass es wichtig ist, dass jeder auf sich selbst achtet und jeder am Abend wieder gesund nach Hause geht. Es wird viel Zeit in Arbeitssicherheit investiert, viele persönliche Gespräche, das Thema ist als tägliches Thema integriert in die Arbeit. Die Menschen werden inspiriert, von sich aus das Thema Arbeitssicherheit weiter voranzubringen.

4. Kategorie:

Arbeitssicherheit ist als Wert und unternehmerisches Ziel klar verankert. Für die Führungskraft ist es eine Frage der Ehre, dass Menschen, die für sie arbeiten, dabei nicht zu Schaden kommen. Dieser Gedanke zieht sich von der Geschäftsführung bis zum Vorarbeiter durch. Die Mitarbeiter sind so stark damit identifiziert, dass sie von ihrem Unternehmen jeden Schaden abwenden wollen. Und deshalb achten die Kollegen auf sich und auf andere. Wenn ein Kollege feststellt, dass ein anderer außerhalb der Regeln arbeitet, spricht er ihn umgehend an.

Hier ist Arbeitssicherheit die Klammer, die die Menschen zu dem erfolgreichen Team formt oder auch der Klebstoff, der die Menschen miteinander verbindet. Hier ist Arbeitssicherheit das, was die Gemeinsamkeit im Team ausmacht. Es gelten hier zwei Regeln.

  1. Im Zweifel hat immer Arbeitssicherheit Vorrang.
  2. Keine Arbeit ist so eilig, dass sie nicht auch sicher getan werden kann.

Erst ab der dritten Kategorie ist ein Unternehmen wirklich wandlungsfähig. Ab hier gehen steigende Qualität und Produktivität gleichzeitig mit besserer Leistungsperformance der Mitarbeiter einher. Das wird durch eine erfolgreiche Sicherheitskultur erreicht.

Anwendung der Bradley-Kurve zur Unternehmensentwicklung

Zur Positionierung auf der Bradley-Kurve sind zwei Fragen empfehlenswert:

  • Was glauben Sie, wo stehen Ihre Mitarbeiter vor Ort, die blue collar workers?
  • Was glauben Sie, wie positionieren die Mitarbeiter vor Ort ihre direkten Vorgesetzten?

Stellt man diese beiden Fragen im Führungskreis von Unternehmen, erhält man oft spannende Ergebnisse. In vielen Gruppen kommt heraus, dass die Mitarbeiter häufig weiter sind als die Führung – aus Sicht der Mitarbeiter. Hier ist Führung und Veränderung nicht möglich. Also muss sofort die Frage kommen, was Führung tun kann, um eine andere Wirkung in der Belegschaft zu haben? Nach dem Motto, es ist nicht wichtig, was wir tun, einzig die Wirkung dessen, was wir tun, ist relevant. Machen Sie eine solche Selbsteinschätzung als Basis für die weiterführenden Maßnahmen.

Erkenntnisse der Bradley-Kurve

  • Je höher die Kategorie, umso zukunftsfähiger ist ein Unternehmen.
  • Je höher die Kategorie, umso höher sind Identifikation und Zugehörigkeitsgefühl der Belegschaft.
  • Je höher die Kategorie, umso höher ist die Motivation der Belegschaft.
  • Je höher die Kategorie, umso veränderungsbereiter ist die Kultur.
  • Je höher die Kategorie, umso höher ist der Qualitätsgedanke ausgeprägt.
  • Je höher die Kategorie, umso mehr achten die Mitarbeiter auf sich und auf andere.
  • Je höher die Kategorie, umso höher ist die Eigeninitiative der Belegschaft.

Es ist empfehlenswert, erst ab der dritten Kategorie ein Sicherheitsbeauftragtenwesen zu strukturieren und auszubauen, denn vorher werden die Leute verheizt.

Das eigene Unternehmen mit der Bradley-Kurve einordnen

Es wird hier schnell deutlich, dass sich mit der Entwicklung der Kultur einerseits Arbeitssicherheit und die Fehlerrate verbessern, andererseits aber auch die Produktivität gesteigert wird. Deshalb gilt in jede Richtung: Wer in Arbeitssicherheit gut ist, ist überall gut!

Noch besser, dort wo die Kultur stimmt, stimmen Arbeitssicherheit, Qualität, Produktivität und Mitarbeitermotivation!

Ohne Glaubwürdigkeit geht es nicht

Damit Arbeitssicherheit zur gelebten Unternehmenskultur wird, sollte jede Führungskraft zeigen, dass diese ein persönliches Herzensanliegen ist. Das ist die Voraussetzung für eine grundsätzliche Glaubwürdigkeit, auf die darauf aufbauende Methoden folgen. Dort, wo nur über Methoden gesprochen wird und die innere Einstellung des Managements nicht im Zentrum steht, ist der Prozess zum Scheitern verurteilt. Auch müssen alle Methoden an die bestehende Kultur und die Mitarbeitenden im Unternehmen angepasst werden. Überspringen Sie keine Stufe, sondern arbeiten Sie sich Schritt für Schritt entlang der Bradley-Kurve zum Erfolg. Nicht selten dauert es von der ersten bis zur vierten Kategorie acht bis zehn Jahre.

Tipp

In seinem aktuellen Buch SafetyPower – Die wahren Geheimnisse einer SafetyKultur beleuchtet der Autor diese Zusammenhänge ausführlich. Darüber hinaus steht er auch für Coachings zur Verfügung.