Sicherheitskultur mit der Bradley-Kurve verbessern
Antworten auf diese Fragen gibt Stefan Bartel, Experte für Führungskommunikation und Safety Culture Coach®, im Gespräch mit der Haufe-Arbeitsschutzredaktion.
Übertragung des Konzepts für die deutsche Unternehmenskultur
Was hat Sie dazu bewogen, das amerikanische Konzept der Bradley-Kurve für den Arbeitsschutz in Deutschland zu adaptieren?
Das ist eine sehr gute Frage. Vor vielen Jahren habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt, wie kann man eine Kultur beschreiben und wie kann man eine Kultur, eine Unternehmenskultur, so beschreiben, dass man sie klassifizieren kann? Ich habe mir viele Ansätze überlegt, aber ganz ehrlich: ich war mit keinem Ansatz zufrieden. Vor ca. 20 Jahren wurde ich dann auf die Bradley-Kurve aufmerksam. Damals habe ich diese über einen Kunden kennengelernt und das war für mich ein sehr anschauliches, sehr einfaches Instrument, welches präzise und klar die Klassifizierung des Entwicklungsstandes einer Kultur eines Unternehmens erlaubt. Aus meiner Sicht ist die Bradley-Kurve bis heute das beste Erkenntnismodell, um ganz schnell und einfach zu bestimmen, wie der Entwicklungsstand der Kultur eines Unternehmens ist.
Die Bradley-Kurve ist bekanntlich eine amerikanische Entwicklung. Sie arbeitet mit Begriffen, die in unserer europäischen Kultur und auch speziell in der deutschen Kultur nicht so ganz nachvollziehbar sind. Deshalb habe das Original von Berlin Bradley vor einigen Jahren in unsere deutsche Kultur übersetzt und in meinem damaligen Buch „ Kulturwandel: Wie Führungskräfte Unternehmen mit Arbeitssicherheit zu Spitzenleistungen führen“ im Jahr 2017 veröffentlicht. Bis heute kenne ich keine bessere, zutreffendere und einfachere Methode, eine Kultur, besser gesagt den Entwicklungsstand einer Kultur des Unternehmens, zu bestimmen und in Abhängigkeit davon dann auch entscheiden zu können, welche Maßnahmen auf welche Art und Weise zum Erfolg führen werden.
Bradley-Kurve ergänzt und unterstützt andere Arbeitsschutzansätze
Hat die Anwendung der Bradley-Kurve Vorteile gegenüber anderen Ansätzen zur Verbesserung der Arbeitssicherheit im Unternehmen, z. B. der ISO 45001? Oder sehen Sie die Bradley-Kurve eher als Ergänzung bzw. Unterstützung?
Sie sprechen die ISO 45 001 an. Genauso wie alle DIN-Zertifizierungen beziehen sich diese Systeme auf Dokumentationen, auf dokumentierte Prozesse. Es hat aber noch nie eine Dokumentation einen Kulturwandel herbeigeführt. Alle diese Systeme sind aus meiner Sicht sehr gut und sehr empfehlenswert. Sie sind die Basis dafür, dass man dann überlegen kann, wie wir die darin beschriebenen Prozesse im Detail umsetzen wollen. Jetzt kommt die Bradley-Kurve ins Spiel. Sie liefert eine perfekte Ergänzung dazu und gibt uns Hinweise darauf, wie wir die Systeme umsetzen können. Zum Beispiel können die Art und Weise der Gestaltung von Sicherheitsrundgängen und Unterweisungen direkt aus dem Entwicklungsstand in der Bradley-Kurve abgeleitet werden. Das ist der große Vorteil, also kommen die verschiedenen Systeme sich nicht in die Quere, im Gegenteil sie unterstützen sich gegenseitig.
Impulse zur Entwicklung der Sicherheitskultur
Wenn sich ein Unternehmen eher in den unteren Kategorien der Bradley-Kurve befindet: Was kann den Impuls geben, an der Sicherheitskultur zu arbeiten und sich „nach oben“ zu bewegen?
Der beste Impuls ist die Erkenntnis, dass Arbeitssicherheit immer der Kultur folgt, und die Kultur wirkt dann im Umkehrschluss auf Arbeitssicherheit, auf Qualität und auf Produktivität. Damit möchte ich sagen, dass wir viel tiefer gehen als uns nur mit Arbeitssicherheit zu beschäftigen. Wir schauen uns die Unternehmenskultur an und überlegen: was kann man tun, um diese weiterzuentwickeln. Diese Weiterentwicklung wirkt dann gleichermaßen auf Arbeitssicherheit, auf Qualität und auf Produktivität. Das ist der beste Impuls.
Weiter sind auch externe Impulse vorhanden. Der Markt, die Kunden fordern, dass Arbeitssicherheit auf ein hohes Niveau gebracht wird. Die Kunden wollen nicht bei einem Unternehmen kaufen, welches viele Arbeitsunfälle hat. Diese fragen sich ganz einfach, wenn ein Unternehmen nicht auf die eigenen Mitarbeiter aufpassen kann, wie können sie dann günstige Produkte in guter Qualität produzieren? Vielerorts ist heute die Aussage bekannt: Wenn die Kultur stimmt, dann stimmen Arbeitssicherheit, Qualität und Produktivität.
Ein weiterer Impuls kann ein neuer Geschäftsführer sein, der von außen kommt und so neue Impulse reinbringt und Arbeitssicherheit ganz konsequent einfordert. Ich war schon häufig überrascht, welche Wirkung eine einzelne Person im Unternehmen haben kann – wenn diese an der richtigen Stelle sitzt und die richtige Einstellung hat. Eine Aussage, stellvertretend für viele andere, macht dies deutlich: In seiner Antrittsrede sagte ein Vorstand „Ich möchte nur sicher produzierte Produkte“. Dies ist ein großer Unterschied zu anderen Aussagen, z. B. „Ich will keine Arbeitsunfälle“.
Weitere, häufige Impulse sind auch schwere Arbeitsunfälle. Unfälle, die klar machen, dass es bei uns so nicht weitergehen kann. Und dann ist es wichtig, dass man erkennt, dass der Unfall nicht etwas Singuläres ist, an dem der Mitarbeiter schuld ist oder man die Schuld auf die Technik schiebt. Der Unfall ist eine Folge von bestimmten Dingen, die im Unternehmen passieren. Oft handelt es sich bekanntlich um Fehlverhalten. Wenn man sich dann die Frage stellt, was die Haupteinflussfaktoren auf das Verhalten sind, dann erkennt man ganz schnell, dass dieses immer dem folgt, was von der Führung gewünscht, zugelassen und vorgelebt wird und ein Spiegel der Kultur im Unternehmen ist.
Tipps für Unternehmen
Welche Tipps würden Sie Unternehmen geben, die ihre Sicherheitskultur verbessern wollen? Wo sollen sie anfangen und welche Punkte sind zentral?
Wenn in einem Unternehmen die Sicherheitskultur verbessert werden soll, dann ist ein wichtiger Basisschritt getan. Dies entspringt nur einem gut entwickelten Verständnis im Führungskreis. Der Weg zum Erfolg beginnt top-down. Ich muss oben anfangen im Top-Management, dann die nächsten Ebenen einbeziehen und so lange hinunter gehen, bis alle Ebenen einbezogen sind, und das immer gemeinsam mit den Beteiligten. Also Betroffene zu Beteiligten machen, dabei möglichst wenig vorgeben und mit den Leuten gemeinsam Projekte identifizieren, Methoden erarbeiten, die zum Entwicklungsstand der Kultur passen und die Menschen berühren, also zu diesen passen und so Akzeptanz finden. Dann Schritt für Schritt weitergehen, nach einer ersten Zeit (nach drei bis sechs Monaten) Fortschrittsanalysen durchführen und immer wieder dranzubleiben, um Impulse von außen zu geben mit dem Ziel, dass die Impulse von außen überflüssig werden und der Prozess durch interne Leistungsträger erfolgreich getragen werden kann. Diese Leistungsträger nenne ich Safety Culture Manager® und bilde sie an meiner Academy in Augsburg aus.
Rolle der Führungskräfte
Welche Rolle spielen die Führungskräfte bei der Weiterentwicklung der Sicherheitskultur? Wie können sie motiviert werden?
Mit den Führungskräften sprechen Sie die zentralen Erfolgsgestalter an. Diese sind die Träger des Kulturwandels, nicht nur die Träger, sondern die Initiatoren und die Träger der Umsetzung von Maßnahmen im Kulturwandel. Wenn wir von Kultur sprechen, meinen wir einfach ausgedrückt das Verhalten der Leute, also das, was die meisten als richtig, als stimmig ansehen. Dieses manifestiert sich dann quasi zur Kultur. Dieses Verhalten wird sehr stark geprägt durch die Führungskräfte, durch das, was Führungskräfte vorleben, was Führungskräfte fordern und das, was Führungskräfte zulassen. Da gibt es einige, wie ich meine sehr schöne Leitsätze. Einer geht folgendermaßen: „Mitarbeiter tun das, was Führungskräfte zulassen.“ Man muss sich klarmachen, sobald eine Führungskraft Fehlverhalten durch Zulassen quasi erlaubt, weiß der Mitarbeiter, dass das wohl nicht ok ist, aber es ist doch okay. Und andere Mitarbeiter sehen dies und machen es dann nach. Denn der Leitsatz hat noch einen zweiten Teil: Das, was Führungskräfte zulassen, wird in der Folge davon zur Gewohnheit, zur Norm oder zur Regel.
Ein weiterer solcher Leitsatz für mich ist der folgende: Vorbild ist der machtvollste Weg, um auf Menschen Einfluss zu nehmen. Gerade das, was Autoritätspersonen tun und wie Autoritätspersonen sich verhalten, hat entscheidenden Einfluss auf das, was andere tun. Hier meine ich nicht nur das Tragen von Persönlicher Schutzausrüstung, das ist so gewissenmaßen banal. Hier meine ich insbesondere auch die Art und Weise, über Arbeitssicherheit zu sprechen, die Energie, wenn über Arbeitssicherheit gesprochen wird. An der Energie spüren die Leute, wie wichtig es den Führungskräften ist. Wickelt eine Führungskraft nur ab oder zeigt sie, dass es ihr Herzensanliegen ist. Dass Sicherheit das Thema ist, welches ihr persönlich extrem wichtig ist. Es zählt nicht nur das, was der Geschäftsführer will, sondern auch das, was der Vorarbeiter will, was der Schichtleiter will. Im Gegenteil, diese sind viel näher an den Leuten und haben deshalb noch viel größeren Einfluss als das Top-Management, welches in der Regel doch ziemlich weit weg ist.
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