Fürsorgepflicht bei Alkohol am Arbeitsplatz: Was müssen und was können Arbeitgeber tun?
Die Auswirkungen von Alkoholkonsum und einer potenziellen Abhängigkeit von Beschäftigten können für ein Unternehmen erheblich sein. Übermäßiger und gesundheitsgefährdender Alkoholkonsum kann nicht nur den betroffenen Mitarbeitenden schaden, sondern stellt auch eine Bedrohung für die Sicherheit und Gesundheit anderer Beschäftigter dar. Zusätzlich entsteht ein wirtschaftlicher Schaden für das Unternehmen: Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) entfallen über 40 Prozent der suchtbedingten Fehlzeiten in Deutschland auf Alkoholkonsum, und 20 Prozent aller Arbeitsunfälle ereignen sich unter Alkoholeinfluss.
AOK-Statistik 2024: Alkoholsucht auf Höhepunkt
Neuere und detailliertere Daten stellte die AOK Rheinland/Hamburg Ende 2024 vor. Diese zeigten, dass entgegen häufiger Annahmen die Alkoholsucht unter Arbeitnehmern nicht abnimmt, sondern in den vergangenen Jahren sogar zugenommen hat.
Die AOK-Auswertung der alkoholbedingten Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU-Fälle) für 2023 ergab nämlich, dass sich mehr Berufstätige als je zuvor wegen Alkoholkonsums krankgemeldet hatten. Mit 16,0 Fehltagen auf 100 Versicherte wurde der bisherige Wert aus dem Jahr 2022 übertroffen, damals kamen auf je 100 Versicherte 15,3 Fehltage. Die Auswertung ergab ferner, dass Männer fast dreimal so häufig wegen Alkoholstörungen ausfallen als Frauen. Auf 100 Männer kämen 1,01 alkoholbedingte AU-Fälle jährlich, auf 100 Frauen lediglich 0,37.
Die AOK-Zahlen zeigten zudem, dass ältere Beschäftigte deutlich häufiger Alkoholstörungen aufwiesen als jüngere. Am stärksten waren 2023 die über 60-Jährigen betroffen, bei ihnen gab es 27,6 alkoholbedingte Fehltage je 100 Versicherte. Bei den 20- bis 29-Jährigen dagegen sind es lediglich 3,8 gewesen – also mehr als siebenmal weniger. Mit Beginn der Corona-Pandemie, so die Krankenkasse, sei die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aber insgesamt sprunghaft angestiegen.
Rechte und Pflichten des Arbeitgebers
In Deutschland gibt es weder ein allgemeines, gesetzlich geregeltes Verbot von Alkohol am Arbeitsplatz noch für den Genuss von Alkohol in der Mittagspause. Im Unterschied zum Straßenverkehrsrecht, gibt es daher keine gesetzlich festgelegte Promillegrenze für alle Arbeitnehmer. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für sehr wenige Berufsgruppen, die als sicherheitsrelevant für das öffentliche Leben oder den Straßenverkehr eingestuft werden, wie beispielsweise Bus- und Taxifahrer, andere Berufskraftfahrer und Piloten.
Somit obliegt es in den meisten Unternehmen sowie im Staats- und öffentlichen Dienst allein den Arbeitgebern, in welchem Maße sie den Alkoholkonsum ihrer Mitarbeitenden tolerieren. Diese Entscheidung hängt nicht nur von der persönlichen Einstellung des Arbeitgebers zum Thema Alkohol ab, sondern kann auch durch regionale und kulturelle Gegebenheiten beeinflusst werden. So ist es beispielsweise in Nieder- und Oberbayern oder Franken bis heute in vielen Unternehmen üblich, in der Mittagspause ein Glas Bier zu trinken.
Andererseits kann der Genuss von Alkohol vom Arbeitgeber auch grundsätzlich untersagt werden – er muss dazu noch nicht einmal konkrete Gründe anführen. Wird der Alkoholgenuss durch Arbeitsverträge und/oder Betriebsvereinbarungen aber nicht ausdrücklich untersagt, so ist es den Beschäftigten überlassen, ob und auch (zumindest theoretisch) wieviel sie trinken wollen. Allerdings muss der Beschäftigte vor allem bei der Alkoholmenge seine Treuepflicht gegenüber dem Unternehmen berücksichtigen: Danach ist er verpflichtet, seine Arbeit ordnungsgemäß und korrekt auszuführen, was ihm bei zu starkem Alkoholgenuss natürlich kaum oder nicht möglich ist.
Unfall unter Alkoholeinfluss: Zahlt die Unfallversicherung?
Kommt es zu einem Unfall unter Alkoholeinfluss, kann das gravierende versicherungsrechtliche Folgen für den Unfallverursacher haben. Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt zwar selbst bei Unfällen unter Alkoholeinfluss die Kosten, dafür müssen aber zwei Bedingungen erfüllt sein:
- Der Versicherte darf lediglich „leistungsgemindert“, aber nicht volltrunken gewesen sein.
- Der Alkoholkonsum darf nicht der maßgebliche oder gar der alleinige Grund für den Unfall gewesen sein.
Trifft dies alles nicht zu, dann zahlt die Unfallversicherung auch nicht. Der Unfallverursacher macht sich durch Volltrunkenheit und bei einer monokausalen Unfallverursachung durch den Alkoholkonsum (beides gilt als grob fahrlässiges Verhalten) nicht nur schadenspflichtig, sondern auch haftbar. Der Arbeitgeber haftet dafür nicht, es sei denn, er hat seine Fürsorgepflicht verletzt.
Wie sollte der Arbeitgeber bei Alkoholverdacht am Arbeitsplatz vorgehen?
Die Entscheidung, ob ein Arbeitgeber oder Vorgesetzter bei erkennbarem Alkoholkonsum seiner Beschäftigten eingreifen sollte, hängt natürlich von der konkreten Situation ab. Um die richtige Einschätzung vorzunehmen, sollte man zunächst prüfen, ob der betroffene Mitarbeiter noch in der Lage ist, seine Arbeit ohne Gefahr für sich und andere ordnungsgemäß auszuführen. Zudem muss berücksichtigt werden, ob der Alkoholkonsum bereits den Arbeitsablauf beeinträchtigt hat oder dies zu erwarten ist.
Wenn der Mitarbeiter nicht mehr einsatzfähig ist oder eine Gefährdung für die betriebliche Sicherheit darstellt, sollte er unverzüglich die Arbeit abbrechen und seinen Arbeitsplatz verlassen. Abhängig vom Grad der Alkoholisierung kann der Arbeitgeber entweder veranlassen, dass der Mitarbeiter nach Hause gebracht wird (dies kann von anderen beauftragten Mitarbeitern oder Freunden und Familienangehörigen des Betroffenen erfolgen) oder sofort medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.
Die Kosten für den Transport nach Hause trägt der betroffene Mitarbeiter selbst, und für die ausgefallene Arbeitszeit erhält er kein Gehalt.
Alkoholverbot: Diese Sanktionen können Arbeitgeber verhängen
Bei Verstößen gegen ein Alkoholverbot während der Mittagspause oder am Arbeitsplatz kann der Arbeitgeber den betroffenen Mitarbeiter abmahnen und bei wiederholten Verstößen sogar kündigen.
Klagt der Arbeitnehmer allerdings gegen Abmahnung oder Kündigung, liegt die Beweislast beim Arbeitgeber. Er muss dann beweisen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich alkoholbedingt nicht mehr in der Lage war, seine Arbeit ordnungsgemäß durchzuführen und darüber hinaus eine Gefährdung der betrieblichen Sicherheit gewesen ist.
Um dies zu tun, kann der Arbeitgeber vorzugsweise einen Alkoholtest, zum Beispiel mittels eines Alkomaten, durchführen oder eine arbeitsmedizinische Untersuchung unmittelbar nach Feststellung der Alkoholisierung veranlassen. Allerdings benötigt er dafür die Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters, der sein Recht auf körperliche Unversehrtheit geltend machen kann. Falls der Mitarbeiter dies verweigert, muss der Arbeitgeber anderweitig darlegen, aufgrund welcher Indizien – wie etwa einer Alkoholfahne, auffälliger Sprechweise oder Gangunsicherheit – er den Eindruck gewonnen hat, dass der Mitarbeiter stark alkoholisiert war. In diesem Fall muss er jedoch Zeugen benennen können, die seine subjektive Einschätzung bestätigen können.
Wann liegt eine Verletzung der Fürsorgepflicht vor?
Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht, die das Pendant zur oben bereits erwähnten Treuepflicht des Arbeitnehmers bildet: Sie müssen bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses unter anderem die gesundheitlichen und persönlichen Interessen ihrer Beschäftigten schützen.
Im schlimmsten Fall kann ein Arbeitsunfall aufgrund des Alkoholkonsums eines Mitarbeiters dazu führen, dass dieser in Regress genommen oder sogar haftbar gemacht wird (siehe oben). Die Situation ändert sich jedoch, wenn der Arbeitgeber über den angetrunkenen Zustand des Mitarbeiters informiert war und ihn dennoch weiterarbeiten ließ.
Wenn der Arbeitgeber den alkoholisierten Zustand seines Mitarbeiters erkannt hat, hätte er unbedingt die weitere Ausübung der Tätigkeit untersagen müssen und entweder den Mitarbeiter nach Hause schicken oder bei stärkerer Alkoholisierung ärztlich untersuchen lassen müssen (siehe oben). Wenn er dies versäumt hat, hat er seine Fürsorgepflicht verletzt und muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.
Es ist wichtig zu beachten, dass allein der Arbeitgeber entscheidet, was als "angetrunkener Zustand" zu betrachten ist. Der Arbeitnehmer hat rechtlich keinen Einfluss auf die Bewertung von Trinkmenge und Arbeitsfähigkeit.
Verbote rechtssicherer als Toleranz
Der Arbeitgeber kann aber nicht überall vor Ort sein, um zu überprüfen, ob seine Mitarbeitenden angetrunken sind oder nicht. Auf Nummer sicher geht er, wenn er in seinem Unternehmen mit einem generellen Alkoholverbot, einer einschlägigen Betriebsvereinbarung und möglichst auch dem Anbieten alkoholfreier Getränke alle relevanten Schutzmaßnahmen gegen Alkoholmissbrauch in seinem Betrieb ergriffen hat. Toleranz für gelegentliches und maßvolles Trinken, etwa zur Mittagspause, war in früheren Zeiten für Arbeitgeber kein Problem. Bei der heutigen Gesetzeslage können im Rahmen der Fürsorgepflichten aber schnell rechtliche (und damit einhergehend auch finanzielle) Problemen für ein Unternehmen entstehen.
Diese Präventionsmaßnahmen sind sinnvoll
Zur zeitgemäßen Fürsorgepflicht gehört es ebenso, präventive Maßnahmen gegen übermäßigen Alkoholkonsum im Unternehmen zu ergreifen. Folgende Maßnahmen sind hierzu zu empfehlen:
- Beschäftigte über Alkoholkonsum und dessen Folgen informieren und aufklären: Hierzu eignen sich Informationsbroschüren, Newsletter, Informationen im Intranet, Gesundheitstage, Workshops, Unterweisungen, Führungskräfteschulungen.
- Angebote für betroffene Beschäftigte schaffen: Dabei kann es sich beispielsweise um Beratungen durch Arbeitspsychologen und -mediziner oder Kooperationen mit Suchthilfe-Organisationen handeln.
- Vorgesetzte qualifizieren und sensibilisieren: Workshops, Führungskräfte-Meetings und spezifische Schulungen sind mögliche Maßnahmen, um die Lösungskompetenz der Führungskräfte zu fördern.
- „Suchtfördernde“ Arbeitsbedingungen abbauen: Durch mehr Mitspracherechte und Gestaltungsmöglichkeiten kann das Betriebsklima verbessert werden – und somit auch eine mögliche Ursache für den Alkoholmissbrauch eliminiert werden.
- Alternative Angebote zu Alkohol in der Kantine bereithalten: Alkoholische Getränke aus dem Sortiment der Kantine nehmen, dafür vermehrt alkoholfreie Getränke, Mineralwasser, Kaffee und Tee anbieten.
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