Auch wenn die betroffenen Parteien Airline, Flugzeughersteller und Flughafenbetreiber wahrscheinlich zu unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Schuldfrage gekommen sind, in einem Punkt würden sie wohl übereinstimmen: Bei diesem Flugzeugunfall handelt es sich um eine komplexe Gemengelage, bestehend aus den Komponenten Technik (Kabinentüren, Anzeigen, Signal- und Steuerkabel), Organisation (Procedures, Verfahren, Regularien, Schulungen) und Personen (Piloten, Kabinenpersonal, Rettungskräfte). Diese Gemengelage kann man als System bezeichnen, welches wie folgt definiert ist: Ein System ist eine dynamische Ganzheit von aufeinander bezogenen, miteinander vernetzten und in Wechselwirkung stehenden Komponenten.
Systeme existieren nicht nur in der Luftfahrt, sondern auch im Arbeitskontext, in dem einzelne Menschen, Technik und Organisation interagieren.
Die Rolle des Menschen (Human Factor) im System ist ambivalent zu sehen. Auf der einen Seite ist er Problemmacher, auf der anderen Seite Problemlöser. Problemmacher bedeutet: er ist ein, wenn nicht sogar DER Risikofaktor in komplexen technischen Systemen, die zuverlässig funktionieren müssen, um Zwischenfälle oder Unfälle zu vermeiden. Die Statistiken sagen, dass der Human Factor im Bereich der Luftfahrt als dominanter Unfallverursacher benannt wird. Über verschiedene Branchen gemittelt ist der Mensch in 75 bis 96 % – je nach Quelle – derjenige, der schließlich versagte.
Auf der anderen Seite: Der Mensch ist aber auch derjenige, der in kritischen Situationen den Überblick behält, richtige Entscheidungen trifft und unfallverhindernde Handlungen ausführt.
Diese paradoxe Rolle des Menschen in automatisierten Systemen wird nach Bainbridge als "Ironie der Automatisierung" bezeichnet. Die Bedeutung des Menschen nimmt mit dem Grad an Automation zu, während das Wissen des Menschen mit dem Grad der Automation abnimmt.
Unabhängig davon, ob nun Problemlöser oder Problemverursacher – der Mensch ist immer Teil des Systems. Die Einsicht, dass es bei den allermeisten Zwischen- und Unfällen nicht eine kausale Ursachenklärung gibt, sondern immer mehrere Faktoren beteiligt sind, hat lange gedauert. Dies schließt die Bestimmung einer Primärverursachung nicht immer aus.
Es war nicht selbstverständlich, dass Ingenieure und Psychologen sich gemeinsam darüber austauschen, wie man sichere Anlagen bauen und Verfahrensabläufe in komplexen technischen Systemen so gestalten kann, dass die Anzahl unerwünschter Vorkommnisse möglichst gering gehalten wird. Die Kooperation ist auch deshalb zu begrüßen, weil die Systeme immer stärker automatisiert sind, immer komplexer und undurchsichtiger werden. Bedenken muss man aber, dass auch die komplexen technischen Systeme von Menschen erschaffen wurden, sodass man auf einer Metaebene sagen kann: der Mensch ist immer problembeteiligt.