Zusammenfassung
"Menschliches Versagen" ist eine beliebte und häufige Erklärung, wenn es mal wieder zu Unfällen, Katastrophen oder sonstigen Desastern kommt. Diese Zuschreibung wird bei der Unfalluntersuchung leider oft getroffen, ohne dass man sich die Mühe macht herauszufinden, wie es zu diesem speziellen Ereignis kommen konnte. Der Blick hinter die Kulissen fehlt sozusagen. In diesem Beitrag wird die Rolle des Menschen als Entscheider und Beteiligter in einem (Arbeits-)System verdeutlicht und aufgezeigt, was die Forschung zum Thema "Menschliches Versagen" herausgefunden hat. Daraus resultieren Ansätze, wie man unliebsame Vorkommnisse, Zwischenfälle und Unfälle in Zukunft vielleicht vermeiden könnte.
1 Praxisbeispiel
1.1 Flugzeugunglück vom 14. August 1980
Um 20:50 Uhr/loc verließ die Lockheed L-1011 Tristar das Flughafenvorfeld Riyadh und rollte zur Startbahn, von wo man um 21:08 Uhr/Ortszeit nach der Flugfreigabe Richtung Jeddah startete. Es waren nicht einmal 7 Minuten vergangen, als eine Feuerwarnmeldung im hinteren Frachtraum C3 auf dem Display aufleuchtete. Zugleich verharrte der Leistungshebel des Mitteltriebwerks in der Steigflugstellung und konnte nicht mehr bewegt werden. Daraufhin wurde dieses Antriebsaggregat abgeschaltet. Nun verbrachte die Crew die nächsten Minuten damit, die Verfahren (Procedures) bei einem Brand im hinteren Frachtraum gemäß dem Operations-Manual durchzugehen, um festzustellen, ob es sich bei der Feuerwarnung um einen falschen Alarm handelte oder ob tatsächlich Feuer ausgebrochen war. Um dies herauszufinden, wurde der Flugingenieur sogar zweimal in die Passagierkabine geschickt. Zu diesem Zeitpunkt zogen bereits Rauchschwaden durch die Kabine, erste Anzeichen von Panik machten sich unter den Passagieren breit.
Der Kapitän, der zunächst keinen Anlass sah, den Flug abzubrechen, entschloss sich nun zum Rückflug nach Riyadh, ein Flugweg von etwa 80 Kilometern. Die Flugsicherung wurde informiert. Die Cockpitcrew nahm sich mit den weiteren Landevorbereitungen Zeit, da sie dachte, die Flugbegleiter hätten die Situation im Griff – ein folgenschwerer Irrtum. Hinter der feuerfesten und geschlossenen Cockpit-Tür herrschte ein flammendes Inferno. Einige Passagiere kollabierten bereits. Panik brach aus und es kam zu tumultartigen Szenen.
Mehrere Male wurde der Kapitän vom Kabinenpersonal gefragt, ob nach der Landung die Passagiere sofort evakuiert werden sollten, doch dieser wich einer klaren Stellungnahme aus. Erst nach Insistieren des Flugingenieurs entschied der Kapitän: "Sag ihnen …, sag ihnen, wir evakuieren nicht".
Die Landebahn lag bereits vor ihnen und der Kommandant vollzog eine glatte Landung. Trotz der dramatischen Lage in der Passagierkabine beeilte man sich im Cockpit nicht allzu sehr mit dem Abrollen zur Vorfeldposition, sondern rollte gemächlich zweieinhalb Minuten weiter, bis das Großraumflugzeug endlich zum Stillstand kam. Die letzte Meldung, die aus dem Cockpit kam, war die längst erwartete Meldung: "Wir versuchen jetzt zu evakuieren".
Die Hilfs- und Rettungsmannschaften am Flughafen versuchten, in das Flugzeug zu kommen. Die Feuerwehrmannschaften hatten nur sehr mangelhafte Erfahrungen im Umgang mit Flugzeugbränden, da niemals ein derartiges Löschtraining auf dem Dienstplan stand. Schlimmer noch: keiner der Männer wusste, wie eine L-1001-TriStar-Tür von außen zu öffnen war. Wiederum vergingen kostbare Minuten, welche die mit dem Leben ringenden Passagiere im Inneren der Maschine dem Tod näherbrachten. Weder von innen noch von außen ließen sich die Türen öffnen. Erst nach 29(!) Minuten gelang es den Einsatzkräften, eine der 8 Türen aufzubekommen. Im Inneren bot sich den Rettern ein Bild des Grauens: Niemand der 301 Insassen an Bord, darunter 15 Kleinkinder, hatte die Katastrophe überlebt.
1.2 Was war die primäre Ursache dieser Flugkatastrophe?
Ein Pilotenfehler? Ein Fehler des Kabinenpersonals? Ein Fehler der Flugsicherung? Fehler der Rettungskräfte? Ein mechanischer Defekt? Die Technik? Die Cockpitanzeige? Die Umwelt? Vorgeschriebene Verfahren, die unzureichend oder kontraproduktiv sind? Organisatorische Mängel?
Der Bericht der Unfalluntersuchungskommission nach Abschluss ihrer Untersuchung ergab:
Die Untersuchung dieses Flugzeugunfalls erwies sich als schwierig. Warum sich nicht ein einziger Ausstieg des Flugzeugs weder von innen noch von außen öffnen ließ, konnte nicht festgestellt werden. Es wurde gemutmaßt, dass durch die in Panik zu den Ausgängen drückenden Passagiere die Türen nicht bewegt werden konnten. Eventuell waren weder Crew noch Passagiere aufgrund des Sauerstoffmangels in der Lage, noch etwas zu tun. Da die Piloten gemäß dem vorgeschriebenen Procedere u. a. auch die Zufuhr von Frischluft in die Kabine abschalteten, verschlimmerte sich die Lage weiter. Festgestellt werden konnte, dass das Feuer im hinteren Frachtraum C3 entstand und sich durch die Decke des Frachtraums in die Passagierkabine fraß. Die an der Frachtraumdecke verlaufenden Signal- und Steuerkabel des Mitteltriebwerks wurden durch die Flammen so sehr beschädigt, dass im Cockpit der Leistungshebel des Mitteltriebwerk...