Der Fall: Tragischer Unfall neben dem Dienstweg
Der Kläger begehrt eine Halbwaisenrente. Er ist im Jahre 1999 geboren und seit Oktober 2018 Student. Sein Vater (der Versicherte), der im Jahre 1963 geboren war und im Inland wohnte, war als „Sales Manager“ bei einem Unternehmen der Software-Entwicklung (Arbeitgeberin) beschäftigt und bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert. Der Versicherte verließ am 21.10.2021 gegen 18.30 Uhr mit seinem privaten Pkw seine Wohnung in M1. Am folgenden Morgen gegen 07:46 Uhr wurde er leblos unter dem Auto liegend aufgefunden. Der Fundort lag in einem Waldweg („J1“) einige Meter ab von einer Spitzkurve der K 3554 zwischen den Ortsteilen M2 und S2. Die alarmierte Polizei stellte bei dem Versicherten sichere Todeszeichen fest. Seine Hose war geöffnet. In der rechten Hand hielt er einen Schlüsselbund mit dem Autoschlüssel. In dem Pkw war kein Gang eingelegt und die Handbremse nicht angezogen. Auf dem Waldweg fanden sich Reifenspuren, vor dem Heck des Fahrzeugs waren Erde und Blätter angehäuft. Im Abschlussbericht vom 22.10.2021 nahm die Polizei einen Tod durch Unfall an. Nach den Umständen am Fundort sei davon auszugehen, dass der Versicherte in den abschüssigen Waldweg hineingefahren und ausgestiegen sei, um seine Notdurft zu verrichten. Als der nicht gesicherte Pkw rückwärts ins Rollen geraten sei, habe er noch versucht, ihn am Kofferraum aufzufangen. Dabei sei er unter das Auto geraten, dort eingeklemmt worden und erstickt.
Der Kläger macht das Vorliegen eines Arbeitsunfalls geltend. Die BG hat dieses - auch im Widerspruchsverfahren - abgelehnt. Wenn es sich um einen Dienstweg gehandelt habe (was in diesem Verfahrensstand noch umstritten war und später geklärt werden konnte), wäre dieser mit dem Verlassen der direkten Strecke durch das Einbiegen in den Waldweg unterbrochen worden. Es liege dann ein Abweg vor, der nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe. Auch sei das Verrichten der Notdurft eine eigenwirtschaftliche und damit unversicherte Tätigkeit, sodass bereits aus diesem Grund kein Versicherungsschutz bestehe.
Das Sozialgericht (Urteil vom 17.02.2023, Az. S 10 U 1819/22) hat das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bejaht. Der Weg sei versichert gewesen. Der Versicherungsschutz sei nicht unterbrochen worden, als der Versicherte angehalten habe und ausgestiegen sei. Der Weg zur Verrichtung der Notdurft und zurück sei - wie der Weg zu einem WC auf dem Betriebsgelände - ebenfalls versichert. Da der Versicherte beim Auffinden nicht eingenässt gewesen sei, sei davon auszugehen, dass er die Notdurft bereits verrichtet habe, als ihn der Wagen überrollt habe. Versicherungsschutz habe aber auch bestanden, wenn der Unfall während des Verrichtens der Notdurft geschehen sei, weil sich dann – mit dem Wegrollen des Fahrzeugs – eine besondere betriebsbezogene Gefahr realisiert hätte, der ein Versicherter im persönlichen Lebensbereich nicht ausgesetzt sei.
Dagegen hat die BG Berufung eingelegt.
LSG: Kein Versicherungsschutz wegen Unterbrechung des Wegs
Das LSG (Urteil vom 25.09.2023 - L 1 U 1485/23) lehnte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ab. Ein Arbeitnehmer unterbricht den versicherten Weg mit dem eigenen Pkw zu einem beruflichen Termin, wenn er die Straße verlässt, in einen Waldweg einbiegt und dort aussteigt, um eine private Tätigkeit zu verrichten. Zu einer solchen nicht versicherten privaten Tätigkeit gehöre auch das Verrichten der Notdurft. Der Versicherungsschutz lebt danach auch dann nicht vorzeitig wieder auf, wenn während der Unterbrechung das benutzte Fahrzeug wegrollt und es der Versicherte aufzuhalten versucht, weil er nur mit diesem Fahrzeug den versicherten Arbeitsweg fortsetzen kann. Er würde erst wieder aufleben, wenn der Versicherte seine Fahrt fortsetzen würde.
Wichtig für die Praxis
Wegeunterbrechungen haben ein erhebliches Streitpotential in der Gesetzlichen Unfallversicherung, wie auch dieser tragische Fall deutlich macht.
Das LSG hat noch die Frage erörtert, ob der Versicherungsschutz ausnahmsweise schon dann wieder auflebte, als sich der Pkw des Versicherten in Bewegung setzte und dieser versuchte, ihn aufzuhalten, dieses jedoch verneint. Die bisherige Rechtsprechung betraf ausschließlich Störungen an dem Fahrzeug selbst, die zu einer Unterbrechung des versicherten Wegs durch Aussteigen gezwungen hatten. Der Versicherte war jedoch zur Verrichtung einer privatnützigen Tätigkeit ausgestiegen und bereits dadurch war der Versicherungsschutz erloschen. Eine Störung an einem Fahrzeug – hier das Wegrollen mit der Gefahr einer Beschädigung – während einer solchen Unterbrechung sei dieser privat veranlassten Unterbrechung des Weges zuzuordnen, zumal sie ohne diese Unterbrechung gar nicht aufgetreten wäre.