Können Controller auch Kultur?
Controlling prägt die Unternehmenskultur (mit) und umgekehrt
Kultur ist ein Wort, mit dem sich viele Controllerinnen und Controller traditionell eher schwer tun. Schwer zu greifen, kaum zu quantifizieren und leider auch nicht ohne weiteres zu verändern, schon gar nicht aus dem Controllerbereich heraus – so zumindest die gängige Meinung. Dabei prägt das Controlling natürlich auch selbst die Kultur des Unternehmens. Die Art und Weise, wie Planungsprozesse und Performance Reviews aufgesetzt sind, wie Leistung gemessen und incentiviert wird und nicht zuletzt die Art und Weise, wie Controller auftreten und argumentieren, all das ist von der Kultur des Unternehmens geprägt, wirkt aber gleichzeitig auf sie zurück.
Nachhaltige Veränderung benötigt eine entsprechende Kultur
Unternehmenskultur und Controlling bedingen sich also gegenseitig und können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Entsprechend bedarf es bei der Einführung innovativer Steuerungskonzepte immer dann des kulturellen Wandels, wenn es für das Funktionieren des neuen Ansatzes eines Mindsets bedarf, das im Status quo der Organisationskultur nicht (überall) anzutreffen ist. So war es schon vor Jahren bei Projekten zu Balanced Scorecard und wertorientiertem Management, aber auch bei der Einführung von Agile, OKRs und Beyond Budgeting kommt niemand an der Forderung vorbei.
Leider sieht die Bilanz des kulturellen Wandels in vielen Unternehmen eher enttäuschend aus und viel zu oft steht in praxi dann doch wieder das kurzfristig Veränderbare allein im Vordergrund. Auch weil das Führungsteam oft nicht die Energie aufbringt, den kulturellen Wandel mit der erforderlichen Intensität voranzubringen oder aber nach einer kurzen Phase des Aufbruchs der lange Atem fehlt. Manchmal ist auch das Top Management selbst die Wurzel allen kulturellen Übels, was kulturelle Transformationsprojekte natürlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Neue Managementansätze wie Agile setzen noch stärker auf den "Kultur-Faktor"
All das ist den meisten von Ihnen vermutlich allzu gut bekannt. Warum also der vorliegende Beitrag? Nun, die Zeiten haben sich geändert, Veränderung und kultureller Wandel sind heute wichtiger denn je. In dem Maße, wie sich Unternehmen zunehmend damit konfrontiert sehen, dass nicht nur inkrementelle Veränderungen, sondern tiefgreifender Wandel gefordert ist, und gleichzeitig eine junge Generation immer mehr Nachhaltigkeit, Werte und einen nachvollziehbaren Unternehmenszweck einfordert, lässt sich das Thema Kultur auch im Controlling nicht mehr so leicht zur Seite schieben. Hinzu kommt, dass neue Management- und Steuerungsansätze wie Agile und Beyond Budgeting darauf abzielen, dass formale Steuerungsroutinen, wie wir sie aus dem Controlling kennen, durch Prozesse ersetzt werden, bei denen die direkte Kommunikation und die soziale Kontrolle im Team sowie das „richtige Mindset“ der einzelnen Akteure im Vordergrund stehen, bei denen also der Kultur eine noch größere Rolle zukommt als in der traditionellen Steuerungs- und Controllingpraxis. Nur ein Beispiel: Gelingt es einem Unternehmen, Kostenbewusstsein auch kulturell in der Organisation zu verankern, wird ein guter Teil der traditionellen Kostenplanung und -kontrolle überflüssig, da nun die Kostendisziplin durch Selbstkontrolle und soziale Mechanismen ganz oder weitgehend im Team gesichert werden kann. Gleichzeitig wird das Management der Kosten auch flexibler, da die kurzfristige Anpassung der Kostenbasis nicht mehr durch fixe Budgets und auf deren Verteidigung trainierte Manager blockiert wird (vgl. Bogsnes 2016, Schäffer 2022).
Praxisbeispiele zeigen Licht und Schatten auf
Alles nur Theorie? Nein, für die erfolgreiche Umsetzung des Gedankens gibt es durchaus konkrete Beispiele, etwa bei Netflix und Roche Pharma (vgl. Hastings & Meyer 2020, Müller & Saldavini 2024). Dort sehen wir, dass die Internalisierung des Kostenbewusstseins mit Hilfe von klaren Spielregeln und umfassender Transparenz durchaus funktionieren kann und im Ergebnis oft zu geringeren, nicht höheren Kosten führt. Die Steuerung wird dann gleichermaßen flexibler und effizienter, was jeden Controller hochgradig erfreuen sollte. Dennoch mögen solche Fallstudien auch nachdenklich machen, stellen sie doch das etablierte Selbstverständnis des Controllings zum Teil in Frage. Gleichzeitig bringen sie eine nicht unerhebliche Gefahr von Selbstausbeutung durch Internalisierung von Kosten- und Leistungszielen mit sich – die dunkle Seite von Agilität, Beyond Budgeting und Co.
Volatile Wirtschaftsentwicklung steigert Eigenverantwortlichkeit als strategischen Erfolgsfaktor
Umso wichtiger erscheint es, dass Controller sich nicht auf die etablierten Steuerungs- und Kontrollformen zurückziehen und Kultur als etwas betrachten, um das sich visionäre Leader oder der Personalbereich, nicht aber das Controlling kümmern sollte. Vielmehr müssen sie sich aktiv dafür einsetzen, dass das, was wir an der WHU vor geraumer Zeit als Controlling-Kultur definiert haben, im Unternehmen verankert ist: eine Kultur der konsequenten Zielorientierung und der Verantwortung, eine Kultur der Transparenz und des offenen Informationsaustauschs und nicht zuletzt eine Kultur der konstruktiven Kritik, bei der das bessere Argument und nicht die hierarchische Position des Sprechers gewinnt (vgl. Schäffer & Weber 2017). Unternehmen wie McKinsey und Goldman Sachs haben ihren legendären Aufstieg nicht zuletzt einer solchen Kultur zu verdanken (vgl. etwa Rasiel 1999, Mandis 2013) und vor ein paar Jahren konnten wir in einer großzahligen Studie zeigen, dass eine von Transparenz und konstruktiver Kritik geprägte Kultur in der Tat signifikant auf die Fähigkeit einzahlt, erfolgreich mit einer hohen Volatilität des wirtschaftlichen Umfelds umzugehen (vgl. Schäffer & Weber 2015).
Wettbewerbsvorteile durch Zielorientierung, Transparenz, Offenheit und Fehlertoleranz
In dem Maße, wie eine Controllingkultur, die diesen Namen auch verdient, im kollektiven Mindset des Unternehmens verankert ist, können Entscheidungen unter Unsicherheit besser, das Zusammenspiel der Akteure politikfreier, effizienter und flexibler werden. Und genau deshalb sollten sich Controllerinnen und Controller des ungeliebten Themas verstärkt annehmen und als Botschafter des kulturellen Wandels ins Unternehmen gehen!
Ja, keine Frage, der Weg dahin wird kein leichter sein. Und ich habe für jeden Controller Verständnis, der aus den bereits genannten Gründen zurückschreckt. Gleichzeitig sollten wir uns aber in Erinnerung rufen, was ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil ist: etwas, das Ihr Unternehmen besser und anders macht als andere und das gleichzeitig nicht oder nur schwer zu kopieren ist. Trägt nun meine Annahme, dass kulturbasierte Ansätze in einem Kontext hoher Unsicherheit und Dynamik überlegen sind und dass es schwer ist, die erforderliche Kultur aus dem Stand zu entwickeln, wird aber genau hier die Basis für einen solchen Wettbewerbsvorteil gelegt. Dem kann sich auch das Controlling nicht entziehen.
Literaturhinweise
Bogsnes, B. (2016): Implementing Beyond Budgeting – Unlocking the Performance Potential, 2nd edition, Wiley.
Hasteins, R. & Meyer, E. (2020): No Rules Rules, Netflix and the Culture of Reinvention, WH Allen.
Mandis, S. (2013): What Happened to Goldman Sachs: An Insider’s Story of Organizational Drift and Its Unintended Consequences, Harvard Business School Press.
Mueller, A. & Saldavini, B. (2024): Redefining Cost Planning and Management, in: Controlling & Management Review, 68. Jahrgang, Heft 4 (im Druck).
Rasiel, E. (1999): The McKinsey Way, McGraw-Hill.
Schäffer, U. (2022): Die Unternehmenssteuerung muss flexibler werden! In: Controlling & Management Review 66 (4), S. 8-17.
Schäffer, U. & Weber, J. (2015): Controlling Trends & Benchmarks.
Schäffer, U. & Weber, J. (2017): Controlling-Kultur – Schlüssel zum Erfolg, in: Controlling & Management Review, 61. Jahrgang, S. 8-16.
Der Beitrag erschien erstmals im Controller Magazin, Ausgabe 3/2024.
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