Nachhaltigkeit in der Wohnungswirtschaft

Gerade die Wohnungswirtschaft braucht dringend passende Leitlinien, um Licht in den Dschungel aller nachhaltigen Visionen, Missionen, Strategien, Taktiken und weiteren operativen Umsetzungen zu bekommen. Wer steigt denn da noch durch? Deshalb habe ich ein Interview mit Jörn von der Lieth, Geschäftsführer der Hilfswerk-Siedlung GmbH in Berlin geführt. Die Hilfswerk-Siedlung GmbH (HWS) ist das Immobilienunternehmen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und verwaltet rund 10.000 Einheiten aus eigenem und fremden Bestand. Dazu gehören unter anderem Wohnungen, Erbbaurechte und Liegenschaften sowie ein eigener Forst. Seit über 70 Jahren werden Sozialverträglichkeit und wirtschaftliches Handeln miteinander erfolgreich verbunden. Rund dreißig kaufmännische Mitarbeitende kümmern sich täglich darum.

Jekel: Herzlichen Dank für unser Interview. Könnten Sie bitte den „Purpose“ oder den eigentlichen Grund für das Bestehen der HWS und den beabsichtigten „Impact“, der erzielt werden soll, erläutern? Warum existiert die HWS und welchen Zweck soll sie erfüllen?

von der Lieth: Kurz: Unsere Kernaufgabe ist es, guten Wohnraum zu fairen Preisen zur Verfügung zu stellen. Die Hilfswerk-Siedlung GmbH (HWS) trägt diesen vielleicht etwas eigenwilligen Namen nicht ohne Grund, denn sie wurde als ein Werk im doppelten Sinn gegründet: zum einen als eine evangelische und über Gemeindegrenzen hinausgehende Organisation und zum anderen als eine Einrichtung, die auch praktisch gute Werke verrichtet. So startete die HWS in den Nachkriegsjahren des 2. Weltkriegs, um Wohnungslose mit Wohnraum für angemessene Preise zu versorgen. Das ist auch heute noch unsere Kernaufgabe. Für uns sind von Anfang an ökologische, soziale und Governance-Ziele im Fokus. Wir haben eine Klima-Roadmap für den gesamten Bestand erarbeitet, um beim Klimaschutz Vorreiter zu sein. Das funktioniert aber nur mit einer wirtschaftlichen Solidarität, die sich zum Beispiel darin ausdrückt, dass die HWS 2023 abermals als notenbankfähig eingestuft wurde.

Jekel: Gratulation! Das Bundesbank-Testat erhalten nur sehr wenige Unternehmen. Die Beurteilung der Bonität nimmt die Deutsche Bundesbank mit eigenen Analysen vor. Ergebnis: Kredite sind so ausfallsicher, dass sie von deren Hausbanken zur Refinanzierung bei der Bundesbank als Sicherheiten hinterlegt werden dürfen. Zudem gelten Liquidität und Zahlungsfähigkeit als lupenrein. Kommen wir zur Nachhaltigkeit. Um eine nachhaltige Zukunft auf globaler Ebene zu gewährleisten, wurden verschiedene Rahmenwerke entwickelt. Im Jahr 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die 17 Sustainable Development (SDGs) Ziele für nachhaltige Entwicklung, die eine gemeinsame Vision für eine gerechte und nachhaltige Welt bilden. Wie genau hat die HWS diese 17 SDG-Ziele auf der nachhaltigen Agenda?

von der Lieth: Die 17 SDGs bilden für uns die oberste Guideline, quasi unsere Vision (siehe Abb. 1 „strategische Pyramide“). Unsere Vision klärt unser ‚WAS‘. Einige Unternehmen sehen Mission und Vision vielleicht auch anders als wir. Wir verstehen unter Vision unseren angestrebten Zustand in der Zukunft, quasi nach Erfüllung des Purpose. Für uns ist auf Basis der Stakeholderanalyse das SDG 13, „Maßnahmen zum Klimaschutz“, besonders relevant.“

Titelbild Kolumne Jekel

Jekel: Auf der UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 einigten sich 197 Staaten auf ein neues globales Klimaschutzabkommen, das am 4. November 2016 in Kraft trat. Ein weiteres Abkommen hat das Ziel, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf ‚deutlich unter‘ zwei Grad Celsius zu begrenzen, und strebt Anstrengungen an, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Und was ist hierzu die HWS-Mission?

von der Lieth: Genau das ist auch unser Bestreben, mit unserer Arbeit daran mitzuwirken, dass die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt wird. Unsere Mission beschreibt, was zur Erreichung des Zielzustands getan wird und wie es umgesetzt wird. Wir sind dazu da, auch unseren Planeten zu schützen und dennoch guten Wohnraum zu fairen Preisen zur Verfügung stellen.

Jekel: Jetzt einmal kritisch nachgefragt – ist das nicht ein Zielkonflikt?

von der Lieth: Auf den ersten Blick mag das so erscheinen, da ein Neubau heute so kostenintensiv ist, dass es mit einer ‚fairen Miete‘ kaum mehr einhergehen mag. So haben auch wir zunächst gedacht. Doch wir arbeiten mit allen Mitteln daran, uns zu optimieren, beispielsweise mithilfe der Digitalisierung unsere Effizienz (Anzahl der verwalteten Wohnungen je Mitarbeiter:in) zu erhöhen und Themen über Apps fallabschließend digital zu bearbeiten, so dass Kosten gespart werden können. Wir strengen uns immer wieder weiter an und versuchen, Zielkonflikte zu lösen.

Jekel: Kommen wir zur Strategie. Als Antwort auf 1,5 Grad Celsius entwickelte die Europäische Kommission im Jahr 2019 die Strategie des European Green Deal. Das Ziel besteht darin, bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union auf null zu reduzieren und den Kontinent zum ersten klimaneutralen "Kontinent" zu machen. Was ist hier der HWS-Fokus?

von der Lieth: Ganz einfach: Unsere Strategie, den Bestand klimaneutral zu bekommen.

Jekel: Was sind die HWS-Taktiken?

von der Lieth: Um dies umzusetzen, wurde die Sustainable Finance Initiative (SFI) ins Leben gerufen, ein Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Dieser Plan zielt darauf ab, Kapital in nachhaltige Investitionen umzulenken und gleichzeitig finanzielle Risiken im Zusammenhang mit Klimawandel, Ressourcenknappheit, Umweltzerstörung und sozialen Problemen zu bewältigen.

Jekel: Was bedeutet das ganz operativ für die HWS? Was sind konkrete Guidelines?

von der Lieth: Für uns sind dies drei Guidelines:

  1. Die EU-Taxonomie-Verordnung bildet die rechtliche Grundlage für die Klassifizierung von Nachhaltigkeit. Sie legt ein System fest, um ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu klassifizieren und Investoren Anreize für eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu bieten.
  2. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) zielt darauf ab, eine transparente Nachhaltigkeitsberichterstattung auf die gleiche Ebene wie die Finanzberichterstattung zu stellen. Ein Teil der CSRD sind die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die einheitliche EU-Standards für Nachhaltigkeitsinformationen darstellen.
  3. Die Renovation Wave, eine Initiative der Europäischen Kommission, ist ein Aktionsplan zur Förderung der Renovierung von Gebäuden, um zur Klimaneutralität und wirtschaftlichen Erholung beizutragen. Die Initiative strebt an, bis 2030 die jährliche Sanierungsquote in Europa zu verdoppeln, Hindernisse für Sanierungsprojekte abzubauen und die Energie- und Ressourceneffizienz von Gebäuden zu verbessern. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Dekarbonisierung der Wärme- und Kälteversorgung, den Kampf gegen Energiearmut, die Sanierung von Gebäuden mit der schlechtesten Energieeffizienz und die Vorbildfunktion öffentlicher Gebäude gelegt. Das „Neue Europäische Bauhaus“ (NEB) ist eine Initiative, die Nachhaltigkeit und Ästhetik im Bauwesen verbinden möchte. Die Europäische Kommission arbeitet an verschiedenen Maßnahmen zur Umsetzung der Renovation Wave, darunter die Überprüfung der EU-Richtlinien zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD), zur Energieeffizienz (EED) und zu erneuerbaren Energien (RED), die auch im nationalen Gebäudeenergiegesetz zum Ausdruck kommen.

Jekel: Dann lassen wir uns einfach einmal überraschen, wie die HWS dies sicherlich erstklassig umsetzt. Vielen Dank für unser Gespräch!

von der Lieth: Vielen Dank!

To Go’s:

  • Nachhaltigkeit ist schon immer weit wichtiger als wir denken,
  • letztlich wollen wir die Welt unseren Enkeln und Ur-Enkeln schenken und
  • ... Controlling rockt Ihre Woche!

Der Beitrag erschien erstmals in Controller Magazin Ausgabe 2/2024.

Links

Akzente (2023): Link-Sammlung zu Gesetzen rund um CSRD, ESRS, ESAP, Taxonomie, SFDR, Lieferketten-Richtlinie, Link: https://www.csr-berichtspflicht.de/dokumente, zuletzt abgerufen am 01.07.2023.

Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) (2022): Kennzahlen der DVFA, Berufsverband, Link: https://www.dvfa.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Standards/KPIs_for_ESG_3_0_Final.pdf, zuletzt abgerufen am 01.07.2023.

Global Reporting Initiative (GRI) (2023): Ein internationaler Standard mit Excel-Liste, Vergleich GRI 2021 vs. GRI 2016, Link: https://www.globalreporting.org/standards/standards-development/universal-standards/, zuletzt abgerufen am 01.07.2023.

Hilfswerk-Siedlung GmbH (2024): https://hws-berlin.de/bundesbank-stuft-hilfswerk-siedlung-gmbh-abermals-als-notenbankfaehig-ein/, zuletzt abgerufen am 01.07.2023.

United Nations (2023a): Global Indicator Framework for the Sustainable Development Goals and targets of the 2030 Agenda for Sustainable Development (Indikatorenliste für jedes einzelne Ziel), Link: https://unstats.un.org/sdgs/indicators/indicators-list/, zuletzt aufgerufen am 01.07.2023.

United Nations (2023b): 17 Ziele Bierdeckel, Link: https://17ziele.de/blog/detail/kommen-ampelmaennchen-und-geissbock-hennes-in-eine-kneipe.html, zuletzt abgerufen am 01.07.2023.