Servitization – eine neue Mammutaufgabe für das Controlling?
Was ist „Servitization“? Im Kern geht es darum, dass die Hersteller von Produkten sich immer mehr zu Serviceanbietern entwickeln bzw. entwickeln müssen, um erfolgreich am Markt zu bestehen und wirtschaftlich erfolgreicher zu werden. Diese Entwicklung verändert die Geschäftsmodelle und erfordert deshalb elementare Anpassungen im Controlling. Bei der Themenauswahl in der ICV-Ideenwerkstatt haben wir dann schnell festgestellt, dass es zu diesem sehr wichtigen und relevanten Thema, speziell für die produzierende Industrie, kaum Literatur gibt und noch weniger spezielle Hinweise für das Controlling. Wir wussten also, dass einige Grundlagenarbeit zu leisten ist.
Entwicklungsschritte der Servitization
Ausgangspunkt der wirtschaftlichen Aktivitäten vieler produzierender Unternehmen sind Maschinen, Maschinenkomponenten oder Anlagen. Das Leistungsangebot basiert auf dieser Hardware und wird um einige notwendige Services ergänzt, wie das Ersatzteilgeschäft oder die Instandhaltung. Dies ist die Phase 1 der Servitization.
Die Phase 2 ist davon geprägt, dass ergänzende Dienstleistungsangebote geschaffen werden, zum Beispiel beratungsbezogene Services wie Training oder Prozessberatung.
Der nächste Transformationsschritt bringt Unternehmen auf die Stufe eines Full-Service-Dienstleisters. In dieser 3. Phase wird das Geschäftsmodell des einstigen Produktherstellers weiter Richtung Services ausgebaut. Darunter fallen etwa neue Angebote wie datenbasierte Dienstleistungen oder ein erweiterter Datenschutz, was speziell im Kontext von Industrie 4.0 überlebensnotwendig erscheint, sowohl für den Hersteller bzw. Anbieter als auch für den Kunden.
Im Endausbau der Servitization, der Phase 4, entwickeln sich die Unternehmen zum Anbieter integrierter Lösungen. Es werden z. B. nicht mehr Maschinen oder Anlagen zum Verkauf angeboten, sondern Output (etwa die Lackierung von Maschinenteilen) oder Verfügbarkeit. Diese Stufe kann auch die Schaffung von Plattformen oder Eco-Systemen mit vielen Dienstleistungen oder Partnerangeboten rund um das Produkt umfassen.
Bekannte Beispiele für erfolgreiche Servitization-Lösungen veranschaulicht die Abb. 1. Ein guter Einstieg in das Thema mit weiteren Beispielen ist neben den ICV-Dream Car-Bericht übrigens auch eine aktuelle Studie von Porsche Consulting.
Lohnt die Servitization?
Servitization ist natürlich kein Selbstzweck, sondern auch besonders lohnenswert. Mit Dienstleistungen rund um das Produkt wird in der Regel mehr Geld verdient als mit der Hardware allein. Das zeigen viele Studien der letzten Jahre. Margen von bis zu 25 % EBIT mit Dienstleistungsumsätzen und auch höhere Umsätze sowie schnelleres Wachstum werden für Unternehmen mit ausgeprägten Dienstleistungsanteilen propagiert und schlagen die Performancewerte von dienstleistungsschwächeren Vergleichsgruppen deutlich.
Dennoch haben erstaunlich wenig produzierende Unternehmen eine Servitization-Strategie. Das verwundert sehr, da erfolgreiche Unternehmen zum Beispiel im Maschinenbau deutlich höhere Serviceanteile haben als weniger erfolgreiche Unternehmen und auch, wie oben bereits skizziert, erheblich profitabler sind. Hier muss also nachgebessert werden und damit wären wir auch schon beim Controlling angekommen.
Neue Aufgaben für das Controlling
Controllerinnen und Controller müssen natürlich zunächst im eigenen Unternehmen Aussagen machen können, ob die oben beschriebene Servitization-Transformation tatsächlich lohnenswert ist und neue Wertbeiträge geschaffen werden können. Die Bewertung der neuen oder geänderten Geschäftsmodelle sowie der Transformationsaufwendungen wäre demzufolge eine erste wichtige Tätigkeit für das Controlling in diesem Kontext.
Weitere wesentliche Aufgaben und Herausforderungen für das Controlling folgen:
- Der Umgang mit geänderten Liquiditätsflüssen und Finanzierungsherausforderungen
(statt Kauf der Maschine wird z. B. je Output [pay-per-use] gezahlt, d.h. die Maschinen müssen vorfinanziert werden und die Erlöse fließen dann zu anderen Zeitpunkten, etwa über den Lebenszyklus bzw. die Vertragslaufzeit). - Etablierung einer mehr lebenszyklusbezogenen Kostenbetrachtung aus dem Controlling heraus, um Verkäufer und Ingenieure im Hinblick auf produktzentrierte Dienstleistungen zu sensibilisieren (speziell neue Dienstleistungen der Phasen 2 und 3 können wichtige OPEX-Komponenten für die Kunden sein und ein erhebliches Verkaufsargument darstellen).
- Kalkulation der verschiedenen (neuen) Komponenten des angepassten Geschäftsmodells
(wie kalkuliert man beispielsweise Datenzugänge oder Datenschutz?). - Etablierung kundenzentrierter Preissysteme (z.B. verfügbarkeits-, nutzungs- oder ergebnisabhängig).
- Aufbau eines erweiterten Reporting, das zum Geschäftsmodell und den neuen Dienstleistungen passt (mit Kennzahlen wie z. B. Umsatzanteil neuer Dienstleistungen, milestone-basierte KPI welche Auskunft geben, ob bestimmte Services termingerecht erledigt wurden oder Auslastung bei pay-per-use-Angeboten).
- Aufbau von Dienstleistungskompetenz im Controlling (sowie Schaffung geeigneter Tools) und Erarbeitung neuer passender Controllerrollen oder Anpassung der bestehenden Rollen.
Natürlich ist im neuen ICV-Dream Car-Bericht das Controlling der Servitization ausführlicher skizziert, indem wir uns auf die aus unserer Sicht sechs wesentlichen Prozesse des Prozessmodells der International Group of Controlling (IGC) konzentriert haben und jeweils Lösungsvorschläge anbieten. Es gibt, so meine Einschätzung, bei vielen Unternehmen noch sehr viel zu tun und man sollte, sofern dies noch nicht erfolgt ist, die ersten zarten „Servitization-Pflänzchen“ aus Controllersicht setzen, nur dann lässt sich die anstehende Mammutaufgabe effektiv bewältigen.
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