Prof. Dr. Dieter Thomaschewski, Prof. Dr. Rainer Völker
Agilität beansprucht prinzipiell alle klassischen Managementaufgaben. Dies lässt sich wie folgt erläutern: Agilitätsmanagement begreift sich zunächst als die Intention ein Unternehmen in einer bestimmten Art und Weise zu verändern – nämlich es "agil" zu machen. Hierzu sind in den letzten Jahren neue Methoden, organisatorische Muster sowie Kultur- und Führungsprinzipien entstanden, bzw. wurden vorhandene "reaktiviert". Je nach Managementaspekt (Strategie, Organisation, Führung etc.) werden diese Methoden und organisatorischen Muster entsprechend angewandt bzw. zumindest empfohlen. Bezüglich der einzelnen Elemente des Managements lässt sich Folgendes festhalten:
- Zielebene: Es ist wichtig, durch klare Ziele – insbesondere Visionen – für die notwendigen ständigen agilen Schritte (teilweise auch strategischen Kurswechseln) einen starken Rahmen zu schaffen.
- Strategie: Für die strategische Planung gilt es, die wechselnden Bedürfnisse sowie Meinungen von Kunden und Stakeholdern ständig im Auge zu behalten und die strategischen Pläne bei Veränderungen entsprechend neu auszurichten. Werkzeuge wie "Customer Journey Maps" helfen dabei, auf veränderte Kundenbedürfnisse einzugehen.
- Organisation und Prozesse: Agilität impliziert flache Hierarchien, passende und neue Teamformen und Selbstorganisation. Klassische Funktionalabteilungen spielen eine untergeordnete oder in einzelnen Fällen sogar gar keine Rolle mehr.
An einem typischen Beispiel der Organisation der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen können verschiedene "Ausbaustufen" unterschieden werden. So kann in der Praxis häufig zwischen klassischen Entwicklungsteams (sequentielles Vorgehen/existente Funktionsbereiche), wertstromorientierten Entwicklungsteams (nicht existente Funktionsbereiche/sequentielles Vorgehen), "hybriden" Entwicklungsteams (existente Funktionsbereiche/iteratives Vorgehen) und komplett agilen Entwicklungsteams (nicht existente Funktionsbereiche/iteratives Vorgehen) differenziert werden. Die Grenzen zwischen den 4 skizzierten Ausbaustufen sind jedoch fließend und es zeigen sich in der Unternehmenspraxis unterschiedliche Ausgestaltungsformen.
Abb. 2 zeigt dementsprechend eine Organisation mit Funktionalbereichen, die einen abteilungsübergreifenden Prozess ("Stage Gate Prozess") abwickeln. Wohlgemerkt gibt es in dieser Welt schon abteilungsübergreifende Projektteams. Die erste agile Ausbaustufe ist die Einführung agiler Methoden wie Scrum in dem Stage Gate Prozess. Die nächste Stufe ist die Einrichtung einer wertstromorientierten Organisation, bei der Teams gebildet werden, die nicht nur temporär, sondern dauerhaft bestimmte Aufgabenstellungen übernehmen – z. B. zur Entwicklung bestimmter Produktlinien.
Abb. 2: Mögliche Organisationsformen für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen
Eine vollkommen agile Organisation ist bisher in eher wenigen Unternehmen zu finden. Als prominentes Beispiel kann an dieser Stelle Spotify genannt werden. Dieses und ähnlich agierende Unternehmen haben sog. "Chapters" gebildet, die mit Zirkeln zu vergleichen sind. Innerhalb dieser Zirkel oder Chapter bilden sich Experten-Teams zu bestimmten Themenfeldern, wie z. B. Marketing oder F&E.
- Kultur und Führung: Das Leben als agile Person in einem agilen Unternehmen setzt eine entsprechende Kultur voraus, die auch vom Management gelebt werden muss. Zentral ist in puncto Führung das Einräumen von mehr Verantwortung für die Mitarbeiter sowie das wenig direkte Steuern und Kontrollieren. Die Führungskraft versteht sich eher als Coach, die Leitlinien gibt und punktuell Unterstützung anbietet. Somit wird weg vom klassisch hierarchischen Führungsverständnis in agilen Teams viel häufiger ein "Führen ohne formale Macht" praktiziert. Selbstverständlich kommen auch agile Teams nicht gänzlich ohne Führung aus – die Führungskompetenz ist hierbei jedoch nicht zwangsläufig auf Grundlage von Formalitäten an eine einzelne Person gebunden. Vielmehr beruht die Verteilung der Führungskompetenzen in agilen Teams auf der Akzeptanz durch die Gruppe, die in den meisten Fällen durch fachliche Expertise und persönliche Eigenschaften (z. B. Charisma, Rhetorik) begründet ist. In einigen agilen Teams werden demnach die Führungskompetenzen rollenbasiert auf die unterschiedlichen Teammitglieder aufgeteilt. Der sog. Shared-Leadership-Ansatz fordert von den Teammitgliedern jedoch ein hohes Maß an Rollenmobilität, Adaptivität und Selbstverantwortung. Auf der einen Seite ist es von Bedeutung, dass Mitarbeiter weitgehend die Mobilität erhalten, ihre Rollen im Unternehmen zu ändern und entsprechende Erfahrungen zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist das nicht durch jeden Mitarbeiter sofort leistbar, weswegen die Einführung von Selbstorganisation mit individuell auf das Unternehmen abgestimmten Entwicklungsmaßnahmen begleitet werden sollte.
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