Zusammenfassung
Immer mehr Produkte und Dienstleistungen werden als klimaneutral vermarktet. Das reicht von dem Gummibärchen im Supermarkt über die Sonnencreme in der Drogerie bis hin zum Mobilfunktarif. Doch wie wird eine solche Klimaneutralität überhaupt berechnet und erzielt? Und ist diese überhaupt möglich?
Politik und Gesellschaft verlangen erhebliche Anstrengungen zum Klimaschutz. Auch Unternehmen müssen dazu ihren Beitrag leisten. Doch es geht nicht nur um gesetzliche Vorschriften oder Marketing. Viele Konzerne sind vorangeprescht und haben sogar Klimaneutralität versprochen. Das wirft seinen Schatten auch auf die Zulieferindustrie, z. B. im Automobilbereich, weil Lieferanten ihre Klimaschutz-Maßnahmen gegenüber den Kunden nachweisen müssen. Damit ist eine Vielzahl von Unternehmen, große und kleine, betroffen. Eine zentrale Frage ist dabei, wie die Emissionen von Treibhausgasen (THG) – allen voran das Kohlendioxid (CO2) – bilanziert werden. Nur auf dieser Basis können Maßnahmen sinnvoll bewertet werden. Hier gibt es einige Dinge zu beachten.
1 Der Begriff der Klimaneutralität
Kann ein Unternehmen wirklich "klimaneutral" werden? Unter Fachleuten ist eher der Begriff der THG-Neutralität gebräuchlich. Damit ist gemeint, dass durch ein Unternehmen oder ein Produkt netto keine THG-Emissionen verursacht werden, die Emissionen also auf 0 reduziert werden bzw. die verbliebenen Emissionen durch die Bindung der entsprechenden Menge aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Zur "Carbon Neutrality" wird im Rahmen der internationalen ISO-Normen gerade ein neuer Standard entwickelt (voraussichtlich 2023 die ISO 14068).
Klimaneutralität im engeren Sinn ist nicht möglich
Klimaneutralität im engeren Sinn ist weder für ein Unternehmen noch für ein Produkt oder ein Land wirklich zu erreichen. Denn die Auswirkungen auf das Klima sind vielfältig und umfassen nicht nur die THG-Emissionen, sondern auch die Veränderung der Erdoberfläche, z. B. durch eine veränderte Rückstrahlfähigkeit (Albedo) von Bebauungen oder anderen Landnutzungen.
Abseits dieser sprachlichen Spitzfindigkeiten ist der Nachweis der Klimaneutralität nicht trivial, denn auf was bezieht sie sich? In einer Zeit globaler Handelsverflechtungen ist quasi alles mit allem irgendwie verbunden. Unternehmen beziehen Vorprodukte aus der ganzen Welt, Produkte enthalten Komponenten aus Asien und basieren letztendlich auf Rohstoffen, die aus China, Russland, Afrika usw. kommen. Die Wahl der Bilanzgrenzen ist deshalb entscheidend und hier kann im schlimmsten Fall auch viel manipuliert werden, was dann zu Greenwashing führt.
2 Wie Emissionsbilanzen aufgestellt werden
Die Treibhausgase (THG) werden summarisch in Kilogramm CO2-Äquivalente (oft abgekürzt als CO2-Äq oder CO2e) erfasst. Dabei wird berücksichtigt, dass einige THG eine höhere Klimawirksamkeit haben als andere. Z. B. ist die gleiche Menge Methan etwa 30mal so wirksam wie CO2, das Isoliergas Schwefelhexafluorid (SF6) sogar etwa 25.000mal. Entsprechende Freisetzungen müssen deshalb einbezogen werden. Für die Emissionsbilanz ist entscheidend, auf was sie bezogen wird. Das gilt auch für spätere Minderungspläne oder gar die sogenannte Klimaneutralität. Grundsätzlich muss unterschieden werden, ob für ein Unternehmen oder ein Produkt bilanziert wird:
- Die Emissionen von ganzen Unternehmen oder Unternehmensstandorte werden immer auf eine Zeitperiode, meistens ein Kalender- oder Geschäftsjahr, bezogen.
- Bei Produkten steht dagegen eine Mengeneinheit im Vordergrund, als ein Stück oder ein Kilogramm.
2.1 Produktbilanz – Product Carbon Footprint
Die THG-Bilanz von Produkten wird häufig als (Product) Carbon Footprint bezeichnet. Entscheidend ist hier, dass über den gesamten Lebensweg eines Produktes bilanziert wird, also von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Nutzung bis zur Entsorgung, in der Fachsprache: Cradle-to-Grave. Diese Bilanzen basieren auf den Grundsätzen der Ökobilanzen bzw. des Life Cycle Assessments (LCA), wie sie in den ISO-Normen 14040 und 14044 festgelegt sind. Für solche Product Carbon Footprints gibt es eine eigene ISO-Norm (14067). Viele Unternehmen geben den Carbon Footprint nur bis zu ihrer Produktauslieferung an, was für Zwischenprodukte im B2B-Bereich wichtig ist. Dann ist von Cradle-to-Gate-Bilanzen die Rede.
Abb. 1: Klimabilanz eines Produktes (pro Stück o. ä.) mit den verschiedenen Systemgrenzen
2.2 Unternehmensbilanz
Bei der zeitperiodenbezogenen Bilanzierung von Unternehmen wird entweder von der ISO-Norm 14064-1 oder von einem quasi privatwirtschaftlichen Standard, dem sogenannten Greenhouse Gas Protocol, ausgegangen, der seit vielen Jahren etabliert ist. In ihm wird die Unterscheidung der drei Bilanzkreise Scope 1, Scope 2 und Scope 3 vorgenommen, die sich inzwischen eingebürgert haben.
Abb. 2: Klimabilanz (pro Jahr) einer Firma mit den verschiedenen Bilanzkreisen Scope 1-2-3
Mit Scope 1 werden die direkten Emissionen des Unternehmens bzw. des Standorts bezeichnet. Scope 2 sind die mittelbaren Emissionen durch den Energiebezug, insbesondere durch den Bezug von elektrischer Energie. Am schwierigsten ist die Ermittlung der Scope 3-Emissionen, d...