Karl-Heinz Steinke, Dr. Walter Schmidt
Ein starker Wandel vollzieht sich derzeit im Umgang mit Zahlen. Im klassischen Controlling gehörte die Aufbereitung von Zahlen für entscheidungsrelevante Informationen der Unternehmenszentrale zum Kern des Controllings. Wie bereits mehrfach betont, verschieben Digitalisierung und Vernetzung die Erfolgsverantwortung aus der Zentrale in die internen und externen Prozesse der Geschäftsanbahnung und Geschäftsabwicklung vor Ort. Diese Geschäftsprozesse zusammen mit dem Manager zu gestalten und auf die Ziele des Unternehmens auszurichten – das wird zur Hauptaufgabe für ein modernes Controlling 4.0. Damit rückt das Verständnis für die Spezifik des Geschäfts und dessen Verbundenheit mit den relevanten Geschäftspartnern und Stakeholdern in das Zentrum des Controllings. Das führt zu 3 im Folgenden beschriebenen wesentlichen Konsequenzen.
4.2.1 Das Geschäft muss gestaltet werden – nicht die Zahlen
Geschäfte beruhen auf der Kooperationsbereitschaft aller relevanten Beteiligten
Jedes Geschäft bedarf zunächst der Kooperationsbereitschaft aller beteiligten Stakeholder. Lange bevor Zahlungen vereinbart, dokumentiert und geleistet werden können, müssen Menschen aufeinander zugehen, um "ins Geschäft" zu kommen. Das kann die Zusammenarbeit zwischen Einkäufern und Lieferanten sein oder zwischen der einstellenden Personalabteilung und den sich bewerbenden Interessenten; das können vielfältigste Beziehungen zwischen Fachabteilungen und Kooperationspartnern sein; und nicht zuletzt geht es um die zahlreichen Kontakte zu bestehenden Kunden bzw. Interessenten, die zukünftige Kunden werden wollen oder sollen. Hinzu kommen die mannigfaltigen internen Kooperationsprozesse zwischen innerbetrieblichen "Lieferanten und Käufern" – wobei es im Kontext von Digitalisierung und Vernetzung zunehmend darauf ankommt, abgrenzende Schnittstellen von Abteilungen in verbindende Nahtstellen eines Netzwerks zu verwandeln.
Erst wenn und nur solange, wie eine erfolgreiche Kooperation angebahnt wurde bzw. zustande gekommen ist, können sich die Beteiligten über Preise und Zahlungskonditionen verständigen – sofern es dem Charakter der Kooperation entspricht. Dann können Zahlungsdokumente fakturiert und daraus resultierende Zahlungsströme gebucht werden. Aus diesen Buchungsdaten entstehen schließlich durch vielstufige Aggregation die finanziellen Kennzahlen, die einer an den Geschäftsprozessen vor Ort meist nur mittelbar beteiligten Zentrale anzeigen, ob und inwieweit am Ende Geld verdient wurde oder nicht.
Wer Geschäfte gestalten will, muss also Kooperationsbeziehungen gestalten. Das spiegeln die auf Buchungsdaten aufbauenden Zahlen nicht wider. Sie reduzieren die Beziehungen ausschließlich auf die eine Dimension der Zahlung. Gleichzeitig verschleiern sie, dass die meisten Zahlungsprozesse bereits eine Vielzahl von Kooperationsbeziehungen voraussetzen, die in den Zahlen nicht mehr nachvollzogen werden können. Außerdem werden die meisten Kooperationen nicht unmittelbar von Zahlungen begleitet. Sie fallen vollkommen durch das Raster der Buchhaltung.
Wer Geschäfte gestalten will, muss menschliches Verhalten moderieren
Wer Geschäfte gestalten will, benötigt demzufolge andere als aus Buchungsdaten resultierende Zahlen. Aber selbst andere, den Beziehungen vor Ort adäquate Zahlen können nur Quantitäten erfassen. Die Qualität wird von anderen Faktoren geprägt: Ziele, Interessen, Werte, erlebbare Wertschätzung/Nähe und das daraus resultierende Verhalten der beteiligten Menschen. Darauf kommt es an. Der Einsatz von Zahlen muss diesem neuen Kern angepasst sein.
Führen mit Zielen
Ziele messbar zu gestalten – das wurde bereits im einleitenden Kapitel hervorgehoben – führt in der Konsequenz zu wenigen, auf die jeweils spezifischen Führungsaufgaben ausgerichteten Zahlen. Die Führung mit messbaren Zielen muss moderiert und begleitet werden.
Gleichzeitig steht hinter den wenigen Zahlen für die jeweilige Führungskraft ein umfassendes System der Datensammlung und -aufbereitung sowie der Gewährleistung verlässlicher Datenqualität. Dafür ist Controlling 4.0 ebenso verantwortlich wie für die Moderation und Begleitung der Führung mit messbaren Zielen an den Orten der Geschäftstätigkeit.
Einbindung und Berücksichtigung von Interessen
Schon die frühen Arbeiten der 40er- und 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts zur strategischen Ausrichtung von Unternehmen etwa von Ansoff, Chandler, Drucker oder Mintzberg haben als eine wesentliche Führungsaufgabe den Ausgleich der verschiedenen Interessen aller für den Erfolg relevanten Stakeholder herausgestellt. In den 1980er-Jahren entwickelte Edward Freeman daraus das Modell des Stakeholder-Managements, das sich allerdings durch die Dominanz des Shareholder-Value-Modells von Rappaport zunächst nicht durchsetzen konnte.
Der große Erfolg der von Kaplan und Norton 1992 publizierten Balanced Scorecard hat die Balance der Interessen (Perspektiven) aller relevanten Stakeholder wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Hierzu sagt Carsten Knobel, CFO von Henkel:
"Hohe Bedeutung hat die Kommunikation mit den Stakeholder...